Thomas Savage: Die Gewalt der Hunde

Buch

Das queere Westerndrama The Power of the Dogvon Jane Campion ist aktuell für zwölf Oscars nominiert. Bevor am Sonntag die Preisträger:innen bekannt gegeben werden, blicken wir auf die die Buchvorlage „Die Gewalt der Hunde“ von Thomas Savage aus dem Jahr 1967, die im Dezember erstmals auf Deutsch erschienen ist. In der Welt des alten Wilden Westens erzählt Savage von unterdrückter Homosexualität, Selbsthass und Rache. Tilman Krause ist begeistert von der erzählerischen Wucht des Romans und seiner meisterhaft gezeichneten Figuren.

Kurz vor dem großen Knall

von Tilman Krause

So sparsam dosiert! So geschickt verpackt! Wer zu Thomas Savages bereits 1967 erschienenem Roman „Die Gewalt der Hunde“ greift, ahnt lange nicht, worum es da eigentlich geht. Man taucht nämlich zunächst einmal tief ein in die Welt des alten Wilden Westens der Vereinigten Staaten. In eine Männerwelt. Sie fühlt sich auch im Jahre 1925, in dem die Geschichte spielt, noch ganz so an wie in der unverwüstlichen Fernsehserie „Bonanza“, die bekanntlich im 19. Jahrhundert angesiedelt war. Hier wie dort geht es um Rinder, Schafe, Pferde, Hunde, Waffen, Zäune – und einen riesigen Landbesitz im Schatten der Rocky Mountains.

Eine Ranch samt ihren reichen Besitzern gib es auch bei Thomas Savage. Nur fehlt die Fröhlichkeit der „Ponderosa“ aus „Bonanza“, wo Papa Cartwright mit seinen drei Söhnen ein so munteres und abwechslungsreiches Leben führt. In der Eintönigkeit, die in „Die Gewalt der Hunde“ vorherrscht, ist von Munterkeit nichts zu spüren. Vielmehr scheint so etwas wie ein Fluch über der namenlosen Ranch der Burbanks zu liegen, und die Elterngeneration hat sich auch bereits zurückgezogen. Die alten Herrschaften leben längst auf ihrem Altenteil in Salt Lake City und kommen nur noch selten ins ländliche südliche Montana. Dort hat ihr Nachwuchs schon seit Jahren die Geschäfte übernommen. Wozu beispielsweise auch der Viehabtrieb zählt, mit dem der Roman kraftvoll einsetzt – über tausend Rinder werden da von den Burbank-Brüdern mit ihren Cowboys von den Feldern in die kleine (fiktive) Stadt Beech gebracht.

Leiten tut diese Transaktion Phil, der ältere der Brüder. Und, wie gesagt, wenn man in dieses Westernambiente einsteigt, ahnt man lange nicht, dass der Roman vor allem um Phils willen erzählt wird. Was man jedoch relativ schnell begreift, ist die Tatsache, dass der Autor mit diesem Phil „eine der überzeugendsten und boshaftesten Figuren der amerikanischen Literatur“ erschaffen hat. So sagt es Annie Proulx in ihrem Nachwort zur Neuausgabe – jene Annie Proulx, der wir die in einem ganz ähnlichen Setting spielende Novelle „Brokeback Mountain“ verdanken. Sie wurde vor allem 2005 durch die Verfilmung von Ang Lee mit Heath Ledger und Jake Gyllenhaal als ikonischem schwulem Liebespaar zum Inbegriff der Macho-Homosexualität unter Cowboys. Und Annie Proulx hat Recht: Phil, zweifellos der intelligentere der beiden Burbank-Söhne, ist ein durchtriebener, unsympathischer Kerl, noch dazu dünkelhaft und voller Verachtung für die Schwachen und Unterdrückten – wie etwa die wenigen noch verbliebenen Indianer, auch wenn sie inzwischen von der Regierung in Reservate gesperrt worden sind.

Der vierzigjährige Phil lebt in einer Art Symbiose mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder George zusammen – ihr 25. Jubiläum des Rinderabtriebs will ihm als eine Art silberne Hochzeit erscheinen, die er eigentlich gerne feiern würde. Doch daraus wird nichts. Ganz im Gegenteil! Für Phil bricht eine Welt zusammen, als George plötzlich heiratet. Und Phil tut alles, um dem neuen weiblichen Familienmitglied Rose das Leben schwer zu machen. Er ignoriert sie, wo er kann, weigert sich, mit ihr auch nur zu sprechen. Zusätzlich provoziert er sie durch ungehobeltes Benehmen und lässt sie überhaupt auf Schritt und Tritt spüren, dass sie in seinen Augen nicht das Recht hat, auf der Ranch zu leben. Denn sie ist die Witwe eines Arztes, der sich erhängte. Und dann ist da auch noch ihr sonderlingshafter Sohn, Peter, der mit Pferden nichts im Sinn hat, sondern lieber liest, in Phils Augen also ein Waschlappen, den er, wenn er mit seinen Cowboys zusammen ist, nur höhnisch „Nancy“ nennt.

Aber warum ist Phil so? Warum kann er andere nicht glücklich sehen, warum weidet er sich an ihrem Unglück, das er ihnen dann auch noch gemein um die Ohren haut, wie zum Beispiel die Tatsache, dass die arme Rose, die auf der Burbank-Ranch einfach nicht heimisch werden kann, zur Trinkerin wird? Ganz spärlich streut der Autor auf den über 300 Seiten die Hinweise, was es mit Phil auf sich hat. Er erwähnt in einem Halbsatz, dass Phil nie zu Huren geht und sich besonders wohl fühlt, wenn er mit seinen Angestellten zusammen sein kann, durchweg kernige junge Burschen, die zu ihm aufblicken. Thomas Savage hebt auch hie und da Phils Härte gegen sich selbst hervor. Und allmählich ahnt man, dass Phils Unleidlichkeit mit einem geheimen Selbsthass zu tun haben muss. Sehr spät, um genau zu sein erst auf Seite 312, fällt dann der aufschlussreiche Satz: „Er hasste die Welt, für den Fall, dass sie ihn zuerst hasste.“ Es ist die alte Dynamik, von der schon Goethe im Homosexuellen-Porträt seines Gedichts „Harzreise im Winter“ spricht: „Erst verachtet, dann ein Verächter“: In einer Welt, die Homosexualität stigmatisiert, muss ein bestimmter schwuler Typus alles abwerten, was ihn irgendwie an sein verhasstes Sosein erinnert. Und diese Autoaggression, nach außen projiziert, sucht sich ihre Opfer.

Über weite Strecken hat man in diesem Roman das Gefühl, Phils Opfer sei die arme Rose, der er so unbarmherzig das Leben schwermacht. Doch dann kommt Peter ins Spiel, der die Ferien auf der Ranch verbringt. Und nun geschieht etwas Seltsames: Ursprünglich plant Phil, der Mutter auch noch ihren Sohn abspenstig zu machen, Peter also auf seine Seite zu ziehen, um Rose noch mehr zu isolieren. Ausgerechnet mittels eines Seils, das er für Peter aus Tierhäuten flechtet, scheint ihm das auch zu gelingen: Phil fängt, ganz westerngemäß, den 16-Jährigen anscheinend mit einem Lasso ein! Doch Peter verfolgt seinen eigenen Plan. Er geht auf Phils Angebot ein, ja er tut ein Übriges und legt eine Zuneigung an den Tag, die Phil mehr und mehr verwirrt und offenbar auch an eine alte Liebe erinnert, zu einem echten Kerl und Cowboy, der dann starb. Unnötig zu sagen, dass das alles ganz unausgesprochen bleibt und vom Autor nur angedeutet wird. Eindeutiger scheint da schon zu sein, dass Peter jedenfalls nicht in Phil verliebt ist. Er will vielmehr seine über alles geliebte Mutter rächen. Und, soviel sei verraten: Dies gelingt ihm schließlich auch, weil Peter Phil irgendwann mit seinen eigenen Waffen schlägt. Dabei legt der so zurückhaltende Jugendliche sogar noch mehr raffinierte Grausamkeit an den Tag als Phil …

Die Intrigen und seelischen Verletzungen in diesem meisterhaft disponierten Buch sind durchweg in einem kargen, andeutungshaften Stil erzählt, der allerdings in geradezu schwelgerische Schilderungen des einfachen Lebens im Montana der 1920er Jahre und in die dort alles beherrschenden Macht der Landschaft und Natur eingebettet ist. Streckenweise erinnert der Roman an die Plots in den Theaterstücken von Tennessee Williams, wo die unterdrückte Homosexualität der männlichen Protagonisten auch auf leisen Sohlen daherkommt, um schließlich die unabwendbare Katastrophe herbeizuführen. Nur hat sich der einige Jahre jüngere, 1915 geborene Thomas Savage ein anderes Milieu gewählt, in dem er seine Geschichte ansiedelt. Hier wirkt das Normsprengende des mann-männlichen Begehrens noch härter, schicksalshafter. Doch nicht nur Phil und Peter, die in ihrer Ambivalenz so geheimnisvoll stark sind, faszinieren. Auch mit den Schwachen – Rose, ihrem Mann, einer Indianerfamilie – gelingen dem in Deutschland noch viel zu wenig bekannten Thomas Savage unverwechselbare Menschendarstellungen.

Sie alle versetzen uns in eine Welt, die vor dem großen Knall zu stehen scheint, in der sich etwas Neues vorbereitet. Man sieht die Zeichen am Himmel, deuten kann man sie noch nicht. Indem der Autor diese Atmosphäre aus vager Bedrohung schafft, erzeugt er eine starke Suggestivität. Hier ist, fünfzehn Jahre nach der Renaissance von Richard Yates, abermals ein literarisches Talent aus Amerika zu entdecken, dessen erzählerischer Wucht man sich einfach nicht entziehen kann.



Die Gewalt der Hunde
von Thomas Savage
Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel
Taschenbuch, 352 Seiten, € 12,00
btb Verlag

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