Barbie

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„Barbie“ dominiert weltweit die Kinokassen und lässt dabei sogar Tom Cruise hinter sich. Das rosarote Puppendrama von Greta Gerwig („Ladybird“, „Little Women“) verspricht auf dem Papier eine smarte Analyse von Barbie als popkulturelles Phänomen und als emanzipatorische Figur, wie sie ihre Herstellerfirma Mattel von Beginn an zu positionieren versucht hat. Doch leider macht die Abhängigkeit des Films von Mattel jeden Versuch einer kritischen Hinterfragung zunichte, findet unsere Autorin Beatrice Behn. Tatsächlich zeigt der Film eine Welt, in der quasi alles, was anders ist, ausgeschlossen wird, nur um die Marke nicht zu schädigen – ein absurdes Paralleluniversum voller zweigeschlechtlicher Verzweiflung, das keine Antworten hat auf sein selbstgemachtes Dilemma. Beatrice fragt: Sind die Heteros eigentlich noch zu retten?

Foto: Warner Bros. Pictures

Traurige Cis-Heteros in pink

von Beatrice Behn

Barbie ist nicht nur ein Spielzeug. Sie ist ein sozio-kulturelles Phänomen. Eine Emanzipation, die Mädchen aus der Puppenmutter-Rolle herausholt und ihnen ein Vorbild einer echten Frau ist, die alles sein kann, was sie will. So zumindest beginnt Greta Gerwigs „Barbie“ mit einer Sequenz in Anlehnung an Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ und setzt damit zum einen den ironischen Unterton, der uns den Film über begleiten wird, aber eben auch das Framing, wie man diese höchst ambivalente Figur doch bitte betrachten soll: als feministisch-emanzipatorische Agentin.

Denn Barbie kann alles sein: Ärztin, Pilotin, Physikerin, ja sogar Präsidentin. Doch Gerwigs Barbie (Margot Robbie) ist eine Normcore-Barbie. Sie kann eigentlich nichts, ist aber trotzdem irgendwie amazing. Ach ja, und dann ist da noch Ken (Ryan Gosling). Ken hat Muskeln und kann Beach, denn er ist Beach-Ken. Ansonsten ist Ken nur relevant in Kombination mit Barbie, denn es heißt ja Barbie und Ken. Alle Barbies und alle Kens leben in Barbieland, einer Art alternativen Realität außerhalb der realen Welt. Und das Leben könnte so schön sein. Jeden Morgen aufstehen im Barbie-Traumhaus, duschen, Frühstück, im Barbie-Cabriolet zum Beach fahren und beachen. Abends dann eine Party mit Tanzchoreographie und anschließend Mädelsabend mit den anderen Barbies. Wenn doch Barbie bloß nicht plötzlich Todesgedanken hätte und dann auch noch ihre auf hochhackige Schuhe kalibrierten Füße plötzlich den Boden einer ungeahnten Realität berühren würden. Und so muss Barbie Barbieland verlassen und das Mädchen finden, das mit ihr in der echten Welt spielt, um die Risse in der Barbieblase zu schließen. Ken kommt ungefragterweise mit, denn was hat Ken schon sonst zu tun.

Und so reisen beide ins reale L.A. der Jetzt-Zeit, nur um dort eine Umkehr der Barbieland-Verhältnisse anzutreffen, die wir gemeinhin Patriarchat nennen. Barbie wird objektifiziert und nicht ernst genommen – ein Schock, denn in Barbieland gehen alle davon aus, dass sie, die Barbies, quasi eigenhändig die Frauen in die erfolgreiche Emanzipation geführt haben. Währenddessen erfährt Ken die Anerkennung, die er noch nie hatte. Während Barbie also weiterhin ihr Mädchen sucht, kehrt Ken zurück nach Barbieland – zusammen mit neuen Ideen und Büchern darüber, wie man ein richtiger Mann wird.

Dass Gerwigs „Barbie“ sich stark mit Fragen des Feminismus auseinandersetzt, ist mit Nichten überraschend, lotet sie genau diese Fragen und die dazugehörigen homosozialen Beziehungen unter Frauen doch in bisher fast allen ihren Filmen von „Lady Bird“ bis „Little Women“ aus. Und welche Figur eignet sich da besser als eine Puppe, deren Weiblichkeit und Emanzipationsbestreben so dermaßen ambivalent ist? Eine Puppe, die Objekt diverser Begierden ist und gleichsam für eine gleichberechtigte Subjektwerdung ihrer menschlichen Eigentümerinnen plädiert? Eine Puppe, die Kindern suggeriert, sie könnten alles sein im Leben, wenn sie nur wollen und die gleichsam einen unerreichbaren körperlichen Standard von extremer Weiblichkeit propagiert? Oh ja, das Potential einer Subversion oder gar Dekonstruktion  von Geschlechterkonstruktionen, Patriarchat und deren gesellschaftlichen Machtstrukturen könnte genau hier hervorragend angesiedelt sein.

Könnte …

Foto: Warner Bros. Pictures

Doch mehr als ironisches Augenzwinkern kommt aus „Barbie“ nicht heraus. Das liegt zuerst einmal an zwei strukturellen Problemen, die Gerwigs Versuche schon scheitern lassen, bevor sie überhaupt angefangen hat. Das eine ist der unwiderrufliche Ausschluss von vielen cis-heterosexuellen Männern, die mit dem Barbie-Universum noch nie in Kontakt kamen und keinerlei Bezug dazu haben und wollen. Sie werden den Film wahrscheinlich auch nicht gucken. Und was nutzt es patriarchale Strukturen nur vor der Hälfte der Betroffenen zu besprechen, noch dazu der Hälfte, die unter ihnen leidet und entmächtigt wird?

Das viel größere strukturelle Problem liegt jedoch noch woanders begraben, denn „Barbie“ ist zu allererst einmal ein Marketing-Vehikel für die Spielzeugfirma Mattel, die seit ein paar Jahren daran arbeitet, ihr gesamtes Sortiment zu Hollywood-Mainstream-Material zu machen und dafür sehr viel Geld zahlt. Mit Gerwig haben sie in der Tat einen Coup gelandet, suggeriert ihr bisheriges Oeuvre doch automatisch Indie-Film und Feminismus, was den Film sofort legitimiert. Dazu gehören auch die Sequenzen im Film, in denen Mattel scheinbar selbst auf die Schippe genommen wird. Als Barbie in den Headquarters eintrifft, findet sie dort einen Vorstand voller Männer, geführt von Comedian Will Ferrell, die also die angebliche Emanzipation des Barbie-Universums im Namen der Mädchen dieser Welt leiten.

Foto: Warner Bros. Pictures

Klingt alles irgendwie kritisch, ist letztendlich aber hohl, denn nicht einmal geht die Kritik über ein bisschen Gefrötzel und ein Witzchen hier und da hinaus. Denn um daran zu rütteln, müsste der Film auch auf die kapitalistischen Strukturen eingehen, die die ansonsten angeprangerte patriarchale Ordnung stützen und erst möglich machen. Doch da will keiner hingucken. Wie auch, wenn der Film von Mattel selbst beauftragt und abgenickt wurde?Genau diese Abhängigkeit macht Gerwigs Versuch einer kritischen Hinterfragung von Barbie als emanzipatorischer Figur grundlegend zunichte, da ihre Abhängigkeit vom Hersteller keine wirkliche Kritik erlaubt. Vor allem keine, die über einen weißen, cis-heterosexuellen Blickwinkel hinausgeht. Zwar erlaubt der Film Figuren, die die Diversity-Quote erfüllen (verschiedene Ethnien: check; eine dicke Barbie: check; eine im Rollstuhl: check; eine trans Frau, die Barbie sein darf: check), doch letztendlich ist „Barbie“ ein durch und durch cis-heterosexueller Film, in dem keine wirklichen Normabweichungen existieren dürfen, außer am Rande als kleiner Witz. Kein Wunder also, dass der Film in seiner Analyse am Ende nur zum Ergebnis kommt, dass es schwer ist, eine (cis-heterosexuelle) Frau zu sein, und dass das Patriarchat irgendwie blöd ist für alle. Na ja, kann man nix machen, außer vielleicht noch mehr Individualismus und sich noch mehr auf sich selbst konzentrieren. Nix für ungut, liebe Zuschauer. Is halt so.

Da hilft auch all das Pink und der Versuch campy und popkulturell relevant zu sein nichts. Hier muss man sich als queeres Publikum doch fragen, ob die Heteros noch zu retten sind. Ein absurdes Paralleluniversum voller zweigeschlechtlicher Verzweiflung tut sich hier auf, das keine Antworten hat auf sein selbstgemachtes Dilemma. Wie auch, wenn alles, was anders ist, ausgeschlossen wird, nur um die Marke nicht zu schädigen.

Foto: Warner Bros. Pictures

Und das tut weh. Wie gern wäre man Teil dieser Welt, die ja auch für uns Queerdos durchaus nostalgischen Wert hat und für manche von uns prägender Teil unseres Heranwachsens war. Aber zu dieser Barbie-Party und deren ganzer pink-plastischen Welt sind wir nicht eingeladen.

Und was für ein Elend diese Welt doch ohne uns ist. Wie dringend es hier eine offenere Sicht  auf  die Welt bräuchte. Wie gut es täte, mehr als nur zwei in arbiträre Gesetzlichkeiten eingeschränkte Geschlechter zur Verfügung zu haben. Wie befreiend es wäre, Sexualität zu erlauben und zu erleben in all ihren Variationen. Wie bereichernd es wäre, Beziehungen nicht nur als zwischen einem Mann und einer Frau, beschränkt auf Romantik und Sex, zu denken und eben nicht mehr Individualismus, sondern ein Zusammenkommen zu propagieren.

Und so ist „Barbie“ letztendlich ein quietschpinkes Mahnmal, eine versehentlich korrekte Analyse einer Welt ohne Queerness und Devianzen, in der die Emanzipation von Frauen zum Scheitern verurteilt ist, eben weil sie getrennt wird von der Emanzipation queerer Menschen und People of Color. „Barbie“ ist das Kind einer Zeit, in der kapitalistische und christlich-konservative Kräfte nicht nur Frauen und nicht-weißen Menschen ihrer Eigenständigkeit und der Macht über ihre eigenen Körper und Leben zu berauben versuchen, sondern gleichsam immer gewaltvoller gegen queere Menschen vorgehen, vor allem, wenn sie gegen die Gesetze der Zweigeschlechtlichkeit verstoßen.




Barbie
von Greta Gerwig
US 2023, 114 Minuten, FSK 6,
deutsche SF & englische mit deutschen UT

Ab 20. Juli im Kino.