Hara Kiri

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Im Debüt des kubanisch-amerikanischen Regisseurs Henry Alberto fantasiert ein frisch verliebtes Skater-Paar vom gemeinsamen Suizid. Alberto brauchte dafür nur drei Drehtage und ließ seine Darsteller auf den Straßen von Santa Monica frei improvisieren. Das Ergebnis ist ein echter Indie-Indie: ein unpolierter Film, gegen den Larry Clark beinah wie Mainstream wirkt. sissy hat sich die subversive Mischung aus Sex, Gewalt und Todessehnsucht angesehen – und eine Beziehung entdeckt, die keine Grenzen kennt.

Foto: Edition Salzgeber

Sterben wie Samurai

von Axel Schock

„Wenn ich in mir Sehnsüchte entdecke,
die nichts in dieser Welt befriedigen kann,

dann ist die einzige logische Erklärung,
dass ich für eine andere Welt geschaffen bin.“

(C.S. Lewis)

Dieses Gefühl, urplötzlich und vollkommen mit einem anderen Menschen zu verschmelzen, kann berauschend sein. So einmalig, so gewaltig vermag die Liebe dann zu erscheinen, dass ein Einfach-weiter-so auf diesem Planeten gar nicht mehr denkbar erscheint.

August und Beto kennen sich erst wenige Stunden. Wie sich die beiden Skater kennengelernt haben, diesen ultimativen Moment des Sich-Erkennens und Sich-Verliebens, deutet der Film nur an. Doch für August ist klar: Eine solche Liebe wie er und Beto erlebt sonst niemand auf der Welt: „Uns kann nichts mehr aufhalten.“ Sie wollen der Welt zeigen, wer sie wirklich sind, auch füreinander – indem sie sterben wie die Könige, oder besser noch: wie Samurai.

Wie ernst diese zutiefst romantische Idee des Doppelsuizids gemeint ist oder ob sie sich nicht eher auf einen kurzzeitigen Dopamin-Overkill zurückzuführen lässt, bleibt für eine ganze Weile offen. Einen guten Tag lang, ihren erhofft letzten auf Erden, folgt „Hara Kiri“ den beiden durch die Stadt. Sonderlich spektakuläre Programmpunkte haben sich die Todesverliebten dafür aber nicht ausgedacht. Sie balgen sich in Betos Messi-Bude. August bekommt in einem betörend intimen Akt einen Kurzhaar-Irokesen rasiert. Der brennende Papierkorb wird ausgepinkelt. Die mit Kritzeleien verzierten Zimmerwände werden um die eigenen Körperumrisse ergänzt. Ein wenig theatralisch sind die Jungs also schon. Aber sie machen auch ganz gewöhnliche Dinge: gehen frühstücken, besuchen eine Freundin, stöbern auf einem Flohmarkt, treffen auf Kumpels am Strand, laufen und fahren ganz cool auf ihren Skateboards durch Santa Monica.

Der kubanisch-amerikanische Filmemacher Henry Alberto hat „Hara Kiri“ beinahe in Echtzeit und im Mubblecore-Style gedreht. Lediglich drei Drehtage hatte er für seinen ersten Langfilm benötigt und dabei seine Darsteller die Dialoge improvisieren lassen. Manche Stationen auf diesem 24-Stunden-Trip, wie etwa ein Restaurantbesuch, vermitteln zunächst auch nicht viel mehr als die Banalität des Alltags. Doch trotz aller Authentizität, die der Film in fast jeder Minute vermittelt: „Hara Kiri“ ist mehr als eine Doku-Soap mit Laienspielern. Das ist vor allem den charismatischen Darstellern zu verdanken: Der Australier Mojean Aria hat gerade in Hollywood Fuß gefasst und feierte vor Kurzem die Premiere von „The Bronx Bull“, der offiziellen Fortsetzung von Scorseses „Wie ein wilder Stier“ (1980). Und für Jesse Pimentel, der seiner Figur August mit einer sehr körperliche Virilität und zugleich großer Verletzlichkeit ausstattet, könnte „Hara Kiri“ eine große Karriere zünden.

Henry Alberto hat seine beiden Hauptdarsteller trotz aller improvisatorischen Freiheit sichtlich gut instruiert. Immer wieder wird der lässige Ton in den locker dahinfließenden Szenen und Dialogen von ernsten Momenten und Situationen konterkariert. Je weiter der Tag voranschreitet, desto angespannter wird insbesondere August. Der Besuch bei seiner noch recht jungen, ganz offensichtlich verwirrten und nicht ganz nüchternen Mutter eskaliert auf eine geradezu beklemmende Weise.

Foto: Edition Salzgeber

„Ich bin jung und dumm und habe keine Angst vor dem Tod. Ich scheiß auf dieses Leben“, rappt August bei einem spontanen Battle. Aber meint er seine Todessehnsucht wirklich ernst? Oder ist das alles doch nur Attitüde? Denn lebensmüde, sozial isoliert oder depressiv wirken die beiden Liebenden eigentlich nicht. Im Gegenteil: „Wie kannst du sterben wollen, wenn du die Sonne siehst?“, entfährt es Beto einmal ganz unmelodramatisch angesichts der Schönheit des Meeres und der ewigen Brandung.

Den Sonnenaufgang verbringt das Paar zusammen am Strand. Der Musiker Armen Ra verstärkt mit seinen auf dem Theremin produzierten, elegisch-entrückten Klängen die Stimmung des neu anbrechenden Tages. Diese letzten Filmminuten sind schwebend und friedvoll – und verstören dadurch nur umso mehr angesichts des konsequenten und doch überraschenden Endes.




Hara Kiri
von Henry Alberto
US 2016, 18 Minuten, FSK 16,
englische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber




DVD: € 19,90 (inkl. Porto & Verpackung)

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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