Elefant

TrailerQueerfilmnacht/Kino

Bartek ist 22 und führt einen kleinen Bauernhof in den polnischen Bergen. Seit sich sein Vater aus dem Staub gemacht hat, ist er das Familienoberhaupt und muss für seine Mutter da sein. Doch als eines Tages der lange verschollene schwule Nachbarssohn Dawid ins Dorf zurückkommt, gerät sein von Pflichterfüllung geprägter Alltag durcheinander… Regisseur Kamil Krawczycki ist für seinen Debütfilm in seine Heimat am Fuße des Tatra-Gebirges zurückgekehrt. Inspiriert von „God’s Own Country“ und „Brokeback Mountain“ erzählt er in „Elefant“ von der ersten Liebe und Selbstwerdung eines jungen schwulen Mannes inmitten einer zwar atemberaubend schönen, aber nicht gerade queerfreundlichen Gegend im ländlichen Polen. Andreas Köhnemann über einen leidenschaftlichen Film, in dem die Hoffnungsfunken zünden.

Foto: Salzgeber

Horse-Boy Meets Sheep-Guy

von Andreas Köhnemann

Aufwachsen auf dem Lande. Fern von Hektik. Umgeben von Wäldern, Wiesen und Tieren. Wie unfassbar schön das sein kann. Und doch werden die meisten queeren Menschen, die aus der Provinz stammen, den Gedanken kennen, möglichst schnell weit weg gehen zu wollen. Einfach nur raus hier, um sich frei entfalten zu können. Dem konservativen Geist, der Doppelmoral, den schiefen Blicken und homophoben Sprüchen endlich entkommen. Fuck you very much!

Der 1990 im südpolnischen Ferienort Zakopane geborene Regisseur Kamil Krawczycki ist für sein Langfilmdebüt „Elefant“ in seine Heimat zurückgekehrt. Dem Trauma ins Gesicht sehen und es dadurch überwinden – so könnte die Devise gelautet haben. Die Ambivalenz gegenüber dem Schauplatz und den Menschen, die dort leben, ist in vielen Szenen zu spüren.

Ein raues Idyll in den Bergen. Mit dem Pferd über die Felder reiten. Die nette alte Nachbarin besuchen. Beileibe nicht alles ist schlecht hier. Aber Perspektiven gibt es kaum. Alle, die können, verlassen die Gegend oder gar das Land – und blicken dann nie mehr zurück. Wer doch wieder auftaucht, hat wohl da draußen in der Welt versagt. Und die, die hiergeblieben sind, betrauern die entstandenen Lücken. Sie fallen betrunken vom Stuhl. Sie weinen sich in den Schlaf. Sie versuchen, die wenigen anderen, die noch da sind, mit allen Mitteln daran zu hindern, ebenfalls fortzugehen. Angst. Verzweiflung. (Selbst-)Hass.

Bartek, Anfang 20, hat den Absprung bisher nicht geschafft. Ein Kumpel haut bald zum Studium ab. Die Schwester ist mit ihrem Freund nach Norwegen gegangen. Und der Vater ist schon lange in die Staaten verschwunden. Seiner einsamen Mutter gegenüber fühlt sich Bartek verpflichtet. Er kümmert sich um den familiären Hof – und bemüht sich, das Beste aus seiner Situation zu machen. Sein Traum ist es, ein Gestüt aufzubauen. Bald müssten allerdings die Pferde verkauft werden, warnt die Mutter.

Dann plötzlich steht Dawid am örtlichen Bahnhof. Sein Vater ist gestorben; er muss jetzt das vererbte Haus schnell loswerden, aus dem er vor 15 Jahren geflohen ist. Rasch ahnen wir, dass es zwischen Bartek und Dawid funken wird. Was Ang Lees „Brokeback Mountain“ (2005) für das US-Hinterland und Francis Lees „God’s Own Country“ (2017) für die englische Provinz war, das ist „Elefant“ nun für das ländliche Polen. Bartek, der Pferde züchten will, und Dawid, der Schafe in Island hüten möchte: Horse-Boy meets Sheep-Guy. Der Beginn einer Liebesgeschichte.

Foto: Salzgeber

Die beiden Hauptfiguren scheinen zunächst recht stereotyp angelegt zu sein. Bartek ist jünger, schmächtiger und stiller; er hat kaum etwas von der Welt gesehen. Dawid ist ein paar Jahre älter, kräftiger und lauter – ein cooler Bassist mit nebulösem Leben. Doch der Film bricht immer wieder mit den Erwartungen. So ist es zunächst Bartek, der beherzt die Flirt-Initiative ergreift und dabei geschickt seine Alltagstüchtigkeit nutzt: Hühnerfüttern als sexy Herausforderung, Reiten als spielerische Mutprobe.

Dawid hingegen ist viel romantischer, als er auf den ersten Blick wirkt. „Ich will die Nacht durchtanzen mit dir“, singt er zärtlich am Klavier. Und nicht er prügelt sich irgendwann mit einem Dorf-Bully, sondern Bartek. „Er geht träumend durchs Leben“, liest Dawid Bartek über dessen Sternzeichen Krebs vor. Aber Dawid entpuppt sich letztlich als derjenige, der den großen Traum zuerst zu träumen wagt – von einer gemeinsamen Zukunft, nicht im Geheimen, sondern ganz frei, ohne einengende Schuldgefühle.

Foto: Salzgeber

Wir können miterleben, wie die beiden einander richtig guttun – und zum Glück auch reif genug sind, um das einander rundheraus mitzuteilen. Nach einem kleinen gemeinsamen Rucksack-Abenteuer in den diesigen Wäldern samt abendlichem Lagerfeuer blickt Bartek zu Hause in den Spiegel. Er sieht schon ein bisschen fröhlicher aus als zuvor. Als er nach dem ersten Sex mit Dawid erneut sein Spiegelbild betrachtet, ist ein freudestrahlender junger Mann zu sehen.

Mit Musik auf den Ohren, „Christine“ von Christine and the Queens, wird das Ausmisten des Pferdestalls zum magischen Pop-Event. Das Heu und der Staub dienen als Konfetti für die innere Party, die von der Mutter skeptisch beäugt wird. Ein queerer Club, den Bartek und Dawid später in einer entfernteren Stadt aufsuchen, wird insbesondere von Bartek voller Staunen und Euphorie erlebt, wie eine ihm bis dato unzugängliche Parallelwelt. Die Nacht zusammen durchtanzen – ja, warum denn eigentlich nicht? Und dann einfach bleiben, bei ihm zum Frühstück.

Foto: Salzgeber

Die Homophobie in der Gemeinde und die emotionale Erpressung und Manipulation der Mutter sind präsent. Krawczycki lässt seinen Protagonisten aber nicht auf tragische Weise daran zerbrechen, er spitzt das Drama nicht zu. Er ist schließlich nicht in seine Heimatregion zurückgekommen, um mit seinem Film eine Retraumatisierung zu schaffen. Stattdessen schenkt er dem zentralen Paar und uns etliche Funken Hoffnung, die gehörig zünden.

Zum Beispiel in Form einer kleinen Elefantenfigur. Er könnte alles sein, auch ein Elefant, sie hätte damit kein Problem, meint die freundliche Frau aus der Nachbarschaft, nachdem sie das boshafte Brodeln der Gerüchteküche im Ort erhascht hat. Sie überreicht ihm die Figur aus ihrem Hausrat – und drückt damit auf ihre eigene Weise eine Offenheit aus, die in diesem Umfeld leider keine Selbstverständlichkeit ist. Es ist eine rührende Geste, die dem Film zu Recht seinen Titel gibt.

Zwei Elefanten. Der Junge mit den Pferden und der Typ mit den Schafen. Zwei große Träumer. Zwei wilde Nachtdurchtänzer. Ganz egal, was die beiden sind und was sie vielleicht mal sein werden – es ist einfach nur wunderschön.




Elefant
von Kamil Krawczycki
PL 2022, 93 Minuten,
polnische OF mit deutschen UT,
Salzgeber

Im August in der Queerfilmnacht und ab 24. August im Kino.

 


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