Das Blau des Kaftans

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Halim und Mina betreiben eine traditionelle Schneiderei in der Medina von Salé, einer der usrprünglichsten in Marokko. Um den Anforderungen der anspruchsvollen Kundschaft gerecht zu werden, heuern sie einen talentierten jungen Mann namens Youssef als Lehrling an. Mit der Zeit jedoch bemerkt Mina, wie sehr die Anwesenheit Youssefs ihren Mann berührt und er sich zu ihm hingezogen fühlt. „Das Blau des Kaftans“ von Maryam Touzani gewann letztes Jahr in Cannes den FIPRESCI-Preis in der Reihe „Un Certain Regard“ und ist jetzt in den deutschen Kinos zu sehen. Matthias Frings über ein Liebesdrama voll puren Sinnlichkeit.

Foto: Arsenal Filmverleih

Was schön ist, ist auch wahr

von Matthias Frings

Die Augen gehen einem über. Was für Farben! Was für eine Textur! Dieses Licht, diese Schatten! Ständig möchte man in die Leinwand greifen, Stoffe durch die Hände gleiten lassen, Haut betasten, durch Haare fahren. Man möchte die Gerüche des Basars einatmen und sich in seinem verheißungsvollen Leuchten verlieren. Es erscheint unangemessen, geradezu läppisch, einen Film schlicht als „schön“ zu bezeichnen. Schönheit, einst unabdingbar zentrale Kategorie in der Kunst, wirkt heutzutage ganz unmaßgeblich, verdächtig sogar. Innovativ, engagiert, bedeutungsschwer, provokant – geht alles. Aber Schönheit? Das riecht nach Rückwärtsgewandtheit und Schöner Wohnen.

Was den Zuschauer dieses Films jedoch vom ersten bis zum letzten Bild betört, bestürzt und in den Bann zieht, ist genau dies: seine Schönheit. Und die ist nicht begrenzt auf die atemberaubende optische und inszenatorische Sinnlichkeit, die nie auftrumpfende Pracht und ausgeklügelte Ästhetik. Sie ist keine Zugabe, nicht pure Oberfläche und Form, sondern Inhalt. Sie wirkt ganz im klassischen Sinn, wo Schönheit immer auch die Schönheit des Gedankens meinte. Sie galt als Vermittlerin der Wahrheit, dem Satz folgend: Was schön ist, ist auch wahr. Dieser Satz passt auch auf den Film von Maryam Touzani, denn um die Wahrheit, beziehungsweise die Notwendigkeit, sich der Wahrheit zu stellen, geht es in diesem kleinen Meisterwerk.

In der Medina der marokkanischen Hafenstadt Salé betreibt Halim zusammen mit seiner Frau Mina eine Schneiderwerkstatt für traditionelle Kaftane. In Nahaufnahme folgt die Kamera dem Faltenwurf eines herrlich blauen Stoffes, petrol, wie wir später lernen werden, fährt einen behaarten Unterarm entlang und landet auf dem ernsten Gesicht von Halim, einem attraktiven Mann Mitte Vierzig. Mit Bedacht sucht er einen goldenen Faden aus, der als Besatz dienen könnte, und drapiert mit großer Delikatesse den Kaftan um eine Schneiderpuppe. Schnitt in den Verkaufsraum, wo seine Frau Mina die Näharbeit des Lehrlings überwacht. Und wieder eine Nahaufnahme, diesmal das hübsch bewimperte Gesicht von Youssef, der hier anfangen will, von Mina aber kritisch beäugt wird.

Wie eine Ouvertüre sind in dieser Szene die Brennpunkte der kommenden zwei Stunden kondensiert: In der Liebe zum Handwerk mit seinen gesetzten, maßvollen Bewegungen flackert ganz still eine besondere Intimität zwischen dem Meister und seinem Gesellen auf, von Mina sofort erfasst und mit Blicken eifersüchtig verfolgt. Als erfahrenes Publikum ähnlicher Filme meinen wir den Fortgang zu kennen: Eine unterdrückte Liebe zwischen Männern in einem streng religiösen, patriarchalischen Land, wo Homosexualität unter Strafe steht. Zuneigung und Sex, Verrat, Verfolgung, ein Konflikt mit dramatischem Ende. Hier jedoch nichts davon.

Foto: Salzgeber

Zwar folgen wir Halim eines Abends in den Hamam, wo er zu einem Mann in dessen Kabine tritt, doch bald wird nur durch Blicke und Gesten klar, dass Mina vollkommen im Bilde ist. Hier ist eine Verabredung getroffen worden, bei der jeder seinen Part spielt. Behutsam taucht man ein in das Leben dieses Ehepaars und versteht: Diese beiden lieben sich. Sie ist die Dominante, weil sie ihn beschützen muss. Er ist gefährdet, weil sein Begehren sie beide gefährdet. Daher das fein austarierte Gleichgewicht, das stille Übereinkommen.

Der junge Youssef scheint dies intuitiv zu begreifen und respektieren, aber ihm entgeht auch nicht, wie attraktiv die Sanftheit des Mannes wirkt, wie sie zur Stärke wird, sobald er sich seinem Handwerk widmet. In Youssefs Augen, die aufmerksam den Handgriffen des Meisters folgen, steht immer auch Sehnsucht, aber außer dem Hauch einer Berührung, so klein und still inszeniert, dass sie groß und bedeutend wirkt, ist von forcierter Annäherung nichts zu spüren. Die Sinnlichkeit, die über der Szenerie liegt, wird auf ganz andere Art gezeigt.

Foto: Salzgeber

Kamera, Licht und Farbgestaltung nutzen die ihnen jeweils eigenen Sprachen, wenn sie von Begierde, Einsamkeit, Sehnsucht und Angst erzählen. Da ist das Gleiten der Stoffe, Ihr Glanz, ihr Faltenwurf. Da ist das milchige Blau eines Dampfraums im Hamam, das verheißungsvolle Blau einer Abenddämmerung und das lichte Blau eines kühlen Morgens. Licht agiert hier wie ein Mitspieler, anfangs indirekt, fast schummrig, wird es immer heller, während die Spannungen sich auflösen. Die wachsende Anziehung zwischen dem Schneider und seinem Lehrling findet ihre Entsprechung im immer prächtigeren Aufblitzen von goldenen und silbernen Fäden, von Troddeln und Bordüren, im Flimmern und Funkeln und Züngeln der Posamenten.

Der Film, der 2022 in Cannes Premiere hatte und dort den FIPRESCI-Filmpreis gewann, kommt nie grell oder schnell daher. Dennoch ist er keine Sekunde langweilig, weil er seinen Bildern traut, ein nie abreißender Kommentar ohne Worte. Nahezu skandalös beiläufig erfahren wir, dass Mina todkrank ist und längst auf Morphium arbeitet. Bald geht auch das nicht mehr. Die Arbeit wird in die Wohnung des Ehepaars verlegt, wo das Trio gezwungen ist, das Unsagbare endlich auszusprechen.

Foto: Arsenal Filmverleih

Nur herausragende und sehr erfahrene Schauspieler können einen Film mit so ambitionierter Herangehensweise tragen, und die hat Regisseurin Maryam Touzani gefunden. Saleh Bakri gestaltet hier einen arabischen Mann, der statt des in ähnlichen Filmen so oft gesehenen virilen Auftrumpfens mit auffallender Sanftmut agiert, dessen Besonnenheit zu beeindruckender Stärke geronnen ist. Er ist ganz bei sich und wortkarg bis zur Verstocktheit, doch wenn er spricht, klingt das so sanft, als wären seine Stimmbänder mit Samt umwickelt. Meisten benötigt er allerdings weder Stimme noch Sprache, seine Augen reichen vollends, um seine gesamte innere Landschaft von Liebesfähigkeit bis Einsamkeit, von Sehnsucht bis Erfüllung erfahrbar zu machen.

Das Kraftzentrum des Films stellt jedoch die großartige Lubna Azabal dar, die hier in vielerlei Hinsicht eine mutige Vorstellung gibt. Mit uneitler Selbstverständlichkeit zeigt sie die vielen Facetten dieser ebenso enttäuschten wie liebenden Frau. Innerhalb eines Augenaufschlags kann sie von verbitterter Matrone zu jungem Mädchen wechseln, von gefürchteter Chefin zu zärtlicher Beschützerin. Alles ist zu sehen, Humor wie Härte, dünne Haut und dickes Fell, Lebensmut und Todesangst. Bewundernswert, wie leichtfüßig schauspielerische Wucht daherkommen kann.

Irgendwann ist der blaue Kaftan fertiggenäht, und auch die Geschichte kommt an ihr Ende. So wie Kleidung verhüllt und offenbart, muss auch im Film der Tarnmantel abgelegt werden, muss eine Haltung zu seinen Enthüllungen gefunden werden. Und wie er das tut, kann man einfach nur als „schön“ bezeichnen.




Das Blau des Kaftans
von Maryam Touzani
FR/MA/BE/DK 2022, 122 Minuten, FSK 12,
arabische OF mit deutschen UT

Ab 16. März im Kino

 

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