The Girl King

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Mika Kaurismäki erzählt in seinem Film „The Girl King“ die Geschichte der jungen Königin Kristina von Schweden (1626-1689), die sich allen Regeln widersetzte, die damals für Frauen und Monarchen galten, sich weigerte zu heiraten und einen Thronfolger zu gebären und trotzdem Weltgeschichte schrieb. Obwohl sie bereits mit 26 freiwillig als Königin abdankte, gilt sie bis heute als eine der größten Reformerinnen ihres Landes, das sie konfessionell versöhnte und dessen Künste und Wissenschaften sie maßgeblich förderte. Kaurismäki interessiert sich für die acht Jahre, in denen Kristina ab ihrem 18. Lebensjahr Königin mit Regierungsgewalt war – und für die wohl größte Freiheit, die sich die Regentin nahm, die Liebe zu ihrer Hofdame Ebba Sparre. Ein queerer Kostümfilm über weibliche Selbstermächtigung.

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Die Libertine

von Angelika Nguyen

In dem Film gibt es diese eine Szene: Die junge Königin Kristina muss mit ansehen, wie die Frau, in die sie sich verliebt hat, Ebba, verstohlen und flüsternd einen Mann küsst. Kristinas Augen weiten sich, sie schluckt, wendet sich ab. Eine ganz kurze Szene. Und doch tritt da für Sekunden der Kummer aller heimlich und vergeblich Liebenden der Jahrhunderte in Kristinas dunkle Augen.

Doch Kristina erholt sich, außer Ebba gibt es nämlich noch etwas anderes, wofür sie brennt: die Geisteswissenschaften, die Philosophie, das Denken. Gleich in der nächsten Szene stürzt sie sich dort hinein: Sie schreibt dem von ihr verehrten französischen Philosophen Descartes einen Brief. Descartes hat die Neugier einmal als stärksten menschlichen Antrieb beschrieben – und neugierig ist auch die junge Kristina. Der Brief erscheint in dieser Szene zunächst wie eine Ablenkung. Doch das täuscht. Eigentlich erzählt der Film eine weibliche Emanzipationsgeschichte: Er zeigt, über welche enorme Kraftreserven das anfänglich zarte, gesundheitlich angeschlagene Kind verfügt, das seinen geliebten Vater, König Gustav, gleich in der ersten Szene an den Krieg verliert. Der Film deutet diese historisch verbriefte starke Bindung Kristinas an ihren Vater nur an. Solch ein früher Verlust kann aber eben auch zur starken Antriebskraft werden. Die Energie, die Kristina schon als Kind hatte, wird zu großen Teilen ihrer „männlichen“, also freieren Erziehung zugeschrieben. Kristina tritt da modern in Hosen, kurzen Jacken und langen Stiefeln, männersattelreitend und schwertvertraut auf – und bereits mit großer Aufmerksamkeit gegenüber der Frau, die sie liebt, und einem Zorn gegenüber Männern, die alle irgendwie auswechselbar sind.

Der Film zeigt weiter, wie Kristina aufsteigt und Macht gewinnt. Aber viel mehr als die Herrschaft über ein Land weiß Kristina die Freiheit des Denkens zu schätzen, treuer als jeder Religion ist sie sich selbst. Als unkonventioneller Freigeist hat die historische Königin Kristina von Schweden (1626-1689) schon öfters Filme inspiriert, und keine Geringeren als Greta Garbo (USA 1933) und Liv Ullmann (GB 1974) haben sie gespielt. Anders als jede vorhergehende Interpretation des Stoffes erzählt Kaurismäki Kristinas Leben als ein queeres Liebesdrama von Verzauberung, Begehren und schließlich Verzicht, das sich zwischen Kristina und ihrer Kammerzofe Ebba Sparre abspielt. Trat Ebba in anderen Erzählungen als „die beste Freundin“ und Lieblingsdienerin auf, wird sie hier zum Objekt der Begierde, zur großen Liebe.

Als Idol der Anbetung bleibt diese Ebba aber eher bildhaft, blass, etwas unentschlossen und wird allemal überstrahlt von dem kraftvollen, energiegeladenen Kristina. Bei Kaurismäki gibt es entgegen der Überlieferung und entgegen einem historischen Brief von Kristina („Belle, ich bin aber dazu verurteilt, Sie ewig zu lieben und anzubeten, ohne Ihnen begegnen zu können“) die tatsächliche körperliche Erfüllung: Sie landen zusammen im Bett. Der Sex wird allerdings nur angedeutet, vielmehr stützt der Film sein ganzes sinnliches Feuerwerk auf die grandiose Kristina-Darstellung der schwedischen Schauspielerin Malin Buska, die die Begehrende, die Liebende so bewusst, so schmerzlich, aber zugleich so auf sich selbst bezogen, so einsam spielt, dass Thomas Manns berühmte Behauptung, dass der Liebende göttlicher sei als der Geliebte, hier besonders anschaulich wird.

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Die Liebesgeschichte mit Ebba wird noch weiter gesponnen bis zur endgültigen Trennung – bis zur Heirat der Zofe mit ihrem Verlobten –, fügt sich aber auch ein in die größere Erzählung um die kühne Königin, die allen bärtigen Hofberatern zum Trotz so agiert, wie es ihr passt und nur ihr.  Subjekt sein in allem – das ist es, was Kristina will. Die geforderte Ehe mit einem Mann ist ihr ein Graus, Luther bezeichnet sie als Sadisten, den Teufel findet sie interessant, den Frieden die größte Herausforderung. Kurz: Kristina ist eine Libertine, die furchtlos nicht nur gegen erotische Konventionen, sondern auch religiöse, politische und denkerische Regeln ihrer Welt rebelliert. Malin Buska strahlt diese Unabhängigkeit aus, sie ist es, die den Film trägt.

Der Film beruht auf drei Überlieferungen um Kristina: die Liebe zu ihrer Zofe Ebba, ihre Förderung der Wissenschaften und die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges gegen den Widerstand ihrer Berater. All die auftretenden historischen Figuren – den Reichskanzler (Kristinas Mentor und Vaterersatz),  ihren Cousin Karl Gustav und selbst die Geliebte Ebba – inszeniert Kaurismäki eigentlich nur als Nebenfiguren, wie Stationen auf dem Weg Kristinas zu sich selbst, als bunten Hofstaat, den sie am Ende gerne hinter sich lässt, auf dem Weg in die Freiheit, in eine wärmere, hellere, klügere Gegend. Dabei wird der Katholizismus von ihr aus Protest gegen die sie umgebende düstere evangelisch-lutherische Kirche idealisiert. Mit dieser Illusion endet der Film, in einem gewaltigen traumhaften Bild. Dazu ertönt eine große pathetische Arie: „L’amore“ von Anssi Tikanmäki. Schluss. Kein Wort von den Sorgen, die die ältere Kristina in der Zukunft erwarten, von ihrem späteren Widerstand gegen die katholische Beichte und die Judenverfolgung, kurz: von den Schwierigkeiten, die ein Freigeist wie sie zwanglsäufig auch mit der katholischen Kirche haben muss.

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Kaurismäki erzählt die Geschichte in einem engeren Rahmen als es das Genre des Biopics gewöhnlich vorsieht. Nach anfänglichen Zeitsprüngen im Prolog konzentriert er sich auf die paar Jahre, die Kristina bis zu ihrer Abdankung wirklich Königin war: vom 18. bis zum 26. Lebensjahr. Die anschließende Übersiedlung nach Rom zeigt der Film schon nicht mehr realistisch, sondern lässt Kristina ein Tor öffnen, hinter dem gleißendes Licht eine Wunderwelt der Freiheit verheißt. Von dieser Freiheit erzählt der Film mit großer Energie. „The Girl King“ ist nur scheinbar historisch, er ist vor allem modern.




The Girl King
von Mika Kaurismäki
FI/DE/CA/SE/FR
2016, 106 Minuten, FSK 12,
deutsche SF & englische OF mit deutschen UT,
NFP

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