Break My Fall (Redux)

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Zum 10. Geburtstag von „Break My Fall“ hat Regisseurin Kanchi Wichmann ihren queeren Kultklassiker umgeschnitten. Gedreht an Originalschauplätzen und unterlegt mit einem wilden Indie-Soundtrack ist ihr Film über vier Freund:innen im Londoner Eastend auch eine Hommage an die queer-punkige Gegenkultur Hackneys, die es so schon nicht mehr gibt. Für das komplexe Porträt einer zu Ende gehenden Liebe wurde „Break My Fall“ 2021 vom British Film Institute als einer von zehn großartigen lesbischen Filme gelistet. Theresa Rodewald erklärt, warum der Film in seiner Wahrhaftigkeit manchmal schwer auszuhalten ist, sich eine Wieder- oder Neubegegnung aber trotzdem unbedingt lohnt.

Foto: Salzgeber

Am Ende einer großen Liebe

von Theresa Rodewald

Liza und Sally spielen in einer Punk-Band und sind ein Paar. Es war Liebe auf den ersten Blick, sagt Sally. Sie verließ für Liza ihre Freundin, ließ ihr Leben in Berlin hinter sich und hat seitdem nicht mehr zurückgeblickt. Die Liebe von Liza und Sally ist stürmisch, oder war es zumindest einmal, denn viel ist davon nicht mehr übrig. Inzwischen ist ihre Beziehung so klaustrophobisch und chaotisch wie die kleine, zugemüllte Wohnung, die sie sich im Londoner Stadtteil Hackney teilen.

In ihrem Langfilmdebüt erzählt Regisseurin Kanchi Wichmann von den letzten schmerzhaften Zuckungen einer sterbenden Liebe. Sie zeigt Liza und Sally, wie sie ihre Freunde Jamie und Vin treffen, wie sie zur Bandprobe radeln, wie sie auf Partys, in Bars und ineinander zu verschwinden versuchen. Ein sicherer Hafen ist ihre Beziehung schon lange nicht mehr. Wo einmal Zuneigung war, ist nun ein toxisches Minenfeld aus Alkohol, Drogen und gegenseitigen Manipulationen. Trotzdem halten sie verzweifelt aneinander fest. Gemeinsam mit Liza und Sally stehen wir vor einem Scherbenhaufen aus Eifersucht und Wut, fühlen die fürchterliche Enge dieser Beziehung, die enden muss, aber noch nicht enden kann.

Das ist ein sehr einsamer Zustand. „Break My Fall“ ist demnach ein sehr einsamer Film. Denn obwohl Liza und Sally nicht vollkommen isoliert leben, wirkt sich ihre Trennung doch auf ihr Umfeld aus: Die Freundschaft mit Vin und Jamie besteht vor allem daraus, gemeinsam feiern zu gehen, zu trinken und zu koksen. Liza und Sally sind emotional so ineinander verstrickt, dass sie gegenüber anderen kaum noch präsent sind. Aber auch Jamie und Vin haben vor allem mit sich selbst zu tun: Während Vinnie nicht weiß, was er will, wünscht Jamie sich mehr oder weniger heimlich eine feste Beziehung und ein Leben jenseits der Nachtschwärmerei.

Sally und Liza sind Musikerinnen und Teil der Undergroundszene. Anstatt diese glamourös-romantisch zu inszenieren, lotet Kanchi Wichmann ihre abgewrackten Ecken aus: Überfüllte Partys, Drogen und konstante Geldnot stehen im Vordergrund. Als Sally während einer Bandprobe unter Tränen mehrfach ihren Einsatz verpasst, fragt ihr Bandkollege freundlich, ob sie ein bisschen Motivation brauche und holt dann ein Tütchen Koks aus der Tasche – statt ihr ein offenes Gespräch anzubieten oder sie in den Arm zu nehmen. Die zärtlichsten Momente des Films finden zwischen Liza und Jamie statt, wenn er sich um die noch komplett zugedröhnte Freundin kümmert und sie ins Bett bringt, kurz: für sie da ist und nichts im Gegenzug erwartet.

Foto: Salzgeber

„Break My Fall“ ist aber auch ein extrem ehrlicher Film. Liza und Sally haben ihre Zweisamkeit und das Leben, das sie sich gemeinsam aufgebaut haben, satt. Es passt nicht mehr, ist angefault und klebrig geworden. Die wackelnde Handkamera, die halb-improvisierten Dialoge, das zusammengewürfelte Szenenbild – all das wirkt dokumentarisch und etabliert eine Nähe, die uns ganz bewusst an unsere Grenzen führt. Es gibt Momente, in denen sich Liza und Sally unentschuldbar verhalten – es gibt Gewalt und sexuelle Übergriffe. In diesen Szenen ist die streng observierende Erzählhaltung des Films eine echte Herausforderung. Der Film fängt das miserable Gefühl einer konstant scheiternden Beziehung ein, einfach weil die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen. Und er ruft Gefühle hervor, die man ansonsten lieber vergisst, weil sie wehtun.

Foto: Salzgeber

Von toxischen lesbischen Beziehungen erzählen Filme und Bücher eher selten. Immerhin endeten im heteronormativen Mainstream queere Liebesfilme lange genug tragisch. „Break My Fall“ ist allerdings kein Lesbendrama für den straighten Mainstream. Der Film wirft einen vielschichtigen Blick auf queeres Beziehungsleben. Die Beziehung von Liz und Sally funktioniert einfach nicht (mehr) – und das hat mir ihrem Lesbischsein natürlich nichts zu tun.

12 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung ist „Break My Fall“ auch ein Zeitdokument: Smartphones sucht man hier vergeblich. Liza und Sally können sich gerade mal ein Klapphandy leisten, und nachdem Liza wütend den gemeinsamen Laptop vom Dach befördert hat, kann weder sie noch irgendjemand anderes aus dem Freundeskreis E-Mails checken, weil niemand sonst einen Computer hat. 2011 war das gar nicht so abwegig, heute ist es unvorstellbar. Auch die Drehorte und die Underground-Szene, zu der Liza und Sally gehören, sind inzwischen Geschichte geworden. Der Film hält ein Hackney fest, das (noch) nicht der kulturelle, kreative Hotspot von East London ist, sondern stattdessen ziemlich runtergerockt daherkommt – ein Hackney, das es heute so gar nicht mehr gibt.

Foto: Salzgeber

Alles ist vergänglich, nichts ist für immer. Unsere Wahrnehmung von Zeit, unsere scheinbar so festen Beziehungen sind fragil – daran erinnert uns „Break My Fall“. Dieses Fragile und Vergängliche ermöglicht aber auch immer wieder neue Anfänge. Zu Beginn des Films stecken Sally und Liza in ihrer Beziehung fest, sie bewegen sich weder vorwärts noch rückwärts, sondern im Kreis, genau gesagt in einer Spirale nach unten. Für die beiden – und für uns als Publikum – fühlt es sich an, als würde sich an dieser Situation nie etwas ändern. Indem ihre Beziehung aber zu Ende geht, löst sich auch diese Starre auf und schafft Platz für Neues. Romantische Liebe ist hier weder die Lösung aller Probleme noch der ewig währende Mittelpunkt des Lebens. Das macht den Film zu einer Art Anti-Liebesdrama, wie es sie viel zu selten gibt. „Break My Fall“ erinnert aber auch daran, dass schwierige Lebensphasen irgendwann zu Ende gehen, dass schlechte Erfahrungen einfach dazugehören und wir mit ihnen nicht allein sind. Das macht am Ende dann doch wieder Mut.




Break My Fall (Redux)
von Kanchi Wichmann
UK 2011/2022, 90 Minuten, FSK 16,
englische OF mit deutschen UT

Jetzt als DVD und VoD.