Sand Dollars

TrailerInterview • DVD / VoD

Geraldine Chaplin, Autorenfilmikone mit strahlendem Lächeln und tieftraurigen Augen, bekommt nur noch selten Gelegenheit, ihre große Kunst zu zeigen. In Spanien, wo die Schauspielerin seit ihrer Zusammenarbeit mit Carlos Saura in den 1970ern ein Star ist, sei sie mittlerweile auf die Rolle der gruseligen Alten festgelegt, erzählte sie kürzlich in einem Interview. In dem karibischen Liebesdrama „Sand Dollars“, ihrer ersten Hauptrolle seit einer gefühlten Ewigkeit, darf sie endlich wieder ganz andere Sachen machen als unheimlich gucken.

Foto: Edition Salzgeber

Der Strand und sein Preis

von Maike Schultz

„Liebe meines Lebens / Wenn Du mich nicht mehr liebst / Werde ich sterben!“ Mit diesen zärtlich vorgetragenen Zeilen eines karibischen Sängers beginnt und endet der Film „Sand Dollars“ von Laura Amelia Guzmán und Israel Cárdenas. Die darin besungene Liebe, man ahnt es nicht nur wegen der Musik, ist zum Scheitern verurteilt. Immerhin geht es um gekaufte Liebe, ein Tabuthema, das schnell an der Grenze zum Klischee balanciert. Hier die reichen, vergnügungssüchtigen weißen Touristen, dort die armen, aber nie um Lügen verlegenen schwarzen Einheimischen.

Dass die lose Geschichte, die auf dem Roman „Les dollars des sables“ (2006) von Jean-Noël Pancrazi basiert, nicht in Stereotypen verharrt, liegt vor allem an der außergewöhnlichen Konstellation der Figuren. Da ist zum einen Noeli aus der Dominikanischen Republik, schwarz, Anfang 20 und bildhübsch. Urlaubern spielt sie die verliebte Freundin vor, doch in Wirklichkeit zockt sie die Männer mit ihrem Partner Yeremi eiskalt ab. Und dann ist da die etwa dreimal so alte Anne, eine elegante alte Dame aus Europa, die schon seit drei Jahren in Noeli verliebt ist und ihr nun ein Visum besorgt hat, um sie mit nach Paris zu nehmen.

Beide bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen Liebe und Missbrauch: Die Junge hat die Macht ihres Körpers, die Alte hat Geld. Über den Preis sexueller Dienstleistungen verhandelt wird dabei nie – ein schlichtes „Mein Bruder hatte einen Unfall“ reicht aus, damit Anne zahlt. Mit ihren großzügigen Spenden kauft sie die Illusion, dass Noeli sie wirklich liebt. Noeli wiederum kauft sich die Illusion, aus der Armut heraus zu kommen –  obwohl sie mit der Idee dieser Freiheit genauso fremdelt wie Anne mit der Vorstellung, in Frankreich eine echte Beziehung mit Noeli zu führen. Die beiden belügen sich nicht nur gegenseitig, sondern auch sich selbst. Dennoch gibt es Momente von Geborgenheit und Nähe zwischen ihnen. Anne ist für Noeli eine Verbündete, vielleicht sogar eine Art Mutter-Ersatz.

Auf den ersten Blick erinnert „Sand Dollars“ an Ulrich Seidls „Paradies: Liebe“ (2012), der ebenfalls mit einheimischen Laienschauspielern besetzt wurde. Aus der für ihn typischen, unbarmherzig realistischen Perspektive verfolgt der österreichische Regisseur darin die ‚Erlebnis-Safari‘ einer übergewichtigen Alleinerziehenden in Kenia. Sexuelle Beziehungen sind bei Seidl ausschließlich Handelsbeziehungen. In „Sand Dollars“ ist die Gemengelage aufgrund der weiblichen Hauptfiguren weniger eindeutig. Der zärtliche Umgang zwischen Noeli und Anne ist zwar alles andere als erotisch knisternd, aber immerhin dermaßen von Bestand, dass sogar Noelis Freund Yeremi verwirrt ist. „Was macht die Frau mit dir?“, will er von ihr wissen, obwohl er sonst nie fragt, was Geldquellen so mit Noeli anstellen, zumindest nie, wenn es Männer sind. Da hilft es auch nicht, Distanz zu schaffen, indem Anne immer nur ‚die Frau‘ genannt wird.

Foto: Edition Salzgeber

Im Gegensatz zu anderen Sextouristen zeigt die in der Karibik überwinternde Anne keinerlei Kolonialgehabe, wenn sie die junge Frau in ihre Strandvilla kommen lässt. Das Ausleben ihrer Homosexualität wirkt vielmehr wie ein letztes verzweifeltes Aufbäumen gegen das Altern: Charlie Chaplins jüngste Tochter Geraldine spielt Anne furcht- und schonungslos als verletzliche und doch zu allem entschlossene Frau, die am Ende ihres Lebens steht. „Ich betrachte sie als sterbendes Tier, das eben nicht auf einen Elefantenfriedhof geht, sondern an einen paradiesischen Ort, an dem man vom Sterben abgelenkt wird“, sagte sie in einem Interview über ihre Rolle.

Die körperliche Präsenz der 71-Jährigen, die 1965 in der Rolle der Geliebten des Doktor Schiwago berühmt wurde und seitdem in über 60 Filmen gespielt hat, ist in „Sand Dollars“ umwerfend: wenn ihre faltigen Füße neben Noelis über die Tanzfläche schaben, wenn die beiden im Meer um die Wette tauchen und natürlich immer wieder in den Blicken, die sie als Anne auf Noeli richtet, mal mit stillem Vorwurf, mal mit brennendem Begehren, oft aber auch nur schüchtern fragend. In Chaplins dunklen, unendlich traurigen Augen tun sich die Abgründe von Annes großer Sehnsucht nach einer letzten großen Liebe auf.


SISSY-Interview mit Geraldine Chaplin: „Sterbend im Paradies“ von Thomas Abeltshauser



Sand Dollars
von Laura Amelia Guzmán, Israel Cárdenas
DO/MX/AR 2014, 85 Minuten, FSK 0,
spanisch/englisch/französische OF mit deutschen UT,

Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

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VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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