Querelle (1982)
DVD
Am 31. Mai wäre Rainer Werner Fassbinder 80 Jahre alt geworden. Kurz nach seinem Tod im Jahr 1982 erschien sein letztes Werk „Querelle“ – unter Fassbinders vielen kontrovers diskutierten Filmen sicher einer der umstrittensten: Seine Verfilmung von Jean Genets Roman über einen mörderischen und sexbesessenen Matrosen gilt den einen als radikales queeres Manifest, den anderen als unverschämter Kunstporno. Vielleicht zeichnet ihn beides aus. „Die Gleichzeitigkeit von Reflexion und Sex ist großartig“, schreibt Sissy-Autor Peter Rehberg. Gedanken über ein legendäres Männerspektakel, das alles sein will – nur keine schwule Utopie.

Bild: Yorck Kinos
Macht, Mord und Männlichkeit
von Peter Rehberg
Rainer Werner Fassbinders Film „Querelle“ hatte einige Monate nach Fassbinders frühem Tod mit 37 Jahren im Herbst 1982 Premiere. Gewidmet war der Film seinem ehemaligem Lebensgefährten El Hedi ben Salem, der die Hauptrolle in „Angst essen Seele auf“ (1974) gespielt hatte und 1977 in einem Gefängnis in Frankreich gestorben war. Fassbinder hatte wahrscheinlich erst 1982 von seinem Tod erfahren.
Zwar spielten schwule und queere Charaktere bei Fassbinder schon vorher eine Rolle, vor allem in „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ (1972), „Faustrecht der Freiheit“ (1975), und auch in „Berlin Alexanderplatz“ (1980), aber für seinen letzten Film „Querelle“ nahm er sich die schwulste Geschichte der europäischen Literaturgeschichte als Vorlage.
Mythen ranken sich um den Roman „Querelle“ von 1947, ebenso wie um seinen Autor Jean Genet. In Frankreich und auch in der Bundesrepublik war der Roman wegen seiner Darstellung von Sexualität zeitweise verboten, was den Ruhm des Buches und des Autors natürlich nur vermehrt hat. Für Fassbinder war Genets „Querelle“ so wichtig wie Döblins „Berlin Alexanderplatz“, die Vorlage der gleichnamigen Fernsehserie, die Fassbinder im Auftrag des WDR realisiert hatte. Zusammen genommen waren die Texte so etwas wie seine Bibel.
Dabei sind die Bücher sehr unterschiedlich. Döblins Montage verschiedener Textformen begründet in Deutschland das Genre des Großstadtromans, es ist eine Studie des kleinbürgerlichen und proletarischen Milieus am Vorabend des Faschismus. Genets Geschichte des Matrosen Querelle, einem Kleinkriminellen und Mörder, angesiedelt in der französischen Hafenstadt Brest, ist eine Meditation über männliche Schönheit und schwules Begehren. Eine Ähnlichkeit liegt darin, dass in beiden Texten soziale Beziehungen schonungslos von Machtinteressen getrieben sind, einem der wichtigsten Motive von Fassbinders Filmschaffen insgesamt. Insofern ist „Querelle“ alles andere als eine schwule Utopie.
Der Film ist sexuell explizit wie ein Porno: Wie groß die Schwänze sind, wie gut es sich anfühlt, gefickt zu werden – aus verschiedenen Perspektiven kreist die Geschichte die ganze Zeit um schwulen Sex. Matrosen, Kapitäne, Bordellbesitzer (Nono gespielt von Günther Kaufmann) und Polizisten (Mario, gespielt von Burkhard Driest) bevölkern diese Welt. Während in Genets anderen Romanen oft Drag Queens oder trans Personen in der Hauptrolle zu finden sind, spielt „Querelle“ in einer reinen Machowelt. Eine Ausnahme ist nur die Bordellbesitzerin Lysiane, gespielt von Jeanne Moreau. Mit seiner Fetischisierung von Uniformen und Gesten männlicher Macht ist Genets Imagination nicht weit entfernt von der Tom of Finlands.
Fassbinder ist fasziniert von dieser Männerwelt. Daddys, Lederschwule, Twinks, das ganze Personal schwuler Pornografie ist hier zu finden. Sämtliche Beziehungen zwischen Männern sind sexualisiert. Glänzende Motorräder und phallische Türme an den Hafenmauern dienen als Kulisse und machen aus dem Männerspektakel fast eine Parodie.

Bild: Yorck Kinos
Mittendrin der Matrose Querelle, der sich wie ein guter Schwuler erst von einem nach dem anderen ficken lässt und dann die Seiten wechselt. Mit dem Schauspieler Brad Davis hat Fassbinder die Figur perfekt besetzt. Bekannt geworden war Davis 1978 durch Alan Parkers „Midnight Express“, als Querelle wurde er ein paar Jahre später weltberühmt. Brad Davis war Querelle, man kann sich Genets Romanfigur seitdem nicht mehr anders vorstellen. Der Schauspieler Davis lebte bisexuell, er infizierte sich mit HIV und nahm sich 1991 das Leben.
Dass europäisches Arthouse-Kino Anfang der 1980er Jahre an der Schwelle zur Aids-Krise so aussehen konnte wie Fassbinders „Querelle“ mit seinen schwulen Männerphantasien ist von heute aus betrachtet erstaunlich. Im europäischen Kino danach haben vielleicht nur noch Pedro Alomodóvar oder François Ozon, beide wie Fassbinder Meister des Melodramas aber gleichzeitig auch viel komödiantischer, schwulen Sex ähnlich freizügig behandelt, und mit Sicherheit kein anderer deutscher Regisseur derselben Liga. Auch wenn Wim Wenders oder Werner Herzog danach noch interessante Filme gemacht haben, mit Fassbinders Tod ging auch die große Zeit des westdeutschen Autorenkinos zu Ende.

Bild: Yorck Kinos
So sexuell explizit der Film „Querelle“ einerseits auch ist, so bedeutungsschwanger ist er auf der anderen Seite: Anspielungen auf die christliche Opfergeschichte und Motive der europäischen Kunst liefern den Kontext für die Begegnungen zwischen Querelle und seinen wechselnden Liebhabern, vor allem aus der Perspektive von Lieutenant Seblon (Franco Nero), dessen Tagträume und Tagebuchaufzeichnungen um den schönen Matrosen kreisen.
Es scheint so, als wäre das Zeigen von schwulem Sex und schwuler Liebe nur zusammen mit diesen hochkulturellen Referenzen möglich – bei Pasolini, einem Zeitgenossen Fassbinders, ist das ähnlich. Dienen diese Referenzen als Vorwand für einen eigentlich pornografischen Film? Manchmal nervt dieser Mix der Genres, der Film wirkt opernhaft künstlich, die inneren Monologe der Charaktere manieriert. Hier gibt es eine historische Distanz gegenüber Fassbinders Projekt (und auch Genets Text). Jede Szene, so hot sie auch ist, will immer auch noch mehr bedeuten.
Aber die Gleichzeitigkeit von Reflektion und Sex ist auch großartig, dann wird „Querelle“ zum philosophischen Porno. Denn auch mehr als 40 Jahre danach ist es ja nicht so, dass die großen Fragen von Tod, Macht und Männlichkeit zwischen Schwulen einfach geklärt wären, auch wenn sie in den Pornos, die wir täglich gucken, keinen Platz haben.
Querelle
von Rainber Werner Fasssbinder
DE/FR 1982, 108 Minuten, FSK 18,
französische OF mit deutschen oder englischen UT; deutsche oder englische SF