Der Moment: My Private Idaho

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In knapp vier Wochen startet die Berlinale, und mit besonderer Spannung wird der neue Film von Gus Van Sant erwartet: „Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“, ein Biopic über den Portlander Cartoon-Künstler John Callahan, der von Oscar-Preisträger Joaquin Phoenix gespielt wird. Van Sants Geschichte mit dem Festival geht bis ins Jahr 1987 zurück, in dem er seinen bahnbrechenden Debütfilm „Mala Noche“ erstmals einem großen internationalen Publikum vorstellte und seine Weltkarriere als Regisseur so richtig begann. Vier Jahre später zeigte er in Berlin seinen dritten Film, „My Private Idaho“, der für viele Schwule zum Schlüsselfilm für die eigene Identitätsfindung wurde und heute als Meilenstein des New Queer Cinema gilt. Auch als wir den Schriftsteller und Journalisten Matthias Frings – der nicht nur regelmäßig für die sissy Filme bespricht, sondern auch Autor von Büchern wie der Schernikau-Biografie „Der letzte Kommunist“ (2009) und dem Roman „Manchmal ist das Leben“ (2014) ist – nach seinem filmischen Lieblingsmoment fragten, erinnerte er sich an diese eine Szene am Lagerfeuer, irgendwo in Idaho.

Foto: Screenshot / Universum Film

Zwei Wölfe am Feuer

von Matthias Frings

Gus Van Sant – ein Regisseur mit einem Namen wie aus einer Seifenoper: Gass Vän Sänt. Keanu Reeves und River Phoenix – die schönsten (Reeves) und talentiertesten (Phoenix) Jungstars ihrer Zeit zum ersten Mal gemeinsam auf der Leinwand. „My Private Idaho“ – dort findet sich mein ganz persönlicher Filmmoment.

Aber ein Moment ist immer Verdichtung, hat immer eine Vorgeschichte. Dieser auch.

Es muss 1987 gewesen sein. Ich berichtete für das Radio von der Berlinale, und der legendäre Panorama-Chef Manfred Salzgeber nahm sich wie jedes Jahr eine Stunde Zeit, um mich auf die Filme einzuschwören, die für „uns“ wichtig waren. Er hielt dies auch mit anderen Journalisten so, Lobbyarbeit für schwullesbische Filme, wie man damals sagte, so gescheit und originell, so innig und mit Schmackes, dass niemand es fertig gebracht hätte, über einen seiner Herzensfilme nicht zu berichten.

In diesem Jahr trommelte er besonders für Van Sants „Mala Noche“, eine Arbeit in körnigem Schwarzweiß, die Geschichte einer Amour fou zwischen dem Verkäufer Walt und einem mexikanischen Gelegenheitsstricher, ebenso roh wie stilbewusst, auf eine leicht verstörende Art sexy, aber vor allem: Dieser Film entschuldige sich nicht für sein Thema, erkläre sich auch nicht, darin ein veritabler Vorläufer des New Queer Cinema.

Wahrscheinlich hat Manfred Salzgeber es nicht nur mir beigebracht: Ein Film muss nicht von Vor- bis Abspann perfekt sein, um ihn schätzen zu können. Schon aus technischen Gründen besteht jeder Film ausschließlich aus unendlich vielen einzelnen Momenten – und genau dies wusste er zu schätzen. Manchmal sagte er: „Als Ganzes kannst du den Film vergessen, aber diese eine Szene gegen Ende hin, dieser eine Moment, da musst du genau hinschauen, dafür lohnen sich die restlichen anderthalb Stunden.“

Einen solchen Moment – und nicht nur diesen, sondern viele weitere erinnerungswürdige Momente – gibt es in Van Sants übernächstem Film „My Private Idaho“ zu bestaunen. Nachdem sein erster Langfilm „Drugstore Cowboy“ (Matt Dillon und Kelly Lynch als Bonnie and Clyde auf Heroin) ein Achtungserfolg geworden war, arbeitete er an einer Liebesgeschichte unter Strichern. Zwei junge Wölfe unterwegs, einer, der romantisch aufheult, der andere mit kaum sichtbaren Fangzähnen im hübschen Mund.

Da der Film ein Roadmovie ist, muss mindestens einmal ein Lagerfeuer brennen, denn im Feuerschein, das wissen wir alle, kommen die wirklich wichtigen Dinge zur Sprache. Beste Freunde sind die beiden, ja, aber Mike (River Phoenix) ist in seinen heterosexuellen Kumpel Scott (Keanu Reeves) verliebt. Wir kennen auch dies, das Gefälle des Begehrens. Scott, der das Gewerbe der Liebe nutzt, um sich für die Herausforderungen einer Karriere zu stählen, sagt: „When you start doing things for free you grow wings and become a fairy.“

Rot ist die dominierende Farbe dieses Films, ein angeschmutztes Rot, ein rostiges Orange fast schon, Scotts T-Shirt und Mikes Jacke, immer dasselbe Rot, und nun legt das Licht des flackerndes Feuers eine weitere Schicht fleckigen Rots über die Szenerie. So vertraut, so anrührend: Wie Phoenix da hockt, das Herz übervoll und schon auf verlorenem Posten, Arme und Beine ganz nah an den Körper gepresst, Wörter, die nur stockend herauskommen: „I mean, I mean… for me… I could love someone even if I, you know, wasn’t paid for it.“ Scott neben ihm, hingegossen, das Gegenteil seines zusammengefalteten Freundes, sagt nur: „Mike“. Sehr freundlich, aber mit warnendem Unterton. Doch der ist schon zu weit gegangen. Hockt da in diesem Höllenrot, weiß um die Vergeblichkeit dieser Liebe, aber jetzt muss alles raus: „I really wanna kiss you man… Well goodnight man… I love you though… “

Wem da nicht das Herz bricht, der hat keins.




My Private Idaho
von Gus Van Sant
US 1991, 104 Min., FSK 16,

deutsche SF & englische OF mit deutschen UT,
Universum Film

 

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