Eisenstein in Guanajuato
Trailer • DVD / VoD
Film ist ein Medium, das viel zu reich ist, um es den Geschichtenerzählern zu überlassen, sagt Peter Greenaway. Kein Wunder, dass Sergej Eisenstein als Verbündeter in der kontrollierten Bilderrauschproduktion sein großes Vorbild ist. Greenaways Spielfilm über Eisenstein ist deshalb auch ein Versuch über visuelle Intelligenz, über das wilde Assoziieren und die Lächerlichkeit von selbstauferlegten Grenzen – an die „Eisenstein in Guanajuato“ nicht zuletzt mit dem Novum rüttelt, den Meisterregisseur als praktizierenden Homosexuellen zu zeigen, der sich beim Filmdreh in Mexiko nicht nur der kulturell codierten Sinnlichkeit, sondern auch seinem attraktiven und hilfreichen mexikanischen Führer lustvoll hingibt. Eine Ohrfeige für Putin, freute sich die westliche Filmpresse. Doch ist Greenaways Annäherung an sein Vorbild viel zu intim und viel zu komplizenhaft, um es zur bloßen Skandalnudel zu machen.
Die Abenteuer des Sir Gay im wilden Land der Mexikaner
von Fritz Göttler
Eisenstein kotzt, bald nach seiner Ankunft in Mexiko, er beschmutzt dabei seine schwarzen Schuhe, die er eben erstmals von einem Schuhputzer behandeln ließ – eine völlig neue Erfahrung für den jungen Mann aus dem Arbeiter- und Bauernstaat der UdSSR. Es ist kein vorteilhaftes Bild, das er da abgibt, zu Beginn des neuen Films von Peter Greenaway, „Eisenstein in Guanajuato“. Zu viel Alkohol, die schreckliche Hitze, die Überwältigung durch das fremde Land Mexiko, wo sich das Alte und das Neue auf verwirrende Weise überlagern, das Rationale und das Mystische, die Zukunft und die Vergangenheit. Dass er den großen Eisenstein, den vielbewunderten und -geliebten Filmemacher zu einer komischen Figur machte, hat man Greenaway mancherorts übel angekreidet, als sein Film dieses Jahr im Wettbewerb der Berlinale lief, wo er auf viel Missmut, Indignation oder einfach demonstratives Desinteresse stieß.
Es lebe Mexiko
Zehn Tage, die Eisenstein erschütterten, so hat Greenaway ironisch seinen Film im Untertitel genannt, nach dem Titel, den im Ausland Eisensteins Film „Oktober“ erhalten hatte, der von der Oktoberrevolution in Russland erzählt: „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“, nach dem Buch von John Reed. Die Erschütterung für Eisenstein ist kulturell, und dann plötzlich auch sexuell. Er will in Mexiko den Film „Que viva México!“ drehen, einen Kinogesang auf das Leben und die Lebendigkeit, die man in diesem Land nur über den Tod findet. Also sucht er in Guanajuato das Museum der Mumien auf und zieht durch den mexikanischen Karneval, das große Fest der Toten.
Dem Tod ist der Filmemacher Peter Greenaway von Anfang an mit Besessenheit hinterher. Sein Film „Act of God“, 1980, präsentierte Menschen, die einen Blitzschlag überlebt hatten, und sein erster Spielfilm „The Draughtsman’s Contract“ erzählt von einem Maler, der in naiver Ahnungslosigkeit auf seinen eigenen Tod hinarbeitet und -zeichnet. Im Eisenstein-Film kommt der Tod erst mal sublimiert daher, in den bekannten Formen von Sex und Traum. Der große Künstler wird penetriert, er geht mit einem Mann ins Bett und verliert seine Unschuld.
Carry on Eisenstein
Ja, Greenaway kann ein rechter Grobian sein, er profitiert gern vom Ikonoklasmus, und sein Eisenstein erinnert an die wilden Biopic-Orgien von Ken Russell – die Analyse modernen Künstlerlebens in Carry-on-Klamottenform. Der russische Filmkünstler Eisenstein ist innerhalb weniger Jahre mit drei Filmen zu einem Darling der Filmkritik und des Publikums geworden: „Streik“, „Panzerkreuzer Potemkin“, „Oktober“. Die Russenfilme machen Furore in aller Welt. Nun darf Eisenstein in diese Welt hinaus, um das Wunder der Sowjetkinematographie zu erklären und womöglich selbst Filme auswärts zu drehen. Die neue Kunst zu lernen und auszuprobieren, die des Tonfilms. Er versucht seine eigene Position zu definieren unter den Denkern und Künstlern, zwischen Cocteau, Chaplin, Buñuel und Joyce. In Berlin besucht er den Dreh zu Sternbergs „Der Blaue Engel“. Sie war ziemlich blöd und dumm, sagt er von Marlene, auf Deutsch. In Berlin und Paris hält er Vorträge, die von Massen besucht werden, und später in Hollywood bietet man ihm diverse Filmprojekte an. Aber die Differenzen sind zu groß, zwischen Eisensteins Konzepten und dem kapitalistischen Studiobetrieb. Also zieht Eisenstein Anfang der Dreißiger los, um einen Film über das Mysterium Mexiko zu drehen, in einem Crowdfunding-Verfahren finanziert vom erfolgreichen Schriftsteller Upton Sinclair. Eisenstein dreht Kilometer Material, aber wird den Film nie fertigstellen. Er muss zurück nach Moskau, das Material bleibt bei Sinclair. Eisenstein dreht in Stalins Sowjetunion „Alexander Newski“ und „Iwan der Schreckliche“. Am Schluss des Films legt Eisenstein Gabeln zu dem berühmten Muster jenes Spiels, das in Alains Resnais’ „L’année dernière à Marienbad“ die Männer spielen. War alles Traum in Guanajuato?
Die jungen Matrosen
Greenaways Held ist in den zehn eisensteinerschütternden Tagen ein Naiver, ein Argloser im Ausland. Der Finne Elmer Bäck verkörpert ihn, ungelenk, radebrechend, clownesk, mit nicht zu bändigender Mähne. Nicht besonders strapazierfähig, und infantiler und unreifer, als das Original gewesen sein mag. Man mag diese Art despektierlich finden, aber sie entspricht doch dem Denken, das sich in Eisensteins Texten entwickelt. Das in immer neuen, atemraubenden Wendungen hin- und zurückschwenkt zwischen den Sprachen und den Kulturen, zwischen Malerei und Musik, Literatur und Philosophie. Eine gewaltige Lust auf Neues, ein wahrlich revolutionärer Geist. Sein Interesse an Männern ist verbürgt, durch Briefe, an seine Frau Pera Atasheva, und durch die Filme – all die Matrosen im Potemkin, die jungen Revolutionäre im Kampf ums Winterpalais in „Oktober“. „Sir Gay“ hat der junge Eisenstein seine Zeichnungen signiert, ein verklausuliertes „Sergej“.
In Guanajuato verliert der schüchterne, unsichere Eisenstein seine Unschuld, auf einem Hotelbett, das wie ein Art-Déco-Altar aufgebaut und erleuchtet ist, in einer langsamen und würdig-grotesken Zeremonie, die sachgerecht durchgeführt wird von seinem Führer in der Stadt, Jorge Palomino y Cañedo, gespielt von Luis Alberti. Der Künstler, der sich auf seinen dunklen Wegen zu sich selbst einem Guide anvertraut, das Dante-und-Vergil-Modell. Die Liebe erscheint in diesem Akt ganz natürlich und kunstvoll zugleich, eine Installation. Señor Prick, behave, sagt Eisenstein fröhlich.
Die Geister des Unrealisierten
Ich bin nicht so sicher, sagt er später, dass man sich an die Filmemacher erinnern wird. Der Schatten des Versagens, der Unfruchtbarkeit liegt über dem Film. Viktor Schklowski über Eisensteins letzte Wohnung im Jahr 1948, in seiner wunderbaren, wunderlichen Eisenstein-Biografie: „Sergej Michailowitsch kannte seine Wohnung. Das Echo der leeren Zimmer. Er kannte die Welt seiner Einsamkeit … An den Wänden stehen weiße Stellagen mit Büchern. Auf den Brettern Bücher mit sauberen Lesezeichen; man sieht gleich, dass sie säuberlich nach bestimmten Themen geordnet sind. Sie sind die Samen nicht zu Ende geschriebener Drehbücher und die Spuren nicht verwirklichter Filme. Die Wohnung ist voll von deutlichen, traurigen Geistern des Unrealisierten.“ Eisenstein starb mit fünfzig, 1948, aber sein Tod ist schon präsent in Greenaways Film. Der Tod skandiert seine Präsenz durch metallische Schläge. Nochmal Schklowski: „Unter Eisenstein wohnte der Kritiker Ilja Vajsfeld mit seiner Familie. Eisenstein hatte neben dem Heizkörper einen Schraubenschlüssel liegen. Es war abgemacht, dass, wenn Sergej Michailowitsch wieder eine Herzattacke haben würde, er oder Tante Pascha mit dem Schraubenschlüssel gegen die Dampfheizung schlagen sollte. Es würde dann jemand kommen. In der Nacht vom 10. auf den 11. Februar erdröhnten die Heizungsrohre. Man eilte nach oben. Man klopfte, aber es war zu spät. Sergej Michailowitsch hatte nicht den ersten Infarkt gehabt …“
Das Wohlleben des Karnevals
Der Tod gibt auch den Schritt vor im „Potemkin“, den Marsch- und den revolutionären Gang. Die Lust und der Tod, in der Auflösung finden sie, auch bei Eisenstein, ihr Ziel. An die außerordentliche Empfindung der Linie als Prozess, der Linie als Weg, erinnert sich Eisenstein in seinem Text „Wie ich zeichnen lernte“. Am Ende von Greenaways Film umschlingen in einer Rückprojektion seine Zeichnungen die handelnden Figuren. Zeichnungen, die sich unter dem Einfluss der alten mexikanischen Kunst erregend abstrahiert haben, Körper, ineinander verschlungen, liebend, mörderisch, bis sie auch organisch eins geworden sind. Und transparent auf den Tod zu. Schon in seinem Film „Oktober“ hat Eisenstein versucht, die Formen – die das historische Geschehen nicht zu fassen imstande waren – aufzulösen in eine neue visuelle Konzentration, inspiriert von der Technik von Joyces „Ulysses“ und den Traumdeutungen der Psychoanalyse. Bilder sollten das werden, die man in die Tiefe lesen muss, wo sie in ihrer Vielschichtigkeit die progressive Erzählung zerstieben lassen.
Das Wohlleben des Karnevals ist grausam, schrieb Schklowski, davon handelt auch Greenaways Film. Es war die Burleske, zu der Eisenstein am Ende seines Denkens und Filmens am liebsten zurückkehren wollte, von der er ausgegangen war, in seiner Liebe zu Méliès und Disney, zum Slapstick. „Man sollte“, schreibt Frieda Grafe, „in Anbetracht von Eisensteins ganzem Werk immer beherzigen, was er mit Hinweis auf die Skizzen von Leonardo da Vinci, untermauert von einem Zitat von Lord Byron, empfahl: den Entwürfen und Versuchen mehr Aufmerksamkeit zu schenken und mehr Glauben als den vollkommenen, unterm Glanz ihrer Perfektion erstarrten Werken.“
Endgültige Perfektion gebührt am Ende nur dem Tod. Einmal wird Eisenstein in der Kunst der Siesta unterwiesen, die sie in Mexiko so gut beherrschen. Die Weiße der Leintücher ist wichtig, sie garantiert die Traumlosigkeit des Schlafes. In solchem Schlaf betrügt man den Tod.
Eisenstein in Guanajuato
von Peter Greenaway
NL/MX/FI/BE 2014, 105 Minuten, FSK 16,
deutsche SF, englische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber
www.eisenstein-film.de
Hier auf DVD.