Der bewegte Mann (1994)

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Das Elend der Heterosexualität und die deutsche Beziehungskomödie: „Der bewegte Mann“ hat 1994 eine schwule Lebenswelt sichtbar gemacht, wie man sie im Mainstream des Kinos in Deutschland nicht kannte. Und wurde mit 6,5 Millionen Zuschauer:innen zum Monstererfolg. Aber haben die alle mit uns oder nur über uns gelacht? Drei Jahrzehnte später hat sich Jochen Werner die Verfilmung des gleichnamigen Comics von Ralf König noch einmal angesehen – und sich über ein hochkomisches Wiedersehen gefreut. Denn auch wenn die legendäre Vorlage fürs Massenpublikum ein Stück weit entschärft wurde: „so lebendig und liebevoll wurde die schwule Szene jedenfalls im deutschen Mainstream-Kino auch danach kaum je wieder porträtiert.“

Bild: Thalia

Willkommen im Mainstream

von Jochen Werner

„Ja und Nein, das kann das Gleiche sein“, singt Max Raabe über den Vorspann von „Der bewegte Mann“, und das klang 1994 zum Kinostart von Sönke Wortmanns zum Beziehungskomödienblockbuster avancierter Adaption des Comics von Ralf König sicher noch deutlich harmloser und neckischer, als es heute wirkt – jedenfalls in den Ohren des „breiten Publikums“, was oder wen auch immer man sich darunter vorstellte. Denn auf ein solches „breites Publikum“ zielte „Der bewegte Mann“ schon ab: Königs Comic markierte 1987 dessen Debüt im Rowohlt-Verlag, wurde zum Bestseller und zog ein Jahr später die Fortsetzung „Pretty Baby“ nach sich, die Wortmann für seine Kinoadaption gleich mitverfilmte. Der erste offen schwule Film der deutschen Mainstream-Kinokomödie wurde dann auch tatsächlich mit über 6,5 Millionen Kinozuschauer:innen zum stilbildenden Erfolgsfilm – ein Schritt in Richtung einer Diversifizierung des deutschen Kommerzkinos? Ja, unbedingt, aber auch einer, für den ein gewisser Preis bezahlt werden musste.

Denn obgleich es in Wortmanns Film durchaus eine schwule Lebenswelt zu sehen gibt, wie man sie so jedenfalls im Mainstream des deutschen Kinos noch nicht kannte, wurden die Vorlagen für die große Leinwand doch auch ein Stück weit entschärft – oder, umgekehrt, die bei König betont unscharfe Grenze zwischen Heteromacker und „modernem“, bisexuellem, halt „bewegtem“ Mann wieder etwas konkreter gezogen. Da gehört sicherlich dazu, dass wir Axel (Til Schweiger), gemeinsam mit seiner Freundin Doro (Katja Riemann), erstmal beim Fremdvögeln auf dem Restaurantklo erwischen. Im Comic verläuft das etwas unspektakulärer, und Königs Doro ist eher mit der Gesamtsituation unzufrieden. Zu eifersüchtig sei er, berichtet der Knollennasen-Axel dort, und dass er angesichts seines eigenen, nicht mehr ganz zeitgemäßen Männlichkeitsbildes an sich arbeiten muss, ist ihm durchaus bewusst.

In die Männergruppe, in der er dann auf den schwulen Walter alias Waltraud (im Film der wunderbare Rufus Beck) trifft, stolpert er bei Wortmann eher zufällig und auf der Suche nach einem Schlafplatz hinein. Was Til Schweiger – den man damals nur aus der „Lindenstraße“ und aus Wolfgang Bülds KfZ-Komödie „Manta Manta“ kannte – Gelegenheit gibt, jedenfalls ein klein wenig von jenem ernst gemeinten Macker-Durchblickertum auszuspielen, das eigene Regiearbeiten wie „Klassentreffen 1.0 – Die unglaubliche Reise der Silberrücken“ später in die Nähe heteronormativer Hate Crimes rücken würde.

Nicht dass die verklemmten Typen, die sich larmoyant die Köpfe heißreden, bei König wesentlich besser wegkämen. Insbesondere die auch später geäußerte Überzeugung des Autors, dass es vielleicht im Hinblick auf die Arbeit an sich selbst und die Veränderung tiefliegender Überzeugungen und Prägungen gar nicht so prioritär sein könnte, immer das hundertprozentig korrekte Wort zu verwenden, kommt in Film wie Comic höchst pointiert zum Ausdruck. Wie auch all die anderen Doppelmoralismen seiner „bewegten“ Heteromänner: Auf das Referat über „Heiße Schenkel blutjunger Töchter“ jedenfalls warten wir heute noch.

Dabei handelt es sich über weite Strecken tatsächlich um eine auffallend werkgetreue Adaption, und viele von Königs Dialogen haben es unverändert in Wortmanns Adaption geschafft – wo sie, damals wie heute, ganz hervorragend funktionieren, denn „Der bewegte Mann“ ist auch beim Wiedersehen nach drei Jahrzehnten immer noch hochkomisch. Das hat er nicht zuletzt seinem großartigen Cast zu verdanken, denn neben Til Schweigers zwischen vertrottelt-chauvinistisch und charmant-lausbübisch changierender erotischer Projektionsfläche und der ewigen 90er-Beziehungskomödien-Queen Katja Riemann glänzen hier vor allem die Hetero-Schauspieler in den tragenden Homorollen. Rufus Becks exaltierte Waltraud ist ebenso unvergesslich wie Armin Rohde als horrorfilmvernarrter Metzger – der „heterosexuellste Homosexuelle der Welt“, der nach der Nachtschicht im Schlachthof den „Frikadellenmörder von Manhattan“ schaut, gern zum Fußball geht und sich noch lieber prügelt.

Bild: Thalia

Und dann ist da natürlich noch Joachim Król, der im Vorjahr in Detlev Bucks Überraschungserfolg „Wir können auch anders …“ erstmals mit lakonischster Komik auf sich aufmerksam gemacht hatte und der nach dem „Bewegten Mann“ aus dem deutschen Kino der 90er-Jahre nicht mehr wegzudenken war. Die Figur des Norbert Brommer hat sich Król mit einer verdruckst-zurückgenommenen Performance zueigen gemacht – und ihr gerade dadurch eine Tiefe und Wahrhaftigkeit gegeben, die sie zum eigentlichen Sympathieträger des Films macht. Denn die Gefahr bestand ja durchaus, dass das größere Interesse, das Wortmanns Film der heterosexuellen Paarbeziehung von Axel und Doro entgegenbringt, das schwule Ensemble von Königs Comicvorlage zu Stichwortgebern und Sidekicks degradieren könnte. Oder im schlimmsten Fall zu Karikaturen und ebenjenen wandelnden Schwulenwitzen, wie man sie aus dem deutschen Mainstreamkino früherer Dekaden kannte. Für Anschauungsmaterial vergleiche man etwa das Gesamtwerk von Werner Röglin.

Das ist aber hier überhaupt nicht der Fall, und so lebendig und liebevoll wie in „Der bewegte Mann“ wurde die schwule Szene jedenfalls im deutschen Mainstream-Kino auch danach kaum je wieder porträtiert. Überhaupt hat man das Gefühl, dass Wortmann hier etwas ganz Entscheidendes aus Königs Comics auf die Leinwand herüberrettet: das Gefühl nämlich, dass diese Geschichten bei aller humoristischen Überzeichnung aus dem Leben und aus dem Alltag heraus geschöpft sind. Somit wird „Der bewegte Mann“ auch zu einer Zeitkapsel, einer doppelten sogar. Denn insbesondere das heterosexuell veranlagte Figurenensemble, von den larmoyanten Labertaschen aus der Männergruppe bis zur zwar emanzipierten, aber doch dem sicheren Kleinfamilienglück zugeneigten Doro, scheint noch in den friedens-, öko-, frauen- und sonstwie bewegten 80er-Jahren verhaftet, denen Königs Comics ja auch entstammen.

Zum Kino-Massenerfolg konnte der Stoff dann allerdings vermutlich doch erst ein paar Jahre später werden – und dann sogar eine kleine Welle im Kino der 90er-Jahre auslösen. Nicht nur die Beziehungskomödienwelle, die das gesamte Jahrzehnt mindestens kommerziell entschieden prägte, sondern auch den einen oder anderen weiteren Versuch, schwule Lebenswelten und auch in ihrer Heterosexualität nicht ganz und gar so festgelegte Protagonisten im kommerziellen Kino (oder auch Fernsehen) zu erzählen. Über die spät nachgereichte WG-Sitcom „Bewegte Männer“, die von 2003 bis 2005 bei Sat.1 zu sehen war und es auf immerhin drei Staffeln brachte, schweigen wir hier lieber mal – aber Rolf Silbers thematisch mindestens verwandte Komödie „Echte Kerle“, in der Christoph M. Ohrt als Macho-Polizist seine eigene Sexualität in Frage zu stellen lernt, könnte man in dieser Hinsicht durchaus einmal wiederentdecken. Zumindest ein bisschen, denn so lustig wie Wortmanns Film ist sie leider bei weitem nicht.

Derart pointiert und geschliffen kamen allerdings auch Wortmanns eigene Filme danach selten wieder daher, auch wenn das Wiedersehen von „Der bewegte Mann“ sofort begreiflich macht, warum Wortmann damals als großes Talent und frischer Wind für das deutsche Kino galt. Überhaupt muss man sich im Rückblick unbedingt vor Augen führen, dass die Filmemacher:innen, die Anfang der 90er-Jahre die Beziehungskomödienwelle lostraten, eben gerade nicht, wie heute zumeist, die Angepassten des deutschen Mainstreams waren. Wortmanns „Allein unter Frauen“, Katja von Garniers „Abgeschminkt!“, Rainer Kaufmanns „Stadtgespräch“ – das waren Filme von jungen Wilden, die keine Lust mehr hatten auf verkopftes, am Publikum vorbei inszeniertes Autor:innenkino. Und die sich, nachdem die Oberhausener 1962 öffentlichkeitswirksam Papas Kino zu Grabe getragen hatten, nun wieder trauten, von einem populären deutschen Unterhaltungskino zu träumen.

Bild: Thalia

Sönke Wortmann selbst wurde dann tatsächlich zu einem der erfolgreichsten Regisseure dieses neuen deutschen Unterhaltungsfilms – denn neben gar nicht mal so wenigen Flops ist es ihm immer wieder gelungen, neue kleine Wellen und Trends im deutschen Kino auszulösen oder mindestens entscheidend mitzuprägen. Und dann eben auch, im Gegensatz zu vielen anderen, rechtzeitig wieder etwas Anderes zu drehen, bevor die Welle endgültig ausgelaufen ist. An den Erfolg von „Der bewegte Mann“ knüpfte Wortmann in den 90ern eigentlich nur noch einmal direkt (und halbwegs erfolgreich) an, mit seiner Verfilmung von Hera Linds Bestseller „Das Superweib“. (Dass Ralf König und Hera Lind in der Nivellierungsmaschine des deutschen Kinos Teil ein- und derselben Welle sein können, ist eine andere Frage für einen anderen Text.)

Und während die deutsche Beziehungskomödie so lange ausgepresst und zu Tode variiert wurde, bis sie um die Jahrtausendwende herum wirklich niemand mehr sehen wollte, versuchte sich Wortmann an einer Campuskomödie und einem Hamburger Kiezfilm, legte einen vollumfänglich gescheiterten Versuch einer Hollywood-Karriere hin – und war dann, um die Fußball-WM 2006 herum, wieder zur richtigen Zeit am richtigen Drehbuch und profilierte sich mit dem Fußballfilm-Doppelschlag „Das Wunder von Bern“ und „Deutschland. Ein Sommermärchen“ als so etwas wie der Leni Riefenstahl der Berliner Republik.

Heute ist Wortmann nach wie vor ungebrochen produktiv als Regisseur einer fortlaufenden Serie bürgerlicher Social-Engineering-Komödien, die 2025 mit „Frau Müller muss weg!“ begann und auch mit „Der Spitzname“ 2024 noch nicht abgeschlossen scheint. Von der Frische der frühen Jahre ist darin nichts mehr zu spüren. Oftmals geht es zwar auch um Formen von Unangepasstheit, zumeist vor dem Hintergrund des Schul- oder Universitätssystems, in dem prinzipiell alle Lehrer von Christoph Maria Herbst gespielt werden. Die Perspektive ist aber streng bourgeois, all diese Filme blicken mit Eltern- und/oder Lehreraugen auf das Bildungssystem und die Jugend von Heute.

Da hatte zuletzt selbst noch Simon Verhoevens „Alter weißer Mann“, noch so ein wohlmeinender Social-Engineering-Film, mehr Welthaltigkeit zu bieten – und auch, im Gegensatz zu Wortmanns durch und durch heterosexuellem Spätwerk, jedenfalls einen Hauch Queerness. Denn auf seiner Odyssee zur großen Aussöhnung und der eigenen Anschlussfähigkeit an die Neue Zeit macht Jan Josef Liefers‘ Titel(anti)held dort auch einen Abstecher in die queer-woke Berliner Szene, die Verhoeven eher mit spürbarer Sympathie (über-)zeichnet, statt sie, was dem Film oft vorgeworfen wurde, bloß aus onkelhafter Perspektive lächerlich zu machen.

Um eine Aktualisierung von „Der bewegte Mann“ für die Boring Twenties des 21. Jahrhunderts sind wir übrigens nur haarscharf herumgekommen. Zum dreißigjährigen Jubiläum im Jahr 2024 hätte man bei Constantin Film nur zu gern ein Legacy Sequel produziert – nach dem einigermaßen erfolgreichen Vorbild des anderen großen Early-Til-Schweiger-Kinohits, der 2023 mit „Manta Manta – Zwoter Teil“ neu aufgelegt wurde. Ohne Ralf Königs Mitarbeit hat man sich aber dann doch nicht an eine solche Fortsetzung herangetraut. Vielleicht hatte man auch noch die Sat.1-Sitcom im Hinterkopf, die König selbst nicht zu Unrecht als „schwulenfeindlich“ bezeichnete. Und ebendieser König hatte überhaupt keine Lust auf das Projekt, denn: Til Schweiger und Katja Riemann dreißig Jahre später, was gibt es da noch zu erzählen?

Ein bisschen schade vielleicht auch, denn das Elend der heterosexuellen Kleinfamilie, von Ralf König erzählt, hätte man ja vielleicht sogar ganz gerne auf der Leinwand gesehen. So bleibt uns nur, den lyrischen Epilog aus „Pretty Baby“ zu zitieren: „Zur Pfeife der Natur zu tanzen / Und ständig sich hinfortzupflanzen / Scheint das schicksalsschwere Los / Von Milliarden Heteros. / Sie müssen sich dem Triebe beugen / Und wie die Blöden Kinder zeugen, / Dabei gibt’s schon viel zu viele / Im Übervölkerungsgewühle. / Des Wahnsinns wahre fette Beute / Das sind die ganz normalen Leute!“




Der bewegte Mann
von Sönke Wortmann
DE 1994, 94 Minuten, FSK 12,
deutsche OF

Als DVD und VoD

 

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