Hockney

Trailer

David Hockney ist einer der erfolgreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Randall Wright hat eine Filmbiografie über ihn angefertigt, die Hockneys Leben im wahrsten Sinne des Wortes festzuhalten versucht. Für den Maler waren Hollywoodfilme in seiner Jugend Erweiterungen eines zu klein empfundenen Raums – ob er sich „Hockney“ im Kino angesehen hätte?

Foto: Arsenal Filmverleih, David Hockney

Die Gnade des Verschwindens

von Jan Künemund

Der vanishing point, der Fluchtpunkt, sei für Hockney geradezu ein heiliges Konzept gewesen, sagt Kurator Charlie Scheips. Allerdings, das ist die Pointe, nicht aus der Perspektive des Betrachters, dessen Blick auf einen Fluchtpunkt zulaufe – sondern für Hockney sei der Mensch selbst der Fluchtpunkt, auf den die Welt zulaufe. In dieser Vorstellung eines Betrachters, der so aus dem Bild verschwinde, steckt die Ablehnung eines konstruierenden Blicks, der der Welt eine feste Form gibt. Hockneys Polaroid-Collagen, die nach der emotionalen Zerreißprobe seiner Trennung mit Peter Schlesinger entstanden sind, splitten entsprechend die vereinheitlichende Perspektive auf; das Gesamtbild besteht aus lauter Details, die aus verschiedenen Blickwinkeln, in tageslichtabhängig verschiedenen Helligkeiten, festgehalten sind und somit nicht mehr fotorealistisch auf einen Blick zurückzuführen sind.

Der Standort und das Verschwinden, das Festhalten und die Auflösung sind zentrale Themen im Leben und im Werk David Hockneys. Man könnte das ernstnehmen, wenn man das Porträt eines Künstlers unternehmen will, der in den klaustrophobisch gestaffelten Mietskasernen von Bradford aufgewachsen ist, dessen Begehren kriminalisiert wurde, bis er 30 Jahre alt war, der sich in den 1970ern biografisch aus allen vorgegebenen Mustern gelöst hat, dessen neue Muster aber knapp zehn Jahre später durch Aids wieder zerbrachen – kurz: der eine typische nichtheterosexuelle Bewegung durch das 20. Jahrhundert machte und somit seine Schwierigkeit mit der geordneten Zentralperspektive auf sein Leben haben dürfte.

Phantome

„Hockney“, von Randall Wright im Auftrag von BFI und BBC Arts hergestellt, versucht aber genau das. Er erzählt ein Leben zwischen Kindheit und Alter, mit den Stationen Familie, Kunsthochschule, erster New-York-Besuch, Umzug nach L.A., Coming-Out, Erfolg, Beziehung, Freundschaften, Aids, Tod der Mutter, Alter. Die Erzählform dieses Lebens fühlt sich klassisch und bekannt an, sie ordnet die verstreuten Details auf einer großen Linie, die veranschaulichen will, wie jemand wurde wie er ist. Wie die Kunst das Leben transformiert hat. Wie große Werke aus Inspirationen entstanden. Das ist alles so banal, dass es fast wehtut, es hier aufzuschreiben. Weil es ein Normativismus ist, der eine queere Figur nicht fassen kann, ohne ihr Gewalt anzutun.

Abgesehen von der oft wirren Montage, die Dinge zusammenbringt, die die eigene Ordnungsprinzipien nicht erfüllen, sieht die Gewalt der Erzählung z.B. so aus: Man findet ein Familienmitglied, das sowas sagt wie: „David hat als Kind schon gezeichnet.“ Dann Schulfreunde, die sowas sagen wie: „Der Klecks, den er auf unserem Teppich gemacht hat, war bald schon Millionen wert.“ Kommilitonen, die sowas sagen wie: „David hat sich in den 1950ern schon getraut, Moleskinhosen, Melone und rosagestreifte Anzüge zu tragen.“ Auch, dass ein Film über einen schwulen Künstler, dessen Fluchtpunkt Los Angeles erotisch motiviert war (Surfer!), mit Bildern der Eltern beginnt und endet, einen zentralen Hockney-Ordnungsvorschlag wie: „Freunde sind der einzige Faden, der sich durch mein Leben zieht“, einfach ignoriert und ihn mit Bildern von Hunden illustriert, aufgenommen auf einem Strandspaziergang mit Mama. Es dürfte bei Hockney wahrscheinlich eher um die Freunde gegangen sein, von denen in den 1990ern Aids-bedingt nur noch ein Drittel am Leben waren und sowas kann eine geordnete Lebenserzählung schon mal auseinander reißen. Aber das nur am Rande (wo es der Film auch anlegt).

Die große Harmonisierungsleistung des Films, der alles in seine Heteronarration des geordneten Künstlerlebens, das auf den Fluchtpunkt Erfolg zuläuft, einfügen möchte, betrifft alle Gestaltungsebenen. Ein jazziger Soundtrack passt auf alle Lebensphasen, stummes Archivmaterial, sogar Hockneys Bilder, werden mit einem pseudo­realistischen Soundtrack überklebt, der eine häusliche Szene mit einem Telefonklingeln synchronisiert und eine Trümmerlandschaft mit Bombenexplosionen. Homosexualität wird ab Minute 30 in den Film integriert, weil der Film erzählt, dass Hockney Homosexualität mit 30 Jahren erfolgreich in sein Leben integriert hat. Fast verschämt, im Nachspann, versucht Randall Wright einmal die Polaroidcollagen durch Splitscreen-Experimente nachzudrehen, das ist aber nicht ernst gemeint und hat mit dem Rest des Films nichts zu tun. Hockney sagt: „Landscape“. Und irgendwo muht eine Kuh.

Es gibt einen berühmten anderen Film mit und über Hockney, der seine Aufgabenstellung etwas anders wählt. „A Bigger Splash“ (1973), Jack Hazans großartiger Hybrid aus Spiel- und Dokumentarfilm, der mitlaufend nebenbei gesammeltes Material aus der Trennungsphase von Hockney und Peter Schlesinger dramatisiert und gleichzeitig in Traumsequenzen, assoziativen Zusammenführungen, Durchdringungen von Malerei und Filmbild bedeutungsunsicher und flexibel macht, schafft es tatsächlich, flüchtende Linien einer Lebensphase in einem provisorischen Brennpunkt einzufangen. Wie nebenbei wird der mal absichtslose, mal provozierende Kamerablick hier zum Fluchtpunkt, in dem Hockneys Welt zu diesem Zeitpunkt zusammenläuft.

Auch Wright verwendet aus „A Bigger Splash“ Szenen für seine Künstlerbiografie. Die damals Aufsehen erregenden Bilder vom berühmten Maler Hockney, der sich auszieht, bevor er unter die Dusche geht (mit einem unverschämten Genital-Close-up), wird 1:1 übernommen, um dann – kein Scherz – das Thema der Inneneinrichtungen der Hockney-Häuser anhand der Badezimmerfliesen zu thematisieren.

Auch die Faszination des Malers für die instabilen Wasseroberflächen der Pools in Los Angeles ist in beiden Hockney-Filmen Thema. Hockney schwärmt von den ineinanderfließenden Formen, den Verfremdungen der Körper im Wasser, den Sonnenreflektionen in den Kanten der Wellen. Sieben Tage habe er gebraucht, um einen „Splash“ zu malen – das Gegenteil eines fotografischen „Klicks“. Die Herausforderung, etwas aufzuzeichnen, das sich auf der Flucht befindet, wurde zum eigentlichen Thema in Jack Hazans „A Bigger Splash“. In Randall Wrights Film laufen die Schlusstitel sehr stabil und gut lesbar über das monochrome Blau eines zwar gefüllten, aber nicht in Bewegung versetzten Pools.


hockney
Hockney
von Randall Wright
UK/US 2014, 113 Minuten, FSK 0,
englische OF mit deutschen UT,

Arsenal Filmverleih


A Bigger Splash DVD
A Bigger Splash
von Jack Hazan
UK 1973, 105 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VOD: € 12,90

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