Bones of Contention
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Entlang von Spaniens Landstraßen, verdeckt von Pinienbäumen, liegen die Massengräber von über 120.000 anonymen Opfern der Franco-Diktatur. Unter ihnen sind auch zahlreiche Lesben und Schwule, die während des Regimes im Verborgenen leben mussten. Noch heute kämpfen die Hinterbliebenen dafür, die Überreste ihrer Angehörigen bergen und würdig bestatten zu dürfen. Besonders rätselhaft ist, was mit der Leiche des spanischen Dichters Federico García Lorca passiert ist. Die US-amerikanische Regisseurin Andrea Weiss („Paris Was a Woman“, „Escape to Life“) stellt in ihrem neuen Film die Frage, wie ein Land eine Vergangenheit ausgraben kann, die noch heute von oberster Stelle unterdrückt wird, und zeigt dabei den mutigen Kampf der queeren Community um Aufklärung, Gerechtigkeit und Sichtbarkeit. Jessica Ellen über ein poetisches filmisches Denkmal für die vergessenen Opfer unter Franco, das ab 21. Mai im Salzgeber Club zu sehen ist.
Knochen gegen das Vergessen
von Jessica Ellen
„Bone of Contention“ ist das englische Äquivalent des deutschen „Zankapfels“ und der doppeldeutige Titel des neuen Films von Andrea Weiss. Unter ihrer Regie entstanden schon hervorragende Dokumentarfilme wie „A Bit of Scarlet“ (1997) und „Escape to Life: The Erika and Klaus Mann Story“ (2000, mit Wieland Speck). Zusammen mit ihrer Partnerin Greta Schiller, mit der sie auch die Filmproduktion Jezebel Productions gegründet hat, drehte sie „Paris Was a Woman“ (1996). Zuvor leitete die schon die Recherche für Schillers „Before Stonewall“ (1984). Für Weiss sind ihre Filme wie die begleitenden Bücher Ausdruck ihres politischen Aktivismus und zeugen von ihrem künstlerischen und ästhetischen Gestaltungswillen. Sie sind stets nicht nur sehr informativ, sondern auch ein visueller Genuss.
Mit „Bones of Contention“ – das Knochenbild ist hier nicht nur sinnbildlich, sondern auch ganz wörtlich zu verstehen – hat sie sich nun der verdrängten und vergrabenen Geschichte Spaniens während des Bürgerkriegs (1936-39) und des Franco-Regimes angenommen. Andrea Weiss verwebt mit großem Geschick die Suche nach den Verschwundenen, deren prominentester Vertreter der Dichter und Dramatiker Frederico Garcia Lorca (1898–1936) ist, mit der lang andauernden Repression gegen Schwule, Lesben und Transsexuelle unter der Herrschaft Francos (1936/39-75) und auch noch während ihrer allmählichen Auflösung.
Ich erinnere mich, wie ich mit zwölf neben meiner Großmutter im Theater sitzend, fasziniert das Geschehen auf der Bühne verfolgte. Gespielt wurde „Bernarda Albas Haus“ von Lorca. Ich fragte meine Großmutter, ob der Autor noch am Leben sei. Sie wusste es nicht, was mich wunderte. Sie wusste sonst alles über Theater und Dramatiker. Vielleicht wollte sie mir nicht sagen, was passiert ist.
Lorca war schon zu Lebzeiten eine internationale Berühmtheit, doch auch dieser Status konnte den schwulen Kommunisten nicht schützen. Die Flucht nach Mexiko, zu der ihm seine lesbische Freundin Margarita Xirgen, die dort als Schauspielerin erfolgreich war, verhelfen wollte, gelang ihm nicht. Von Madrid war er zu seiner Familie nach Granada geflüchtet. Bei einem Freund, der ihm Unterschlupf gewährt hatte, wurde er verhaftet und im Morgengrauen zusammen mit anderen Männern erschossen. Zitate aus seinem Werk strukturieren als roter Faden Weiss‘ Film und unterstreichen die Poesie der Kamera.
Die ProtagonistInnen des Films zeichnen ein umfangreiches Bild von der Kriminalisierung schwulen Lebens unter Franco und des Totschweigens lesbischer Frauen. Die Republik (1931-36/39) hatte Frauen die Möglichkeit geboten, aus der patriarchalen Ordnung auszubrechen. Nach dem Ende des Bürgerkrieges wurden Frauen und ihre Sexualität wieder auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter reduziert, wobei die mächtige katholische Kirche eine sehr unrühmliche Rolle spielte. Frauen wurden gedrängt zu heiraten und mussten entsprechende Vorbereitungskurse besuchen. Archivmaterial illustriert die Aussagen der ZeitzeugInnen auf eindrucksvolle Weise. Frauen, die der Republik anhingen oder nur ledige Mütter waren, wurden verfolgt, ihre Kinder wurden ihnen weggenommen.
Schwule und Transsexuelle wurden von den eigenen Verwandten denunziert, im Knast unter Anfeuerung der Wärter von Mitgefangenen vergewaltigt, und selbst nach ihrer Entlassung blieb ihnen oft nur die Prostitution, um zu überleben, da sie niemand mehr einstellen wollte. Umso erstaunlicher, dass es dennoch so etwas wie einen schwul-lesbischen Untergrund gab. Das Codewort zum Kennenlernen Gleichgesinnter war: „BuchhändlerIn“.
Franco starb 1975. Er ließ sich außerhalb Madrids im Tal der Gefallenen beisetzen. Ein riesiges Kreuz, weithin sichtbar, bewacht sein Grab – finanziert und aufrechterhalten von Steuergeldern. Es dient als Pilgerstätte für seine Anhänger und ist nicht das einzige Überbleibsel, das an den Diktator erinnert. Ein Platz in Madrid ist nach dem ‚Caudillo‘ (Führer) benannt, und der Triumphbogen, den er nach der Zerschlagung der Republik in der spanischen Hauptstadt errichten ließ, wurde auch nie abgerissen.
1977 kam es zu Verhandlungen zwischen Regierung und linker Opposition, deren Ergebnis eine Amnestie der politischen Gefangenen war. Doch die „Sozialen Gefährder“, so die offizielle Bezeichnung schwuler Männer, mussten ihre Strafe weiter absitzen. Was als großer Erfolg der Demokraten verkauft wurde, erwies sich zugleich als Freibrief für die Täter, von denen kein einziger belangt wurde. Die Amnestie verwandelte sich in Amnesie.
Im gleichen Jahr kam es zur ersten Gay-Pride-Demo in Barcelona. Die Transen marschierten an vorderster Front mit Miniröcken, Perücken und Stilettos. Das war manchem Schwulen in weniger schrillem Outfit peinlich. Doch als die Polizei die Demo auflösen wollte, waren es die High-Heels-TrägerInnen, die die Polizisten in die Flucht schlugen, wie Zeitzeugen mit einem Augenzwinkern berichten.
Immer noch gibt es viele, die über die Verbrechen lieber schweigen wollen. Doch die Verwandten und Nachkommen der Tausenden Verschwundenen wollen keine Ruhe geben. Sie suchen nach den am Wegesrand und in Tälern Verscharrten, sie graben mit bloßen Händen die Knochen aus, Befreien sie mit Pinseln von Erdresten, verifizieren mit Gentests ihre Identität, bestatten sie würdig, neben ihren Angehörigen. Es gibt noch tausende solcher Massengräber im ganzen Land, die auf ihre Exhumierung warten.
Warum diese Fixierung auf Knochen? Die Antwort liegt in der starken katholischen Tradition in Spanien. Knochen von Heiligen werden als Reliquien verwahrt und verehrt, es gibt veritable Ossarien in katholischen Kirchen und Friedhöfen, nicht nur auf der iberischen Halbinsel. Die Toten sprechen anhand der Spuren an ihren Körpern, über ihre letzten Stunden und darüber was ihnen angetan wurde. Die Nachkommen der Täter, die es im öffentlichen Bewusstsein nach wie vor nicht gibt, argumentieren, es sei doch sinnlos, alte Wunden wieder aufzureißen. Die Nachkommen der Verschwundenen aber sagen, erst durch das Auffinden der Opfer, könnten ihre Wunden heilen. Nur der physische Beweis lässt den Tod ihrer Lieben, die oft nicht mal öffentlich betrauert werden durften, real werden.
Lorcas Knochen sind noch immer nicht gefunden worden. Besonders eifrig werden sie an dem Ort gesucht, wo er vermutlich erschossen wurde. Unter dem Gedenkstein, der an ihn erinnert, liegen sie jedenfalls nicht. Ein anderes Schild verkündet trotzig: „Alle sind Lorca“. In Madrid steht eine Skulptur des Dichters, Galionsfigur des republikanischen Spanien und seiner Kultur. Von vielen der LBGT-Gemeinde wird das Denkmal als demokratisches Feigenblatt empfunden. Und nicht alle sind Anhänger des Knochenkultes. Die Nichte des posthum Geehrten, Laura Garcia Lorca. lässt da keinen Zweifel aufkommen: Sie hofft, die Gebeine werden nicht gefunden, dass sei Fetischismus. Ihr Onkel solle in Ruhe gelassen werden.
Mit „Bones of Contention“ ist Andrea Weiss ein ergreifender und wichtiger Film über dieses außerhalb Spaniens wenig beachtetes Kapitel der Zeitgeschichte gelungen, an dem Hitler-Deutschland mit seiner Legion Condor übrigens wesentlich beteiligt war. Doch anders als Hitler und Mussolini, die Franco unterstützten, durfte der spanische Diktator friedlich als Greis in seinem Bett sterben, betrauert von seinen Anhängern. Immer noch wirft er einen langen Schatten.
Bones of Contention
von Andreas Weiss
US 2017, 75 Minuten,
spanisch-englische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber