Die Temperatur des Willens

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Regisseur Peter Baranowski hat für seinen Dokumentarfilm „Die Temperatur des Willens“ die Ordensgemeinschaft „Legionäre Christi“ beim Missionieren und Demonstrieren, während intimer Zwiegespräche und bei öffentlichen PR-Events begleitet. Sein Film gewährt seltene Einblicke in die Denk- und Verhaltensmuster einer ultrakonservativen religiösen Vereinigungen und deren Überlebensstrategien in der heutigen Zeit – und zeigt den noch immer schwierigen Umgang mit dem Thema des sexuellen Missbrauchs innerhalb der eigenen Reihen.

Bild: eksystent distribution filmverleih

Innere Brände

von Dennis Vetter

Wer war Marcial Maciel? Einige Mitglieder der „Legionäre Christi“ kannten den mexikanischen Gründer ihres katholischen Ordens noch persönlich. Andere haben über ihn nur Erzählungen gehört. Oder in der der Presse von ihm, als kurz nach der Jahrtausendwende darüber berichtet wurde, wie er seit den Siebzigern Jugendliche manipuliert und missbraucht hat. „Die Temperatur des Willens“ ist ein Dokumentarfilm des Frankfurter Filmemachers Peter Baranowski, in dem die persönlichen Handlungsweisen von Maciel und einigen anderen Ordensbrüder wie durch einen Filter beschrieben werden.Was zu erfahren ist über die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft, das ist rhetorisch stets vermischt mit überdeutlichen Glaubensbotschaften und einem genau abgemessenen Menschenbild. Martin, ein junger Pfarrer erzählt von menschlicher Fehlbarkeit und davon, wie das Vertrauen letztlich auf Gott zu richten ist. Doch sind es im Grunde gerade die explizit biografischen und psychologischen Fragen, die der Film als zentral entlarvt. Denn der Pfarrer Martin, die späte Hauptfigur des Films, ist der Bruder des Filmemachers.

Besonders interessant für die Betrachtung von „Die Temperatur des Willens“ ist das Implizite, denn die Verbindung zwischen Filmemacher und Protagonist findet in keiner Form Erwähnung. Anfangs ist Martin auch gar nicht das Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern einer von vielen. In Seminaren, Predigten und Jugendfreizeiten sind Gruppen junger gläubiger Männer zu sehen und diejenigen, die sie anleiten. Martin gehört dazu, er kümmert sich um die Jugendarbeit. Dann allmählich wird er zur wesentlichen Stimme des Films, immer deutlicher wird seine Art zu sprechen und für seinen Glauben zu argumentieren, seine ehrliche Begeisterung für das, was er tut, bis hin zur Forderung an die Jungs, zu Männern mit dem titelgebenden starken, letztlich brennenden Willen zu werden.

Denn ohne starken Willen kein Christentum. Ohne starken Willen kein Mut, sich abzugrenzen vom verweichlichten, schwachen Rest der Bevölkerung. Der Mensch soll sich „anzünden“ lassen von Jesus, erzählt er den Jugendlichen, während sie sich an einer großen Feuerstelle wärmen. Später, in einer Archivaufnahme, wird der Papst nach einem Wangenkuss mit Maciel über die Legionäre sprechen: „Wenn ihr seid, was ihr sein sollt, werdet ihr die ganze Welt entflammen.“ Dazu läuft eine mächtig anrührende Musik, der man sich kaum entziehen kann.

Bild: eksystent distribution filmverleih

Am Feuer steht neben Martin übrigens ein Bub, dessen Blick ganz sensibel umherwandert, suchend und mitunter unsicher, zappelig, kommentiert von fast unbewusst zusammengefalteten Händen. Die Veranstaltung heißt: „Get strong“. Es gelingt Baranowski, die thesenhaften Spitzen seines Films und die gründliche Erzählung über seinen Bruder Martin laufend mit Ambivalenzen und scharfsinnig montierten Zwischenmomenten zu versehen. Als Pater Klaus sich bei einer Feier auf den Film einlässt und mit einer penetranten Befehlsrhetorik Ordensmitglieder dazu zu nötigt, sich vorzustellen, kommentiert ein Sturm das Geschehen. Sogar ein Blumenkübel fällt um – wenn auch kein großer, kaum schwerer als ein Sack Reis. Und das ausgerechnet, als von der Evangelisierung die Rede ist: „Das, was Deutschland braucht“, meint ein österreichisches Ordensmitglied. Kurze Zeit später spricht Klaus im Festzelt und packt auf der Suche nach passionierten Themen ein vorbeilaufendes Kind am Kopf.

Nicht alles erschließt sich in den ungekünstelten Bildern des Films jedoch beim ersten Sehen. In der Tat steht Martin in der ersten Gruppenszene des Films wie abgemessen ganz zentral im Raum, direkt neben einem Jesusbild im Hintergrund. Doch wer nimmt das wahr, noch ohne das Wissen um Martins wesentliche Rolle für den Film? Romuald Karmakar, der sich derzeit immer wieder für die Videoinstallation entscheidet, war Baranowskis dramaturgischer Berater. Tatsächlich schwingt bei den teilweise unterbetonten Formentscheidungen des Films die Frage mit, wer sich heute darauf einlässt, einen Film wiederholt zu sehen. Ist Textauslegung noch ein Thema im Kino?

Damit verbunden fällt auf: Viele der Männer, die in „Die Temperatur des Willens“ beim Aufwachsen zu sehen sind, sind zweifellos sensible Kerlchen. Die suchen wohl tatsächlich nach einer gründlichen Auseinandersetzung mit ihrem Weltempfinden, nach Empathie, Charisma, Spiritualität und Schönheit. Eine Suche, die in den gegenwärtigen Verhältnissen zu Irritationen führen muss. Und so werden als Kompromiss selbst von Martin absurdeste Dogmen mit Handkuss in Kauf genommen. Zum Islam steht in seiner Powerpoint-Präsentation: „Glaube ohne Vernunft“ und „Keine Interpretationen erlaubt“. Drei Jungs sprechen über die Liebe zu Frauen: Erst einmal den Willen brechen.

Wäre die Kirche abgeschafft, wo würden diese Menschen und ihre Hoffnungen wohl aufgefangen? In der Kunst, die mit der Religion über die Hermeneutik verbunden ist? Oder gar im Kino, das den Beigeschmack einer neuzeitlichen Kirche nie ganz loswerden kann? Zumindest bringt die Kunst niemanden dazu, gegen Abtreibung auf die Straße zu rennen. In einer der nachdrücklichsten Szenen des Films beteiligt sich Martin an einem Pro-Life-Demozug. Jeder trägt ein Kreuz. Martin ist gezeichnet von einem Lächeln, das sonderbare Züge in sich trägt: eine Mischung aus Sanftmut, Verklärung und Überlegenheit.

Sein Bruder ist dann wirklich hart mit ihm und montiert direkt zuvor Prügelbullen von der queerfeministischen Gegendemo, die einen Menschen in Pink, ungefähr im gleichen Alter  der Ordensschüler, unsanft packen und wegschleifen. Die Wut dieses Moments klingt nach, zieht sich über den Schnitt hinweg bis zu Martins Grinsen und macht ihn beinahe zum Antagonisten der Linken. Der Christen-Demozug wird auch nicht eben sanft behandelt: „Hätt’ Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben.“ Von der Todesrhetorik sind die Christen natürlich unbeeindruckt. Ein Film über Brandherde.




Die Temperatur des Willens
von Peter Baranowski
DE 2017, 99 Minuten,
deutsche OF,

eksystent distribution filmverleih

Ab 7. Juni hier im Kino.

 

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