Sand Dollars: Interview mit Geraldine Chaplin

DVD / VoD

Ihr Kinodebüt gab sie mit acht in „Rampenlicht“ (1952), dem letzten Hollywood-Film ihres Vaters Charlie. Mit 21 spielte sie die Geliebte des Doktor Schiwago, mit 25 wurde sie in Spanien zur Ikone des antifaschistischsten Revolutionskinos. Sie drehte mit Altman, Resnais, Scorsese, Almodóvar. Doch auf diese Rolle musste sie fast ein Leben lang warten: In dem Liebesdrama „Sand Dollars“ spielt die mittlerweile 72-jährige, ewig junge Geraldine Chaplin voller Hingabe eine europäische Sextouristin, die in der Dominikanischen Republik ihr Herz an ein einheimisches Mädchen verliert. Mit SISSY sprach sie über den besten Film ihrer Karriere, nostalgische Momente und die Heimsuchung durch Fledermäuse.

Foto: Edition Salzgeber

Sterbend im Paradies

Interview: Thomas Abeltshauser

Sie machen keinen Hehl daraus, unter Lampenfieber zu leiden.

Das wird im Alter sogar immer schlimmer! Ich bin bei Dreharbeiten nervös, bei Interviews, eigentlich immer, auch jetzt.

Warum?

Weil ich gut sein will. Das liegt wahrscheinlich an meiner strengen Erziehung im Schweizer Internat, einer Nonnenschule. Ich tue mir öffentliche Auftritte nur an, wenn ich an etwas glaube. Wie an unseren Film „Sand Dollars“, den ich liebe. Er erzählt so berührend von der Liebesbeziehung zweier sehr unterschiedlicher Frauen in der Karibik, einer jungen Dominikanerin und einer alten Europäerin. Er ist sehr sanft und brutal zugleich. Aber er urteilt nicht. Ich kann Filme nicht ausstehen, die einem ihre Botschaft reinwürgen und sagen, was man denken soll. In „Sand Dollars“ sieht man die Armut und die Ausbeutung in der Dominikanischen Republik, aber er lässt jedem Zuschauer eigene Schlüsse ziehen.

Sie spielen darin eine wohlhabende 70-jährige, die sich im Alter in ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen verliebt. Eine mutige, nicht sehr schmeichelhafte Rolle.

Sagen Sie es ruhig: Ich spiele das sterbende Tier im Paradies! Ich hatte den ersten Film von Laura Amelia Guzmán und Israel Cárdenas gesehen, „Jean Gentil“, über einen Haitianer, der seinen Job als Lehrer verliert und in Santo Domingo verzweifelt nach Arbeit sucht. Ich bekam diesen Film einfach nicht mehr aus dem Kopf. Ich träumte sogar Monate später noch davon und wachte nachts weinend auf. Und ich schwärmte jedem von diesem Film vor. Das bekamen die Regisseure mit und boten mir ein Projekt an. Als ob ich mich mit meinem Lob bei ihnen beworben hätte! Aber sie meinten, ich sei perfekt für diese Rolle. Und ich sagte sofort zu.

Dabei war die Figur ursprünglich ein Mann, die Geschichte basiert auf den Erinnerungen Jean-Noël Pancrazi, der als Europäer selbst lange in Samaná gelebt hat und sich dort in einen jungen Mann verliebt hat.

Und sie konnten keinen französischen Schauspieler finden, der das Risiko eingehen wollte, diese Rolle zu spielen. Also kamen sie auf die brillante Idee, den alten Mann in eine alte Frau zu verwandeln. Und wir wollten nicht nochmal die Geschichte vom Sextourismus erzählen und so wurde aus der anderen Figur eine junge Frau.

Sehen Sie sich Ihre eigenen Filme an?

Wenn es wie hier ein Publikumsgespräch danach gibt, tue ich das. Ich habe kein Problem damit, mir selbst beim Spielen zuzusehen. Aber ich hasse natürlich, wie ich in dem Film aussehe. Und man sieht, dass sich meine Filmpartnerin ein bisschen vor diesem alten Leib ekelt, aber das passt gut zur Geschichte, dass es diese Distanz gibt.

Was hielt Ihr Vater davon, dass Sie Schauspielerin geworden sind?

Nachdem er mich schon als Achtjährige in „Rampenlicht“ besetzt hatte, lange nicht viel. Er hatte Angst, dass ich seinen Namen nutze, um es zu etwas zu bringen. Und er wollte, dass ich was Anständiges lerne und studiere. Daraus ist leider nichts geworden, keines seiner elf Kinder war auf einer Universität.

Welche Gefühle verbinden Sie dann mit Orten, an denen Sie gelebt haben?

Keine im Grunde. Ich habe ein sehr kurzes Gedächtnis. Ich hatte nur einmal einen nostalgischen Moment, so mit Mitte Zwanzig. Ich war gerade in Santa Monica und suchte das Haus, in dem ich als Kind aufgewachsen war. Mich interessierte, wem es gehörte. Zu dem Zeitpunkt war es George Hamilton, glaube ich. Meine Wurzeln sind meine Kinder und mein Mann. Und meine Schwestern, manche von ihnen, manchmal. Mein Leben besteht aus unzähligen Launen des Herzens. Und die wechseln oft. Ich fliege auch mal nur für ein paar Tage nach Rom, um mit Karl Lagerfeld einen Kurzfilm zu drehen. Er ruft mich immer an, wenn er eine alte Coco Chanel um die 70 braucht. Ich mag diese Rastlosigkeit.

Sind Sie im Laufe der Jahre abenteuerlustiger geworden? Oder langweilen Sie sich einfach schnell?

Ich hatte vor allem Glück. Ich kann mich noch erinnern, als ich mich in den Siebzigern endgültig entschied, Schauspielerin zu sein. Ich wollte möglichst ganz unterschiedliche Filme drehen, auf allen Kontinenten und in englischer, französischer und spanischer Sprache. Das war mein Wunsch. Und er ist in Erfüllung gegangen.

Sind Sie denn mit dem Ergebnis immer zufrieden gewesen?

Ich habe um die 140 Filme gedreht und bei jedem dachte ich: das wird das Beste, was die Menschheit jemals zu sehen bekommt. Aber ich habe viel Mist gedreht, viele wirklich schlechte, furchtbare Filme. Aber ein paar gute sind auch dabei.

Bereuen Sie eher die Dinge, die Sie getan haben oder solche, die Sie nicht getan haben?

Ich bereue alles und dauernd. Mein Bedauern sucht mich Nacht für Nacht heim, wie Fledermäuse. Ich muss mir dann einreden, dass ich eh nichts mehr daran ändern kann. Aber ich bin mittlerweile an einem Punkt, die Arbeit mehr zu genießen als das Ergebnis.



Sand Dollars
von Laura Amelia Guzmán, Israel Cárdenas
DO/MX/AR 2014, 85 Minuten, FSK 0,
spanisch/englisch/französische OF mit deutschen UT,

Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


↑ nach oben