The Angelic Conversation

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Im Abschlussteil unserer Artikelreihe zum 80. Geburtstag von Derek Jarman (1942-1994) wenden wir uns „The Angelic Conversation“ zu. Darin visualisiert Jarman die unterschwellig homoerotischen Themen in William Shakespeares Sonetten. Judi Dench liest 14 dieser Sonette, untermalt mit der Musik von COIL, die zur Kulisse für Jarmans visuelle Kollage aus surrealistischen und eindringlichen Bildern werden. Zusammen mit drei weiteren Meisterwerken Jarmans ist „The Angelic Conversation“ im Salzgeber Club zu sehen. Fritz Göttler über Bilder, die in sich selber kreisen, und ein Kino, das durchatmen kann.

Foto: Salzgeber

Sehen mit Respekt

von Fritz Göttler

Ein Mann steht an einem Fenster, es ist ein großbürgerliches Interieur, aber sein Blick geht nicht hinaus, bleibt im Innern. Verharren, Sinnieren, Ersehnen… Man kennt diese Momente aus den frühen Stummfilm-Melodramen, da sind es die Frauen, die so ihre Einsamkeit und ihr Verlangen zum Ausdruck bringen. Die Kunst der Diven, Sehnsucht war Teil ihrer Profession.

Kurz darauf ein anderer Mann. Er blickt Richtung Kamera, in der Hand hält er einen Spiegel, der manchmal kurz aufblitzt vom Sonnenlicht. Er sucht Kontakt, bricht die narrative Einsamkeit auf, geht aus sich heraus. Zwei Elemente des Liebesdiskurses klingen zu Beginn von „The Angelic Conversation“ an, zwei Home-Movie-Momente, aber wo ist Home in der Mitte der 1980er Jahre, als der Film entstand? Die Ikonografien der Sehnsucht und der Aggressivität liefern das Material, aus dem der Film gebaut ist. Es sind Super-8-Filme, aus der Jugend, beim British Film Institute durfte Jarman sie bearbeiten und konservieren, Super 8 ist schnell verschlissen bei öfterem Gebrauch, er hat sie also auf die Leinwand projiziert und dann auf Video abgefilmt, mit Zeitlupe und eigener Kolorierung und Kadrierung. Bis die Objekte ihre Umrisse verloren, durch die sie identifiziert, benannt, in Erinnerung behalten werden. Die Freunde und Geliebten und Mitarbeiter ihre Identität aufgaben.

Wie Godard liebt es Jarman, an seinem Material zu arbeiten. Die Reproduktion der Wirklichkeit, mit der die Kinotheorie in den ersten Jahrzehnten sich herumgeschlagen hatte, ist für ihn wirklich das allerletzte Problem. Die Kamera hatte immer schon ihre eigene Schaffenskraft, und am schönsten ist ihr Blick, wenn er anonym bleibt, wenn kein Individuum hinter ihm sichtbar wird, keine Einstellung und Instanz und Person. Wenn die Bilder im Fluss bleiben – auch „The Angelic Conversation“ findet sich immer wieder am Strand, auf Felsen und Klippen, am Wasser. Wie es zu Identität und Bewusstsein kommt, zum Gegenüber von Ich und Du, das ist bei Jarman – und bei seinem geliebten Shakespeare – alles eine Frage der Liebe. „Love is too young to know what conscience is; Yet who knows not, conscience is born of love?“ Der Leitspruch vor dem Film, der Beginn der Nr. 51 von Shakespeares Sonetten.

Die Bilder sind aus jedem Zusammenhang gerissen und aus ihrem Rhythmus gebracht durch die Nachbearbeitung. Ein entschiedener Kontext wird ihnen verweigert, die narrative Geborgenheit. Es bleiben Bewegungen, Beziehungen, Berührungen. Rituale und Kinderspiele, mit Ernst und mit Lässigkeit zugleich durchgespielt. Einen König salben und ausstatten für sein Amt. Die stumme Eloquenz der gemalten Bilder wird im „Caravaggio“-Film zur Quelle von Fiktion, schreibt Frieda Grafe in ihrer Kritik, der Film folgt in der Filmografie auf „The Angelic Conversation“. Es ist eine andere Rolle, die Fiktion in diesen Filmen spielt, ihr bleibt immer etwas Spielerisches, etwas Unverbindliches, eine Offenheit.

Foto: Salzgeber

Die Bilder haben eine farbliche Tönung, wie die in den Stummfilmen, was man lange nicht zur Kenntnis nahm, erst in den 80ern hat man bei neuen Restaurationen die alten Filme getönt und erlöst aus ihrer harten schwarzweißen Lustlosigkeit, ihnen ihre Sinnlichkeit und Plastizität zurückgegeben und ihre Lüsternheit. Die Bilder drängen sich nicht danach, Erzählung zu werden – kein Rollenspiel, keine Staatsaktion, nur diskrete Momente. Der König, den es zu krönen gilt, hat magische Zeichen am ganzen Körper, er kriegt Krone und Schwert und wird sorgfältig abgeküsst. Zwei Männer kämpfen mit Stecken gegeneinander, vor einem lavaroten Hintergrund, und scheinen im Kampf zu verschmelzen. Zwei Männer schleppen sich ab, mit einem Block der eine, einem Balken der andere, langsam setzen sie Fuß vor Fuß.

Die Liebe ist das große Darstellungsproblem der Kunst, seit Jahrhunderten, und an der gleichgeschlechtlichen Liebe ist das immer besonders deutlich sichtbar geworden. Roland Barthes hat das an der Literatur studiert, in den „Fragmenten einer Sprache der Liebe“, und seine Schlüsse gezogen daraus. „Ich möchte das System wechseln: nicht mehr demaskieren, nicht mehr interpretieren, sondern das Bewusstsein selbst zur Droge machen und dadurch zur umfassenden Vision des Realen Zugang finden, zum großen klaren Traum, zur prophetischen Liebe. (Und wenn das Bewusstsein – ein solches Bewusstsein – unsere menschliche Zukunft wäre? Und wenn, durch eine zusätzliche Drehung der Spirale, das Bewusstsein eines Tages, eines Tages, der sich blendend von allen anderen abhöbe, nachdem jede reaktive Ideologie verschwunden wäre, schließlich zu folgendem würde: zur Aufhebung des Manifesten und des Latenten, der äußeren Erscheinung und des Verborgenen? Wenn von der Analyse verlangt würde, die Kraft nicht zu zerstören (sie nicht einmal zu korrigieren oder zu lenken), sondern sie einfach, als Künstler, zu schmücken?“

Die Konfrontation aufheben zwischen dem Äußeren und dem Inneren, der Natur und der Kultur, davon träumt auch das Kino des Derek Jarman, lange schon, bevor er sein Cottage bezog am Dungeness Beach in Kent. Einmal gibt es in „The Angelic Conversation“ eine Einstellung auf dichtes Gezweig, aber durch dieses hindurch ist eine Abhör-Antenne zu erkennen, die beharlich kreist, wilde Natur vs politische Überwachung, die Kontrolle des Thatcher-Staates, in ein einziges Bild gefügt, ohne das klassische Erzählmittel der Montage, die alles in eine Ordnung zu bringen sich anstrengt, temporal und kausal. Eine Einstellung, in der das Kino durchatmen kann.

Foto: Salzgeber

„How are we perceived“, spricht Jarman in seinem letzten Film „Blur“, „if we are perceived at all? For the most part we are invisible…“ Das Wahrnehmen und Erkennen, das Sichtbarmachen – das lassen all seine Filme spüren – geht nie über den bewussten Blick. Durch seine Krankheit verlor er gegen Ende das Augenlicht. Bei Shakespeare war bereits zu lesen, im Sonett 43, wie wahres Sehen geht: „When most I wink, then do mine eyes best see, For all the day they view things unrespected; But when I sleep, in dreams they look on thee, And, darkly bright, are bright in dark directed … All days are nights to see till I see thee, And nights bright days when dreams do show thee me.“

Sehen mit Respekt, das wahre Sehen… Judi Dench ist die einzige Frau in „The Angelic Conversation“, sie spricht 14 der Sonette Shakespeares. Man spürt Zurückhaltung in ihrer Stimme, Resignation und Traurigkeit, manchmal auch Skepsis. Der Geliebte wird angesprochen in diesen Zeilen, aber es sind immer Selbstgespräche. Dialoge schreiben, die in Wahrheit Monologe sind, Bilder, die in sich selber kreisen, das war die große Kunst Shakespeares. Es ist auch die Kunst großen Kinos, dessen von Derek Jarman, und überhaupt.




The Angelic Conversation
von Derek Jarman
UK 1985, 78 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT,

Salzgeber

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VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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