Another Country (1984)

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Sommer 1932. Der adelige Internatsschüler Guy Bennett hat die Chance, zu den „Lords“ aufzusteigen – eine innerschulisch herrschende Elite-Gemeinschaft, denen alle Türen für die berufliche Zukunft offen stehen. Doch Guys Affäre mit dem jüngeren Mitschüler Harcourt gefährdet den Aufstieg, da die Schule Homosexualität nur bedingt duldet. Mit leuchtenden Bildern und Cambridge-Romantik ebnete Marek Kanievskas sinnliches Internatsdrama „Another Country“ die Karrieren von Rupert Everett und Colin Firth. Matthias Frings ist 40 Jahre später noch einmal in den filmischen College-Kosmos eingetaucht und fördert hinter dem Schmelz der idyllischen Genrebilder eine bis heute faszinierende Abgründigkeit und Gesellschaftskritik zutage.

Foto: Concorde Video

„Was ist so falsch am Anderssein?“

von Matthias Frings

Bei der Filmpremiere vor vierzig Jahren war es so, und allen, die „Another Country“ heute erneut oder zum ersten Mals sehen, dürfte es genauso gehen: Es ist der Look des Films, der einem sofort einen schwärmerischen Ausdruck ins Gesicht zaubert. Eigentlich müsste als Hauptdarsteller das Licht angegeben werden. Goldenes Tageslicht und ein Kunstlicht à la Caravaggio für die Innenaufnahmen teilen sich den großen Auftritt. Zusätzlich hilfreich für jedes entzückte „Ah!“ ist die so vertraute Kulisse, das pittoreske Universitätsstädtchen Cambridge, in dem jeder Filmfan sich mit verbunden Augen zurechtfinden würde. So oft gesehen, diese stattlichen, nostalgischen Sandsteingebäude, die Bäche und Brücken, über die sich trauernd eine Weide beugt. Dazu die Kostüme zwischen Frack und Flanell, die Schuluniformen, Strickjacken und gestreiften Krawatten. Es ist uns mehr als vertraut, das so britische Britain, als es noch Great war.

Auf den ersten Blick ist dieser Film nichts als Schmelz und Wiedererkennen. Sogar die latente Homoerotik die sich beim Betrachten der reinen Jungs- und Männerwelt einstellt, gehöret unweigerlich zur sexuellen Folklore des Landes – abstehende Ohren, schlechte Zähne, heruntergelassene Hosen. „Another Country“ kommt wie ein mit dem (feinen) Spachtel gemaltes Genrebild daher, so hyperperfekt in seiner Machart, dass es fast wie eine Parodie wirkt. Erstaunlich umso mehr, dass es sich hier um einen Erstlingsfilm handelt. Die Idylle trügt jedoch. Sie ist brüchig, dahinter lauern Angst, Verachtung und Brutalität. Diese Vielschichtigkeit hebt den Film weit über ähnliches filmisches Konfekt hinaus. Dazu später mehr.

Zuerst das Setting: Cambridge 1932, ein letztes Durchatmen vor dem zweiten Weltkrieg. Im Zentrum der Handlung steht eine Clique aus gutem Hause, die gemeinsam eine kostspielige Boarding School besuchen. Das Zentrum der spätpubertären Jungs stellt Guy dar, ein betörender Dandy-Wiedergänger wie aus dem Bilderbuch. Dunkle Locken, schmachtende Augen, Aristokratennase. Unverblümt schwärmt er die hübschesten Jungs an und macht sich mit Florettzunge über alles und jeden lustig. Dafür wird er bewundert und gefürchtet, als wäre er der Nachfahre eines gewissen Oscar Wilde.

Guys bester Freund ist – soviel Paradox muss sein – der entspannt heterosexuelle Salonkommunist Tommy, der mit einer Leninstatue in der Tasche herumläuft und das Loch in seinem teuren Strickpullover wie einen Orden trägt. Fehlt noch der Katalysator, das Love Interest. Das schlendert eines Tages in Form des süßen James über den gepflegten Rasen. Er gehört zu der Sorte blonder, blauäugiger, dicklippiger Boys, für die weiße Cricket-Pullover erfunden wurden.

Alles in diesem College-Kosmos ist von Drill und Ordnung durchzogen. Hierarchie, Pflichtbewusstsein, Tradition. Das Sagen hat eine ganze Riege von Präfekten und House-Managern. Machtpositionen, die von Studenten mit eiserner Selbstbehauptung besetzt werden.

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Der dekadente Guy stört diese Ordnung. Solange er nur die ihm zugedachte Rolle des Hofnarren spielt, geht alles gut. Diese Rolle wird immer mit Homosexuellen besetzt. Aber Guy hat sich zum ersten Mal im Leben verliebt, wirklich verliebt, und das bringt das fragile Gleichgewicht aus der Balance. Dieses Begehren ist nicht mehr nur Aperçu, sondern sehr direkt und körperlich. „Mir ist klargeworden, dass ich niemals Frauen lieben werde“, vertraut er seinem Kommunistenfreund an. Der reagiert erstaunlich konventionell: „Du willst immer nur anders sein.“ Und Guy stellt die brandgefährliche Frage: „Was ist so falsch am Anderssein?“

Nun legt der Film einen Zahn zu: Man will Guy auffliegen lassen. Der kann sich ein letztes Mal mit der Drohung retten, alle zu verraten, mit denen er es im College getrieben hat. Doch die Jagd ist eröffnet und bald steht eine brutale Bestrafungsaktion an. Hier weitet sich der Film von der Beschreibung der Collegewelt zur Gesellschaftsanalyse. Die Hierarchie in der Lehranstalt funktioniert wie die Klassengesellschaft auf der Insel. Erforderlich ist die rigorose Beachtung der Ordnung, das penible Wachen über unten und oben, die Befolgung der Regeln. Jede Verletzung, jede Störung der Ordnung muss aufs Schärfste geahndet werden. In „Another Country“ ist das schwule Begehren (oder genauer: eine schwule Liebe) der Regelverstoß.

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In seinem Erscheinungsjahr 1984 sorgte der Film für Aufsehen. Damals war es war mehr als ungewöhnlich, eine explizit schwule Lovestory auf die Leinwand zu bringen. (Erst ein Jahr später solle „Mein wunderbarer Waschsalon“ wie eine Bombe einschlagen.) Das hier war nicht der übliche Arthouse-Film mit winzigem Budget für eine begrenzte Zielgruppe, er war deutlich auf den Mainstream ausgerichtet. Das mag auch der Grund sein, warum Homosexualität zwar thematisch eine ungewohnt große Rolle spielte, bildlich aber kurioserweise fast abwesend ist. Ansonsten so dezidiert sinnlich, gönnte Regie und Buch den Liebenden mal gerade einen Kuss – auf die Stirn! Ansonsten sitzt man im Ruderboot und lehnt schmachtend die Köpfe aneinander. Später gab Regisseur Marek Kanievska im Interview zu Protokoll, dass dies Absicht war: Man wollte die heterosexuellen Zuschauer nicht verprellen.

Den Karrieren der Hauptdarsteller hat weder die mangelnde Erotik noch die explizit schwule Thematik geschadet. Im Gegenteil wurde der Film zum Starvehikel. Rupert Everett als Guy gelang nach einigen kleineren Filmen eine kurze Karriere in Hollywood: Als Co-Star von Julia Roberts in „Die Hochzeit meines besten Freundes“ (1997) und Madonna in „Ein Freund zum Verlieben“ (2000) machte er erneut Furore in schwulen Rollen. Anschließend musste er, der sich inzwischen geoutet hatte, auf die harte Tour erleben, wie die Rollenangebote verebbten. Die (Film-)Welt war offensichtlich noch nicht reif für einen offen schwulen Leading Man.

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Sein Mitspieler Colin Firth jedoch legte in seiner Rolle als Salonkommunist eine Weltkarriere hin, die bis heute anhält. Und auch Cary Elwes als das blonde Objekt der Begierde kann auf eine äußerst umfangreiche Filmliste verweisen. Interessant auch im Nachgang, dass man die Gesichter fast aller Darsteller der Mitschüler im College wiederkennt. Hier sieht man sie als blutjunge Anfänger.

„Another Country“ bietet zusätzlich zu Beginn und Ende eine interessante Rahmenhandlung. Die Hauptperson Guy ist allen Briten als der berühmte Spion Guy Burgess bekannt. Enttäuscht von den westlich-kapitalistischen Gesellschaften ließ er sich in den dreißiger Jahren von der Sowjetunion als Agent anwerben. Die Rahmenhandlung zeigt ihn zu Beginn des Films als alten Herrn im Moskau des Jahres 1983. Ein wenig Dandy ist er wohl doch geblieben. Vor ihm auf dem Tisch steht eine Tasse des Londoner Edelkaufhauses Harrods.



Another Country
von Marek Kanievska
UK 1984, 90 Minuten, FSK 12,
deutsche SF und englische OF mit deutschen UT

Als DVD