Pihalla
Trailer • DVD / VoD
Nachdem Miku bei einer Party beinahe die Wohnung seiner Eltern in Schutt und Asche gelegt hat, muss er zur Strafe für den Rest der Ferien mit ihnen ins Häuschen aufs Land. Es droht ein Sommer der Langeweile. Bis auf einmal der smarte und selbstbewusste Elias im Garten auftaucht und sich als Nachbar vorstellt. Plötzlich fühlt sich der Sommer für Miku so toll an, dass er am besten nie mehr endet. Unser Autor Paul Schulz hat sich „Pihalla“, der im Februar in der queerfilmnacht läuft, angesehen und findet: Nils-Erik Ekbloms Spielfilmdebüt ist schlau, sexy, sehr, sehr komisch und eine zarte, ganz untypisch finnische Liebesgeschichte zwischen zwei Teenagern.
Finnland, ein Sommermärchen
von Paul Schulz
Kaurismäki geht anders. Wo in den Werken des großen finnischen Meisters hauptsächlich unglückliche Menschen durch akkurat gefaltete Filmlandschaften schlurfen, in denen es nie richtig hell wird und alle aussehen wie am Morgen nach dem Besäufnis am Ende eines Fellini-Drehs, lässt Regisseur und Drehbuchautor Nils-Erik Ekblom in „Pihalla“ mal so richtig die Sonne rein. Nicht das dabei nicht gesoffen würde, aber im Gegensatz zu anderen finnischen Filmbacchanalien hebt sich das Glas hier immer Richtung Hoffnung, und zwar gleich von Beginn an.
Das geht so: Miku ist 17 Jahre alt und, wie in dem Alter ja nicht unüblich, ein bisschen verwirrt. Deswegen lässt er sich von seinem älteren Bruder Sebu dazu überreden, in Abwesenheit ihrer Eltern in deren Haus eine wilde Party zu veranstalten, bei der große Teile der Inneneinrichtung zu Bruch gehen. Sebus Ziel ist es eigentlich, dem kleinen Bruder, den er auch mal einen „Jungen ohne Eigenschaften“ nennt, während der derben Feierlichkeiten endlich ein Mädchen zuzuführen, das ihn entjungfert. Und tatsächlich schafft es Miku mit einem relativ betrunkenen und mehr als willigen Wesen des anderen Geschlechts allein in einem Zimmer zu sein und herumzuknutschen. Aber viel mehr passiert nicht, denn, so unser junger Freund: „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, mit dir ‚Die Sopranos‘ zu gucken.“
Als Mama und Papa am nächsten Morgen unerwartet und zu früh wiederkommen, liegt ihre Heimstatt in Trümmern und Sebu ist verschwunden. Also bekommt Miku Mamas Wut und Papas Fassungslosigkeit ab und wird dazu verdonnert, die nächsten sechs Wochen im familiären Ferienhaus irgendwo tief in der finnischen Pampa zu verbringen. Und zwar ohne Handy, denn das schmeißt Mama auf der Autobahn in einen Straßengraben, nachdem die Nachbarn telefonisch besorgt nachgefragt haben, ob bei der Party wirklich jemand gestorben sei.
Das ist nicht geschehen, aber Mikus Sommer scheint tot zu sein. Allerdings nur bis Elias auftaucht, der sprichwörtliche Junge von nebenan, und unseren Helden zu ganz neuem Leben erweckt. Das erstmal nicht weniger verwirrend ist als alles davor, dafür voll von zarten Küssen, nacktem Badengehen und einem sachten sexuellen Erwachen.
Mikko Kauppila als Miku und Valtteri Lehtinen als Elias sind dabei allerdings nicht das typische jungschwule Liebespaar. Denn ihre Sexualität wird nur durch Elias ständig bedröhnte Schwester kurz in Frage gestellt und ist danach eigentlich die kleinste Schwierigkeit in einem Film voller zum Schreien komischer Probleme, die vor allem die Erwachsenen haben. Mikus Mutter ist eine gerade vom Job freigestellte Künstlerseele, die sich Sorgen macht, weil ihr Ehemann, ein ständig schläfriger Muskelberg, sie seit Monaten nicht mehr anrührt und sie außerdem in ihrem Browserverlauf lauter Internetseiten findet, auf denen Männer andere Männer begatten. Elias Familie besteht neben einer Schwester noch aus seiner Mutter, die vor kurzem seinen Vater verlassen hat und deswegen schwer depressiv durch die die Sommersiedlung umgebenden Birkenwälder geistert.
Ideale Voraussetzungen für eine Liebesgeschichte sehen anders aus. Die Ausgangslage in „Pihalla“ ist aber ganz gut so. Denn was eigentlich als familiere Farce angelegt war, entwickelte Ekblom noch während der Dreharbeiten zu einer weit vielfältigeren, schöneren Geschichte über einen Haufen Menschen, die aus allen möglichen Gründen gerade noch nicht oder nicht mehr so genau wissen, wie das geht mit der Liebe. Das konnte er, weil er ein Ensemble hatte, das ein schauspielerisches Feuerwerk von Weltklasse abfackelt und dabei Farben aus den Figuren herausholt, die in ihnen zunächst offensichtlich nicht angelegt waren. Kauppila und Lehtinen sind dabei die am hellsten scheinenden Lichter. Wie die beiden jede Schattierung und Stimmung einer neuen Liebe zeigen, ohne dabei ein einziges Mal aus den ihnen zugeschriebenen Rollen „junger Naiver“ und „wilder Feger“ herauszufallen, ist beeindruckend. Die beiden Schauspieler wissen offensichtlich genau, was sie zeigen wollen: echte Menschen, auf die der Zuschauer zwar alle möglichen Begehrlichkeiten, Wünsche und eigenen Erfahrungen projizieren kann, die aber viel mehr sind als das.
Klingt komplex, und ist es auch, ist aber gleichzeitig an mindestens zwei Dutzend Stellen auch zum laut Herauslachen komisch. Zwei davon sind Mikus Coming-out-Momente mit Bruder und Mutter, die so herrliche Volten mit den Erwartungshaltungen des Publikums und Coming-of-Age-filmischen Konventionen schlagen, dass es einfach nur eine große Freude ist, dabei zuzuschauen. Das liegt auch daran, das Drehbuch und Regie mit großer, queerer Selbstverständlichkeit mit der Sexualität ihrer Figuren umgehen, ohne sich dabei auf die bekannte filmische Mechanik einer jungen schwulen Liebe zu verlassen. Ja, es gibt ein Happy End, aber das sieht ganz anders aus und ist viel schlauer, als man das von US-amerikanischer Coming-out-Ware gewohnt ist.
„Pihalla“ gehört zu einer in den letzten Jahren stetig wachsenden Anzahl von wunderbaren queeren Film-Erzählungen, die alle Unterhaltungs-Erwartungen erfüllen, und dann noch eine Schippe draufpacken. Was könnte es im dunklen, deutschen Februar Schöneres geben, als ein schlaues finnisches Sommermärchen, an dessen Ende zwei Jungs vielleicht „Die Sopranos“ gucken. Hach!
Pihalla
von Nils-Erik Ekblom
FI 2017, 100 Minuten, FSK 16,
finnische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber
Hier auf DVD.