Chavela

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„Ich glaube, es gibt keine Bühne auf dieser Welt, die groß genug für Chavela wäre“, hat Pedro Almodóvar einmal über Chavela Vargas gesagt. Bevor er die mexikanische Sängerin in den 90er Jahren in seinen Filmen „Die Waffen einer Frau“ und „Mein blühendes Geheimnis“ besetzte, hatte man sie in ihrer Heimat schon beinah vergessen. Dabei war die offen lesbische Chavela von den 50ern bis in die 70er eine der bekanntesten Musikerinnen Lateinamerikas und galt als Königin der Rancheras, der mexikanischen Volkslieder, die sie zu Stücken einer tief verletzten Seele umgestaltete. Catherine Gund und Daresha Kyi haben über die berüchtigte Liebhaberin und große Einzelgängerin nun einen berührenden Dokumentarfilm gedreht.

Foto: Arsenal Filmverleih

Die Stimme der Einsamkeit

von Maria Marchetta

„Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ – Wenn Tolstojs Worte aus seinem Roman „Anna Karenina“ nicht so verbraucht wären, könnten sie auch „Chavela“ einleiten, Catherine Gunds und Daresha Kyis Dokumentarfilm über Chavela Vargas. Das Leben der mexikanischen Sängerin müsste man eigentlich im ganz großen Spielfilm-Format verfilmen, ihr Leben hätte eine tolstojeske Inszenierung verdient. Für das Kinopublikum ist es aber ein Glück, dass es nun diesen Dokumentarfilm gibt. Denn den beiden Regisseurinnen gelingt es, aus dem wenigen zur Verfügung stehenden Material – Fotos, Plakaten, ein paar Konzertmitschnitten und eigenem Interviewmaterial von Catherine Gund – das Leben der Sängerin auf bewegende Weise zu rekonstruieren. Der Film stellt dabei die Lieder und die gewaltige Stimme Chavelas in den Mittelpunkt. Während sie singt, blenden die Filmemacherinnen die Songtexte über die Bilder. Mit Aug und Ohr lesen und hören wir so, welch Gedichte voller Melancholie und Weltschmerz Chevaleas Rancheras sind. Trotz seiner konventionellen Machart ist „Chavela“ so ein überaus lyrischen Film geworden: ein anrührendes Dokument zur Entdeckung – oder Wiederentdeckung – einer beeindruckenden Frau.

Am 17. April 1919 wurde Isabel Vargas Lizano in einem kleinen Dorf an der Pazifikküste Puerto Ricos als Kind von Rancheros, von Bauern, geboren. In dem Interviewmaterial, das Catherine Gund 1991 aufnahm und das den Grundstock des Films bildet, erzählt die damals 72-Jährige von ihrer unglücklichen Kindheit. Die kleine Isabel erkrankte an Kinderlähmung, was ihren Vater nicht davon abhielt, sie schon mit sechs Jahren in den Umgang mit Revolver und Gewehr einzuführen. Sie sei ein trauriges Mädchen gewesen, das von den Eltern nicht geliebt wurde, weil sie zu wenig mädchenhaft gewesen sei, erzählt Chavela. Von Anfang an sei sie allein gewesen. Einsamkeit, das habe sie schon in ihrer Kindheit am meisten geprägt. „Ich bin eine Person, die keiner Norm entspricht“, hat Chevala einmal gesagt. „Die war ich seit ich jung war. Ich habe nie das gemacht, was die Leute von mir erwarteten.“

Mit 14 Jahren floh sie nach Mexiko, dem traumverheißenden Zufluchtsort vieler Südamerikaner_innen in den 30er Jahren. Zunächst schlug sie sich als Straßensängerin in Mexiko City durch. Damals hätten sich Frauen problemlos alleine in Bars aufhalten können. Heute dagegen würde eine Frau, die alleine unterwegs ist, betatscht und belästigt. Wo ist es hin, dieses alte und schöne Mexiko? Schon wieder klingt Chavela melancholisch…

Foto: Arsenal Filmverleih

Anfang der 50er Jahre entdeckte sie dann der Sänger José Alfredo Jiménez. Mit ihm zog Chavela durch Tavernen, Konzertsäle und Bars. Anfangs, so Chavela, sei sie noch in traditionellen weiblichen Outfit jener Zeit aufgetreten: mit toupierten aufgetürmten langen Haaren, High Heels, Make-up und in weiten Röcken. „Ich sah aus wie ein Transvestit“, sagt sie über diesen Aufzug. Erst als sie entnervt diese Verkleidung ablegte und sich von dieser sehr weiblichen Frauenrolle emanzipierte, sich den mexikanischen Poncho überwarf, in Hosen auftrat und ihrer Liebe zu Frauen nicht mehr verschwieg, wurde die Welt auf sie aufmerksam.

In den 50er und 60er Jahren verkehrte sie in Acapulco, dem Treffpunkt der Prominenz aus Politik, Kultur und Hollywood, mit Berühmtheiten aller Couleur. Sie war befreundet mit Pablo Neruda, Gabriel Garcia Marquez und Augustin Lara. Und sie verdrehte mit ihrem Charme aus Stärke und Traurigkeit Frieda Kahlo und Ava Gardner den Kopf. Über die Hochzeit von Elizabeth Taylor und Michael Todd, bei der sie auftrat, erzählt sie mit trockenem Humor: „Es wurde getanzt, getrunken und im Meer gebadet, am Ende landeten alle mit irgendwem im Bett. Ich wachte neben Ava Gardner auf.“ Sie sollte noch neben vielen anderen Frauen aufwachen.

Foto: Arsenal Filmverleih

Chavela nahm sich, was ihr gefiel. Dabei verhielt sie sich so machohaft, wie sie es sich von den Männern abgeguckt hatte. Vielleicht lag es an ihrem selbstverständlich gelebten Machismus, dass ihr die Männer das maskuline Auftreten nicht übel nahmen, selbst jene nicht, deren Ehefrauen sie verführte. In einem Mix aus Melodram und queerer Sexualität hat Chavela die Canciones Romanticos aus der iberischen Tradition der Boleros und Baladas der lateinamerikanischen Hitparaden herausgelöst und mit den traditionellen mexikanischen Canciones Rancheras verschmolzen. Die Canciones Rancheras sind Lieder über die Hingabe der Männer zu Frauen, Hymnen der heiteren Verzweiflung. Es sind diese schwermütigen Volksgesänge über enttäuschte Liebe und Rückzug in die vollkommene Einsamkeit, die aufs Treffendste mit Chavelas eigenem Leben korrespondierten.

Sie flüstert, brüllt, fleht, bittet, schluchzt und ringt in ihren Liedern, beschreibt die Liebe und sich selbst in einer verwundbaren Offenheit und scheint getrieben vom Gefühl radikaler Einsamkeit. Sie, die sagt, „in allem lass ich ein Stück meines Herzens“, hat sich dieses traditionelle männliche Genre der mexikanischen Musik nicht nur in radikaler Weise angeeignet. Sie hat die Rancheras mit ihrem tiefen rauen Timbre, ihrer Ernsthaftigkeit und Expressivität auch von ihrem kommerziellen, süßlichen Kitsch befreit und ihnen alles Gefällige ausgetrieben. Sie sang als Frau über Herzensbrecherinnen, trat machohaft in Männerkleidern auf, rauchte Zigarren und trank Tequila. Und sorgte im katholischen Mexiko mit dieser sexuellen Ambivalenz mächtig für gender trouble. Obwohl die lesbische Community Chavela verehrte, blieb sie als Rollenmodell widerspenstig. Dabei war sie selbst von der hypermachistischen Kultur, die ihr Anderssein ja erst definierte, regelrecht besessen. Sie selbst bezeichnet sich in Interviews immer wieder als „Macha“. Im Umgang mit ihren Geliebten zeigte sich dieser Machismus durchaus deutlich.

Foto: Arsenal Filmverleih

Chavela sang nicht nur von der verhängnisvoller Liebe, sie bestimmte auch ihr wahres Leben. In den Aufnahmen von Catherine Gund sagt sie jedoch: „Es gibt keine ewige Liebe. Setze dein Leben nicht auf die Liebe, sie löst keine Probleme.“ Auch der Alkohol, dem sie seit Mitte der 70er Jahre mehr und mehr verfiel, löste die Probleme nicht. Sie trank so viel, dass sie nicht mehr auftreten konnte, zog sich aus dem Musikgeschäft zurück und wurde vergessen. 13 Jahre war sie quasi verschwunden. Weggefährtinnen, unter ihnen eine langjährige Geliebte, erzählen auch von diesen schweren Jahren. Sie berichten sehr persönlich von ihrem Leben mit Chavela, was sie für sie bedeutete, was für eine betörende Geliebte sie war, aber auch was für ein Teufel sie sein konnte. Über diese Zeit des Alkoholismus sagt Chavela selbst: „Ich bin 20 Jahre lang gestorben.“

Einer jedoch konnte Chavelas Stimme nicht vergessen. Der spanische Regisseur Pedro Almodovar entdeckte sie in den 90ern wieder, holte sie nach Spanien. Auch mit seiner Hilfe gewann sie den Kampf gegen den Alkohol und wurde trocken. Wieso der Dokumentarfilm aber nicht erwähnt, dass vor Almodovar bereits Werner Herzog Chavela für einen Film gewinnen konnte, 1990 für einen Auftritt in „Cerro Torre: Schrei aus Stein“, bleibt das Geheimnis der beiden Regisseurinnen.

Almodovar besetzte Chavela in seinen Filmen „Die Waffen einer Frau“ (1991) und in „Mein blühendes Geheimnis“ (1995). Während die Mexikaner_innen dachten, sie sei längst gestorben, war Chavela in Spanien plötzlich wieder ein Star. Nun sang sie nicht mehr in Schenken und Tavernen, sondern wieder auf großen Theaterbühnen und in Konzertsälen. Im Alter von 83 Jahren debütierte sie 2003 in der Carnegie Hall in New York. Bis ins hohe Alter stand sie auf der Bühne und sang sogar noch im Rollstuhl. Nur ihr letzter Wunsch, auf der Bühne zu sterben, erfüllte sich nicht: Einen Tag nach ihrem letzten Auftritt, starb Chavela 2012 93-Jährig friedlich in Mexiko.

 

Eine frühere Fassung des Texts erschien in der Schriftenreihe FilmPoesie,
die Maria Marchetta selbst herausgibt.




Chavela
von Catherine Gund & Daresha Kyi
US 2017, 90 Minuten, FSK 12,
spanisch-englische englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln
Arsenal Filmverleih

Ab 17. August hier im Kino


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