Young Soul Rebels

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London im Sommer 1977. Während sich die Stadt gerade auf die Feierlichkeiten zum Silbernen Thronjubiläum der Queen vorbereitet, basteln die schwulen Soul Boys und Piraten-DJs Chris und Caz an ihrem Radioprogramm, das sie von einer Garage heraus senden. Tagsüber müssen sie sich mit Skinheads herumschlagen, abends gehen sie in den angesagten Clubs tanzen. Doch als ein Freund beim Cruisen im Park ermordet wird, drohen die sozialen Spannungen im Viertel überzukochen. Isaac Juliens Film ist ein raffinierter Mix aus Thriller und schwulem Liebesdrama – und zeichnet ein authentisches Bild der britischen Jugendkulturen der späten 1970er Jahre. „Young Soul Rebels“ war bahnbrechend für das New Queer Cinema und das British Black Cinema der 1990er Jahre und kann nun endlich in restaurierter Fassung und zu den souligen Soundtrack-Klängen wiederentdeckt werden! Noemi Yoko Molitor dreht das Radio, in dem Funk als Selbstverteidigung zelebriert wird, ganz laut auf.

Bild: Salzgeber

Or deeper still, the Mothership Connection

von Noemi Yoko Molitor

„Young Soul Rebels“ ist der Spielfilm mit den sexiest Lackhosen aller Zeiten. So sexy, dass sie sich sogar auf der japanischen Version des Filmplakats spiegeln, eine schwarze Lackhose und eine rote Lackhose wie Chris sie in einer großartigen Szene anprobiert. Die Kamera, die ihn dabei von oben filmt, dreht sich wie die Schalplatten, die Chris und Caz auf ihrem Piratensender „Soul Patrol“ spielen. Im Hinterzimmer einer Autowerkstatt in Dalston im East London der 1970er legen die beiden Disc Jockeys ausschließlich Funk und Soul auf. Der Soundtrack zum Film ist mit Tracks von Funk-Größen wie Roy Ayers, Jean Carn, War, Sylvester, Funcadelic, Parliament und Charles Earland das reinste Hörvergnügen.

„Young Soul Rebels“ ist einer der Schlüsselfilme des British Black Cinema und steht ganz oben auf der Liste der Filme, die B. Ruby Rich 1992 in einem Artikel in der Village Voice zu ihrem Konzept des New Queer Cinema inspirierten. Der Film spielt im Juni 1977, in den Tagen vor dem Silberjubiläum der Queen, ist Musikfilm und Thriller zugleich und porträtiert britische Jugendkulturen der Siebziger. Er begleitet Caz und Chris dabei, wie sie neuen Platten für ihre Radiosendung nachjagen, den nächsten Gig in einem Club planen – oder Caz dabei, wie er noch einen kurzen Abstecher in den Park zum Cruisen macht.

Was Caz zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, ist, dass dort einige Stunden vorher ihr gemeinsamer Freund Terry James ermordet wurde. Auf seinem tragbaren Kassettenrecorder, den der Mörder auf der Flucht im Park zurücklässt, befindet sich eine Aufnahme des Mords, die später in Chris’ Hände gerät, als seine kleiner Schwester ihn zufällig findet. Die Jagd nach TJs Deck zieht sich durch den Film.

Doch bevor Chris in Gefahr durch den Killer und durch die Polizei gerät, die ihm den Mord anhängen will, lernt er zunächst Tracy beim großen Radiosender Metro Radio kennen, in dem er hofft, Karriere zu machen. Sein Vorbild, der Schwarze DJ Jeff Kane, ist zwar solidarisch. Während auf der Treppe ein lebensgroßer Pappaufsteller der Queen mit dem Arm winkt, erklärt Kane ihm aber sehr schnell, dass selbst eine Stunde Funkmusik der „patriotischen“ Hörerschaft zu viel sein würde. Beim Vorstellungsgespräch, das Tracy ihm vermittelt, spuckt Caz dann auch dem weißen Producer lieber verbal vor die Füße als sich auf seinen Vorschlag des Whitewashings seiner Sprechweise und Musikauswahl einzulassen.

Foto: Salzgeber

Tracy wiederum lässt sich von Caz ihre Entscheidung, bei dem Sender ihren Lebensunterhalt zu verdienen, nicht schlecht machen. Überhaupt ist Tracy – herrlich impertinent gespielt von Sophie Okonedo, die in „Young Soul Rebel“ ihr Spielfilmdebüt hatte – eine wunderbare Beobachterin von  Klassendynamiken. In einer Begegnung mit dem ununterbrochen Kaugummi kauenden Punk Billibug, dem neuen Lover von Chris, der die Leute gerne mit seiner sozialistischen Zeitung ärgert, nimmt Tracy diesen wegen seines kapitalistisch angehauchten Vivienne Westwood T-Shirts auf den Arm. Dass er es geklaut habe, beeindruckt sie wenig.

Punk Billibud und Soulboy Chris können sich nicht auf die Musik einigen und schalten sie beim Sex einfach lieber ganz aus. Überhaupt queert der Film Musikgeschichte, wenn immer wieder die Zeilen „Doing it in the park / Doing it after dark“ aus „Rock Creek Park“ von The Blackbyrds anklingen. Caz und Billibud versuchen bei ihrer ersten Begegnung in den Park zurückzukehren, weil sie sich den Ort nicht nehmen lassen wollen. So ganz gelingt es ihnen nicht. Später im Film landen sie schließlich in Billibuds Bett, dessen Kopfteil aus Ästen und Zweigen besteht. Das eigene Zimmer wird für einen Moment zum Draußen.

Bild: Salzgeber

Ein Schwulenclub wiederum, in den Chris und Billibud gehen, ist voll gepackt mit arroganten Blicken und Exotisierungsversuchen durch die weißen Gäste, sodass die beiden lieber durch die Straßen fahren. Der Club The Crypt, in dem sich die beiden bei einem Auftritt von Soul Patrol kennengelernt haben, ist im Gegensatz dazu ein Ort, an dem Schwarze und weiße, queere und heterosexuelle Gäste zu Punkbands und Funksongs wie „Me and Baby Brother“ von War tanzen.

Der Film lässt sich in diesen Augenblicken ungewöhnlich viel Zeit für die Tanzszenen. Isaac Juliens Liebe für den experimentellen Film klingt hier an, wie er sie vor „Young Soul Rebel“ in seiner Dokufiktion „Looking for Langston“ von 1989 und später in seinen künstlerischen Mehrkanal-Videoinstallationen in Szene setzte, die unter anderem dem postkolonialen Theoretiker Stuart Hall gedenken.

Auch in den Innenräumen in „Young Soul Rebels“ – in den häuslichen Räumen wie den Arbeitsräumen – öffnen sich stets mehrere Fenster, Garagentore, Zimmer- und Autotüren. Immer tritt jemand ein, oder schlüpft durch einen Durchgang hindurch. Folgen wir einem vertrauten Moment zwischen den Freunden Caz und Chris, ist die Kamera leicht angeschrägt, zieht sie uns in die Szene hinein. Auch Farben ebnen visuell den Weg der Figuren. Chris’ Zimmer ist vom Bett über die Bettwäsche bis zum Regal, zur Tapete und zum Teppich komplett in Lilatönen gehalten. Billibuds Raum dagegen schimmert fast gänzlich in Blau.

Foto: Salzgeber

Der Piratensender „Soul Patrol“ selbst, dessen Radius Chris und Caz mit einer besseren Antenne auf dem Dach des Häuserblocks erweitern wollen – einer Aktion bei der Caz fast vom Dach fällt – ist eine Homage an den ersten Track auf dem Parliament-Album „Mothership Connection“ von 1975, mit dem der Film beginnt. Die Sprecherstimme, mit der „P. Funk (Wants To Get Funked Up)“ eröffnet, entwirft im afrofuturistischen Universum der P-Funk-Mythologie eine DJ-Figur, die den Radiosender WEFUNK aus dem Weltraum vorstellt: „Better known as We-Funk / Or deeper still, the Mothership Connection“.

In den späten 1980ern gedreht, verlegt Julien sein Spielfilmdebüt in die Zeit vor der Aids-Krise, vor das England unter Thatcherism. Der Rassismus der 70er ist derweil omnipräsent. Chris und Chaz werden immer wieder von Skinheads genervt, die in Caz’ Häuserblock wohnen. Sie lassen sich aber nicht von ihnen verarschen. Schließlich ist Funk, wenn es nach dem Parliament-Album „Funkentelechy Vs. the Placebo Syndrome“ von 1977 geht, die beste Form der Selbstverteidigung. Caz kommt aus einer interracial family und seine weiße Mutter versteht beim Queen’s-Silver-Jubilee-Fest im Kiez sehr schnell, dass auch hier das Gelaber von Patriotismus nur einen Chiffre für Rassismus ist, was sie ihren Nachbarinnen auch sehr direkt zu verstehen gibt. Kurz danach läuft Caz, der gerade noch einem Angriff des Mörders in der Autowerkstatt entkommen ist, entlang der inzwischen leeren Tische und Stände des Festplatzes. Empire, Mord und Nationalismus treffen in dieser Szene in Zeitlupe aufeinander.

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Bei der Gegenveranstaltung zum Fest der Monarchie, dem „Fuck the Jubilee“-Konzert im Dalston Park, auf dessen Poster das „Rock Against Racism“-Logo zu sehen ist, taucht schließlich die National Front auf. Doch der Molotow-Cocktail, der auf der Bühne landet, wird nach hinten los gehen.

Am Ende ist „Young Soul Rebel“ ein Film über queere Freundschaft. Während der Mordplot und die Beziehungen zu neuen Lovern Chris und Caz auseinander zu treiben scheinen, reicht ihr Konflikt über ihre gemeinsame Karriere als DJ-Team am tiefsten. Caz braucht dringend einen Job, um zu Hause auszuhelfen; Chris fühlt sich von den Ambitionen, einen Gig bei einem Mainstreamsender zu landen, verraten. Immer wieder laufen die beiden auseinander, nur um in Gesten der Verbundenheit wieder zueinander zu finden. Als Caz endlich die richtige Hose gefunden hat und die beiden losziehen, richtet Chris ihm im Türrahmen liebevoll das Hemd. Die zärtlichee Geste geht in eine Umarmung über, in ein kurzes Trauern über TJs Tod, dann ziehen die beiden wieder los in Chris’ rotem Auto, mit dem sie ihr DJ-Equipment und die kostbaren Schallplatten zu The Crypt fahren. Der Club und der Piratensender sind ihr ganz eigenes Mothership.




Young Soul Rebels
von Isaac Julien
GB 1991, 105 Minuten, FSK 16,
deutsche SF & englische OF mit deutschen UT

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