Der Staat gegen Fritz Bauer
Trailer
Nicht versöhnt: Lars Kraumes Politthriller „Der Staat gegen Fritz Bauer“ bedient sich Elementen des Melodrams, um das Bild eines deutschen Helden der Nachkriegsgeschichte, der u.a. den Ausschwitz-Prozess ermöglichte, um das eines Opfers zu erweitern, das durch den in der BRD beibehaltenen Paragraphen 175 erpressbar wird.
„Der Jude ist schwul“
von Sascha Westphal
„Monströse Verbrechen haben die Eigenschaft, sagte Fritz Bauer,
daß sie, sobald sie in die Welt treten, für ihre Wiederholung sorgen.“
(„,Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter‘ – 48 Geschichten für Fritz Bauer“,
Alexander Kluge)
„Komm, lass es uns bis auf die Spitze treiben,Solange wir inkognito bleiben“
(„Inkognito“, Julian Maas, Christoph M. Kaiser, Ali Zuckowski)
In der letzten Einstellung, bevor einige Texteinblendungen die Erzählung abschließen, steht der von Burghart Klaußner gespielte Fritz Bauer noch einmal vor der schwarz-weiß gemusterten Tapete in seinem Büro. Die zu Fäusten geballten Hände hat er auf den Schreibtisch aufgestützt, den Kopf ein wenig vorgestreckt blickt er aus dem Zentrum des Bildes direkt in die Kamera. Er setzt noch einmal ein Zeichen. Die kämpferische Haltung verleiht seinen Worten, mit denen er seinem direkten Untergebenen, dem Oberstaatsanwalt Ulrich Kreidler, entgegentritt, Nachdruck. Es liegt auch eine Drohung in diesem Bekenntnis. Bauer wird nicht aufgeben. Er wird den Weg, den er seit Jahren verfolgt, weitergehen und sich auch von Kreidler nicht aufhalten lassen.
Was folgt, ist bekannt. Im Dezember 1963 wird der unter Fritz Bauers Leitung vorbereitete erste Auschwitzprozess vor dem Schwurgericht in Frankfurt am Main eröffnet. Das System des Schweigens und Verdrängens bekommt Risse. Fortan ist es nicht mehr so einfach, die Augen vor den deutschen Verbrechen zu verschließen. Ein später und unter größten Widrigkeiten errungener Erfolg für den hessischen Generalstaatsanwalt, der als Sozialist und Jude 1933 selbst acht Monate im KZ gewesen war, und 1936 schließlich nach Dänemark emigrieren konnte. Doch der Weg zu diesem Sieg ist der Stoff eines anderen, weitaus simpler angelegten Films, Giulio Ricciarellis „Im Labyrinth des Schweigens“.
Am Ende von Lars Kraumes „Der Staat gegen Fritz Bauer“ ist der Generalstaatsanwalt eben kein Sieger. Sein streiterisches Auftreten hat einen hohen Preis, den er gerade erst, während seines Zusammentreffens mit Kreidler, gezahlt hat. Gegen seine innerste Überzeugung musste er dem Oberstaatsanwalt zubilligen, den anstehenden Prozess gegen seinen Vertrauten Karl Angermann mit genau der Härte zu führen, die Kreidler unter Berufung auf den Paragraphen 175 als angemessen erachtet. Er, der sich niemals mehr der Tyrannei beugen wollte, der immer noch darunter leidet, dass er einst im KZ seinen sozialistischen Idealen in einem Brief öffentlich abgeschworen hatte, kann gar nicht anders. Er muss bei der beruflichen und gesellschaftlichen Vernichtung seines Freundes Angermann zusehen, wenn nicht alles vergebens sein soll.
Am Paragraphen 175 kann der Einzelne, selbst wenn er Generalstaatsanwalt ist, in den späten 1950er Jahren nur scheitern. Monate zuvor hatte Bauer dem jungen Angermann, der gegen den Schwulenparagraphen, der von den Nationalsozialisten noch einmal verschärft worden war, rebellieren wollte, im Gespräch an das 1957 ergangene Urteil des Bundesgerichtshofs erinnert, demzufolge dieses „Gesetz keine typisch nationalsozialistische Weltanschauung“ repräsentiert. Die Kontinuitäten reichen weit über das Jahr ’33 bis ins Kaiserreich zurück. Dennoch lebt, und das wissen Bauer und der innerlich zerrissene, von seinen Leidenschaften verunsicherte Angermann ganz genau, in der menschenverachtenden Unrechtssprechung auf der Basis dieses Paragraphen das Denken und die Mentalität des Dritten Reichs weiter.
„Der Schoß ist fruchtbar noch“, heißt es bei Bertolt Brecht. Bei Kraume muss aber gar nichts groß heraus kriechen. Es ist alles noch da, vielleicht ein wenig überdeckt, aber von einer derart dünnen Schicht demokratischer Erde, dass nichts wirklich verborgen liegt. Die Realität im Wirtschaftswunderland der späten 1950er Jahre, das ist zum einen die weiße Postkarte, die an den „Herrn Dr. jur. F. ISRAEL BAUER“ adressiert ist und auf deren Rückseite nur zwei unterstrichene, mit drei Ausrufezeichen versehene, maschinengeschriebene Worte stehen: „JUDE VERRECKE!!!“. Aber zumindest prangt auf der Drohpostkarte eine Europa-Briefmarke. Der anonyme Schreiber weiß genau, auf welcher Seite die Bundesrepublik steht und wer schützend die Hand über die neuen, in Wahrheit aber alten Eliten des Landes hält.
Nachdem Bauer die Karte gelesen hat, zoomt Kraume extrem schnell auf Klaußner zu. Es ist ein Moment absoluter Klarheit, in dem das Leben ins Taumeln gerät. Der Schock der Erkenntnis sitzt tief, nicht nur bei Bauer, der die deutsche Wirklichkeit nur zu gut kennt. Später gibt es dann noch einmal einen ähnlichen Zoom. Der Generalstaatsanwalt hat sich bereit erklärt, in einer Fernsehshow die Fragen junger Deutscher zu beantworten. Nun kommt die Fernsehkamera fast wie eine Waffe auf ihn zu. Kraumes Zoom verstärkt die Bedrohung, potenziert sie. Wieder einmal wird Bauer bedrängt. Deutschland ist trotz seiner Stellung für ihn weiterhin Feindesland. Und so sind die Glückwünsche und Gratulationen am Tag nach der Fernsehsendung vielleicht sogar noch schlimmer als die Flut der Drohbriefe, die sich nun über ihn ergießt. Jedes Lächeln und jede joviale Geste betont nur Bauers Isolation, seine Einsamkeit.
Die „Jude verrecke“-Postkarte ist die eine, die heimliche Seite der bundesrepublikanischen Welt. Der Antisemitismus muss anonym bleiben. Für die homophoben Überzeugungen gilt das allerdings nicht. Das Rumoren, das durch den Gerichtssaal geht, ist kurz davor, sich zum Tumult auszuweiten. Der junge, von Ronald Zehrfeld verkörperte Staatsanwalt Angermann hat etwas Unerhörtes gewagt. Im Prozess gegen den ehemaligen Medizinstudenten Johann Kraus, der wegen homosexueller Prostitution und wechselseitigem Onanieren vor Gericht steht, hat er eine Strafe von fünf D-Mark gefordert, eben die fünf D-Mark, die Kraus mit diesem verbotenen Akt verdient hat. Ein solch salomonischer Strafmaßvorschlag provoziert das Entsetzen wie den Zorn der anwesenden Zuschauer und Juristen. So etwas lässt sich nicht mit ihrem Empfinden vereinbaren, und in dieser Situation können sie all dem Hass, den sie ansonsten für sich behalten müssen, der sich nur anonym Bahn brechen darf, endlich öffentlich freien Lauf lassen. Der Paragraph 175 gibt ihnen schließlich recht, während die Nürnberger Rassegesetze, die Adenauers Kanzleramtschef und rechte Hand Hans Globke einst mitverfasst und anschließend kommentiert hatte, der Vergangenheit angehören.
Der versteckte, aber immer noch allgegenwärtige Hass auf Juden und der offene, bei jeder sich bietenden Gelegenheit hervorbrechende Hass auf Schwule gehören in Lars Kraumes Porträt der 1950er Jahre untrennbar zusammen. Nicht zufällig kommentiert Oberstaatsanwalt Kreidler die Mitteilung, dass Fritz Bauer homosexuell ist, mit dem Satz: „Der Jude ist schwul.“ Angesichts der von einem kaum unterdrückten Lächeln auf den Lippen begleiteten Verachtung, die Sebastian Blombergs Kreidler in diese vier Worte legt, läuft es einem eiskalt über den Rücken. In dieser einen, voller Bedacht hingeworfenen Bemerkung offenbart sich das ganze Ausmaß der Kontinuität vom Dritten Reich in der Bundesrepublik. Und diese widerwärtigen Worte gehören längst nicht der Vergangenheit an. Die Linie zieht sich – davon zeugt Lars Kraumes anderer neuer Film „Familienfest“ – bis in die Gegenwart.
In den Politthriller, der von Fritz Bauers Jagd auf Adolf Eichmann und dessen Entführung durch den Mossad erzählt, mischt sich das Melodrama zweier homosexueller Männer. Klaußners Bauer gibt seinem Begehren allem Anschein nicht mehr nach. Der Paragraph 175 und die allgemeine Stimmung in der Bundesrepublik zwingen ihn zu einem Leben in Einsamkeit und Verstellung. Seine Selbstbeherrschung und -kontrolle gehen so weit, dass er selbst eine harmlose Geste Angermanns nicht erträgt. Nachdem der junge Staatsanwalt ihm von der Begegnung mit der Transsexuellen Victoria (Lilith Stangenberg) erzählt, legt er seine Hand auf Bauers Unterarm, der sich diesem Moment der körperlichen Nähe sofort wieder entzieht.
Das ist ein unendlich trauriger Augenblick, eines Films von Douglas Sirk würdig. Denn letztlich bleibt Bauer in seiner Situation gar nichts anderes übrig als diese Verleugnung. Angermann, der zögerlich, aber schließlich doch voller Hoffnung seinem Verlangen nachgibt, vertraut dem Versprechen, das in dem Song liegt, den Victoria bei ihren Auftritten in der Schwulen-Bar „kokett“ singt. Zumindest dort, an diesem verwunschenen Ort eines anderen, freieren Lebens, an dem junge Drag Queens und ältere Stützen der Gesellschaft über alle Grenzen hinweg zusammensitzen, sollte er sein dürfen, wer er wirklich ist. Angermann glaubt an das „Inkognito“, das Victoria wieder und wieder in ihrem Sprechgesang hinhaucht. Also treibt er es mit ihr bis auf die Spitze.
Doch selbst in diesen scheinbar geschützten Raum reicht die Macht der Männer, die mit allen Mitteln die anderen inkognito Lebenden beschützen: eben jene SS-Männer und Mörder, die nun vom Wiederaufbau profitieren oder, wie Eichmann, im Ausland Zuflucht gefunden haben. Und so geht Angermann in die Falle, die der BKA-Mann Paul Gebhardt (Jörg Schüttauf) ihm und Bauer gestellt hat. Entrapment auf Deutsch: Um ihre große Liebe Johann Kraus zu retten, arbeitet Victoria mit Gebhardt zusammen. Der eine Augenblick der Ekstase, dem Angermann sich hingibt, macht ihn erpressbar. So wollen der BKA-Mann und sein Verbündeter, der Oberstaatsanwalt Kreidler, ihn dazu bringen, Bauer des Landesverrats zu beschuldigen. Melodram und Politthriller werden eins, und gemeinsam erweisen sich sie als Spiegel eines Landes, das, wie Bauer einmal sagt, noch jede Revolution in Restauration erstickt hat.
Der Staat gegen Fritz Bauer
von Lars Kraume
DE 2015, 105 Minuten, FSK 12,
deutsche OF,
Alamode Film
www.derstaatgegenfritzbauer.de