Wege zu Kraft und Schönheit

TrailerDVD / VoD

Was ist der vollkommene Körper – und wie erhält man ihn? Mit diesen Fragen setzte man sich bereits vor 100 Jahren auseinander. Nach dem Motto „Ein gesunder Geist lebt in einem gesunden Körper“ zielt der Kulturfilm „Wege zu Kraft und Schönheit“ (1925) auf die Wiederaneignung eines körperlichen Idealzustandes nach Vorbild der Antike ab und propagiert dazu vor allem die körperliche Ertüchtigung. In den 20er Jahren traf der didaktische Lehrfilm in sechs Kapiteln einen Nerv der Zeit und war Ausdruck eines neuen Körperbewusstseins, das sich in Form der Lebensreformbewegung und des Naturalismus etabliert hatte. Der Film ist aber auch ein wertvolles filmhistorisches Dokument, das als ideologischer Vorläufer des nationalsozialistischen Körperkultes angesehen werden kann, wie er später etwa in Propagandafilmen von Leni Riefenstahl zelebriert wurde. Nachdem „Wege zu Kraft und Schönheit“ jahrzehntelang nur zensiert verfügbar war, erscheint der Film nun wissenschaftlich rekonstruiert, digital restauriert und erstmals in seiner vollständigen Fassung auf DVD und ist auch als VoD verfügbar. Andreas Wilink folgt den Spuren eines Klassikers des UFA-Kulturfilms.

Foto: Edition Salzgeber

Der befreite und der erzwungene Körper

von Andreas Wilink

Der Weg führt von den alten Germanen, die über Pferderücken turnen, zum soldatischen Preußen, macht Halt bei der Gesundung des Volkskörpers – und geht dann in unserer Vorstellung darüber hinaus zum Tag von Potsdam mit Hindenburg und Hitler und weiter bis in den schwindelnden Abgrund.

Der Titel „Wege zu Kraft und Schönheit“ hat für uns einen Beiklang, der 1925 noch keinen Alarm auslöste. Wilhelms Pragers „Film über moderne Körperkultur ins sechs Teilen“ wurde 1925 von der Filmprüfstelle in Berlin mit Schnittauflagen freigegeben, nach einem Antrag auf Widerruf im Anschluss an die Premiere erneut gekürzt und verändert und 1927 schließlich in neuer, teils neu gedrehter Fassung ins Kino gebracht.

Er firmierte als Kulturfilm, eine Gattung, die Hilmar Hoffmann als „typisch deutsche Erscheinung“ bewertet und die Klaus Kreimeier „im Dienst der Neuorganisation der sozialen Sinnlichkeit“ sieht. Die Dokumentation mit Spielszenen war eine von 47 Produktionen der Ufa aus dem Jahr (von insgesamt 244 in Deutschland hergestellten Filmen). Kreimeier schreibt in seiner umfangreichen „Ufa-Story“ (Hanser, 1992) über die Ateliers der Filmfabrik in den zwanziger Jahren als einem „Mischort im Sinne Ernst Blochs, einer Produktionsstätte, die ehrgeizigen künstlerischen Ansprüchen ebenso wie routiniertem Durchschnitt, der ‚Hochklassik’ des deutschen Stummfilms ebenso wie der serienmäßigen Produktion für den Tagesbedarf und für den schnellen Profit ein Daseinsrecht einräumte“.

„Wege zu Kraft und Schönheit“ ist eine Erziehungs- und Präventivmaßnahme mit offensivem Charakter. Das Ziel: Ertüchtigung – und Wehrertüchtigung. Rekonstruiert (so weit als möglich entlang der Urfassung von 1925), digitalisiert und musikalisch an die Gegenwart aufgeschlossen, lassen sich die 110 Minuten nicht betrachten ohne ihren ideologischen Unterbau. Marschklänge geben manchmal den Takt vor in der von Giuseppe Becce komponierten Filmmusik – der Italiener hatte da schon u.a. „Das Cabinet des Dr. Caligari“ und Stummfilme von Fritz Lang und Murnau vertont und würde 1932 auch Leni Riefenstahls „Das blaue Licht“ instrumentieren. Die übrigens wiederum wirkt in einer Szene des „Wege“-Films mit, obwohl sie selbst nicht für die Ufa gedreht und nur als Schauspielerin von Alfred Hugenbergs Konzern engagiert war, der 1937 verstaatlicht und von Joseph Goebbels’ als wirkmächtiges Propaganda-Instrument genutzt wurde.

Eindeutige Ausrichtung lässt sich dem „Wege“-Film nicht nachweisen. Er gabelt sich in einen progressiven, emanzipatorischen und in einen konservativen, revisionistischen Abzweig. Das damalige Zeitgeist-Phänomen des befreiten Körpers und seiner Lockerungsübungen, das sich der massiv gewordenen Industrialisierung, Mechanisierung und Technisierung und dem „Zeitalter der Nervosität“ (Joachim Radkau) entgegenstellte und auf das Durchrationalisieren auch mit irrationalen Strömungen reagierte, schritt dem kollektiven Ungeist voraus.

Foto: Edition Salzgeber

Das Korsett der Zwänge sollte aufgeschnürt, Verspannungen der Moderne wollten gelöst werden. Einige Film-Bilder nehmen den expressiven (expressionistischen) Gestus auf und sind visuelle Echos einer Sinfonie der Großstadt. Man holte sich das Altertum als Zeugen. „Die alten Griechen und wir“ (das erste der sechs Kapitel) ruft Winckelmanns Erbe auf mit seiner Idolisierung des nackten (Jünglings- und Männer-)Körpers, die bei Gymnastik wetteifern und sich bei antiker Badekultur begegnen. Da geht es im Film dann recht elysisch zu. Der Appell zur Harmonie von Leib und Geist beglaubigt seine Notwendigkeit durch die Gegen-Montage mit geduckt büffelnden Gymnasiasten wie an Professor Unrats Schule, mit dicken Menschen und grotesk gezeichnetem Personal wie aus einer Grosz-Karikatur. Diese Zeitgenossen verkümmern an Pulten und Maschinen, beim ungezügelten Nachtleben und bei Völlerei.

Daraus erwächst eine ästhetische, soziale, moralische und medizinische Verpflichtung, die die Folge-Kapitel über Hygienische Gymnastik, Bewegung und Rhythmus, Tanz und Sport durchexerzieren. Es gilt, den Triumph des Willens über menschliche Schwer- und Faulkräfte zu erreichen. Aufnahmen von der Olympiade 1924 in Paris, von Rekorden und Sensationen, dem Hürden-Nehmen zu Wasser, zu Lande und in den Lüften antizipieren Riefenstahls „Fest der Schönheit“.

Es wird einem mulmig angesichts der Schnittmenge von sinnvoller Körperertüchtigung zum Körperkult, von Naturerleben und Ursprünglichkeit, Wandervögeln, Eurythmie-Gefolgschaft, FKK’lern, Bewegungstänzern (Rudolf Laban, Mary Wigman) und frischen Ideen etwa der Odenwaldschule hin zum „Ornament der Masse“ (Siegried Kracauer), das in Langs „Nibelungen“ seine Muster bildete, zum Marschkörper, zur sich selbst anfeuernden Siegernation und zur rassischen Überlegenheit eines Volkskörpers über einen anderen, für minderwertig gehaltenen.

Foto: Edition Salzgeber

Der skeptische Gedanke, dass wir alle aus krummem Holz geschnitzt sind, die humane Erkenntnis von den Gebrechen der Individualität werden fortgehobelt, werden abtrainiert. Wir Zuschauer blicken in historisch gebrochener Perspektive auf diesen „Weg“. Der Film selbst zieht Linien von tänzerischen Riten der Naturvölker (den indigenen Kulturen) in Afrika, auf Hawai, in Japan und Indien  – wir wiederum denken an Kunstbewegungen im frühen 20. Jahrhundert, die sich bei den „Primitiven“ umsahen und die Einfachheit, Strenge und Naivität der Maske in ihr Werk aufnahmen. Wir erinnern uns an die Fotosafaris der Riefenstahl, die die Nuba inszenierte wie Arno Breker seine Heroen, und an einen Fotografen wie Robert Mapplethorpe, der mit der Kamera das Fleisch skulptural gestaltete.

Von der Begeisterung über die schwarze Venus Josephine Baker im Bananen-Look, dem olympischen Athleten und Goldjungen Jesse Owens oder über asiatische Kampftechniken hin zu deren Verdammung als „entartet“ und perversen Umkehrung in den Nazi-Sauberkeits- und arischen Überlegenheitswahn war kein langer „Weg“. Wenn in einem Zwischentitel vom „Endkampf“ einer Ruder-Regatta zu lesen ist, hören wir eine andere Bedeutung mit, die 20 Jahre später in die totale militärische, politische und moralische Katastrophe und Kapitulation geführt haben wird. An seiner Strecke lag der (aktuell mit Aerobic-, Electric- und Workout-Sound von „48nord“ unterlegte)  „Wege“-Marathon zur Selbstertüchtigung, Selbstermächtigung und Selbstoptimierung.




Wege zu Kraft und Schönheit
von Wilhelm Prager
DE 1924/25, 108 Minuten, FSK 0,
deutsche OF,

Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD (deutsche Fassung): € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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