Moffie

TrailerDVD/VoD

Südafrika 1981, zur Zeit der Apartheid: Wie alle weißen jungen Männer muss auch Nicholas seinen zweijährigen Militärdienst leisten, um den Staat vor der vermeintlichen Bedrohung durch den Kommunismus und die „Schwarze Gefahr“ zu verteidigen. Dass Nicholas schwul ist, darf niemand wissen, denn wer in der Truppe als „Moffie“ erkannt ist, wird brutal schikaniert und gequält. Doch dann verliebt sich Nicholas in seinen Kameraden Dylan. Oliver Hermanus zeigt, wie das Apartheid-Regime damals neben all seinen rassistischen Gräueltaten auch unzählige weiße junge Männer körperlich und physisch zugrunde gerichtet hat. Das episch bebilderte Soldatendrama gibt es jetzt als DVD und VoD. Unser Autor Philipp Stadelmaier über einen melancholischen und zugleich gleißend schönen Film der Erinnerungen.

Salzgeber

Zerstörte Begegnungen

von Philipp Stadelmaier

Der Abendhimmel leuchtet schwarz-blau, zwei gelbe Autoscheinwerfer bahnen sich ihren Weg durch die Dunkelheit. Eine Gruppe von Soldaten durchquert im Gegenlicht der untergehenden Sonne die Steppe. Der Himmel schimmert in Rosa, Gelb und Blau. Ein herrlicher Sommernachmittag, zwei Männer schwimmen im tiefblauen Meer, über dem Wasser tauschen sie unsichere Blicke aus, während sich unter der Oberfläche ihre Hände zögerlich aufeinander zubewegen…

Man könnte „Moffie“, den neuen Film des südafrikanischen Filmemachers Oliver Hermanus, auf diese Weise beschreiben: anhand von kleinen Ausschnitten, die schlaglichtartig seine gleißende Schönheit demonstrieren, die Melancholie im Blick auf eine vergangene Zeit und die Unmöglichkeit einer schwulen Liebesgeschichte zwischen zwei Soldaten.

Man könnte auch andere Momente wählen: Ein Zug durchquert eine Landschaft, als würde er jene, die er transportiert, einem fatalen Ziel zuführen. Auf einem Bahnhof bewirft eine Horde weißer Jugendlicher einen älteren Schwarzen mit einer vollgekotzten Tüte. Später werden junge Militärkadetten von einem sadistischen Sergeanten bei der entmenschlichenden Ausbildung gezwungen, ihr eigenes Erbrochenes zu essen. Und dann ist da noch der kleine, verängstigte Junge, den ein Mann aus den Duschen eines Freibads zerrt, weil er in ihm einen Spanner vermutet.

Wir sind in Südafrika, im Jahr 1981. Die weiße Apartheit befindet sich im Krieg mit dem von der Sowjetunion unterstützten Angola. Der sechzehnjährige Nicholas muss, wie alle anderen jungen Männer seines Alters, den Militärdienst absolvieren, um seinen weißen „Stamm“ zu verteidigen. Zum Abschied schenkt ihm sein Vater ein Tittenheft, mit dem er offensichtlich nur wenig anfangen kann. Bei der Ausbildung lernt Nicholas Dylan kennen, einen anderen Kadetten.

Foto: Salzgeber

Kurze Blicke, schnelle Berührungen und schmerzhafte Flashbacks machen aus „Moffie“ jedoch keinen Film darüber, wie jemand im Militärdienst seine sexuelle Identität und sein Begehren entdeckt, sondern wie diese zerstückelt und getilgt werden. Nichts ist schlimmer in dieser rassistischen, heteropatriarchalen Männerkultur, als ein „Moffie“ zu werden: ein Nicht-Mann, eine „Schwuchtel“. Homosexualität ist in der weißen „Herrenrasse“ strengstens verboten, qua Gesetz und Bibel. Auf dem Exerzierplatz werden zwei Kadetten, die zusammen auf der Toilette erwischt wurden, öffentlich bestraft, bevor sie in die Psychiatrie gesperrt werden.

Nicholas ist gewarnt. Seine Zuneigung zu Dylan bleibt von Anfang an unsichtbar. Über den ersten Minuten des Films und der Figur von Nicholas liegt ein Klangteppich, wie über einem abgetrennten Kokon. Denn wir sehen hier die Welt eines jungen schwulen Mannes, die sich nach außen nicht öffnen darf. Schwulsein markiert hier nicht nur eine körperliche Erfahrung eines repressiven Regimes während der Soldatenausbildung, sondern eine Zeit, in der es nur im Subtilen und Filigranen, im Verborgenen und Zurückgehaltenen existieren kann.

Foto: Salzgeber

Von der Kritik wurde der Film mit Claire Denis’ homoerotischem Fremdenlegionärs­drama „Beau Travail“ (1999) verglichen, an dessen Sinnlichkeit Hermanus’ Opus nicht ganz heranreicht. Der narrative Aufbau – erst die Ausbildung der Jungen in „echte Männer“ und Killermaschinen, danach geht’s an die Front – ist außerdem angelehnt an Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“ (1987), aber im Grunde hat er mehr mit dessen „Barry Lyndon“ (1975) gemeinsam, allein weil Hermanus seine Kamerafahrten entlang der aufgereihten Soldaten auf dem glutheißen Exerzierplatz mit Schuberts „Klaviertrio Nr. 2 in Es-Dur“ untermalt, das schon Kubricks Historiendrama begleitete.

Auch Hermanus rekonstruiert eine Epoche, anhand von schön komponierten, oft gemäldeartigen Momenten. Jedoch nur noch im Kopf von Nicholas. Es könnte sich ebenso gut um seine Erinnerung handeln, und tatsächlich handelt es sich um die Verfilmung eines autobiografischen Erinnerungsromans, „Moffie“ (2006) von André Carl van der Merwe. Hermanus erzählt aus Nicholas’ Perspektive: Das unvermittelte Eintauchen in das Militärlager bei Nacht, das Nacktausziehen und hektische Herumwuseln, die traumatische, betäubende Dimension dieser Erfahrungen – all das lässt an die subjektivierende Ästhetik des ungarischen Filmemachers László Nemes denken, die geprägt ist von der Gefahr des Entdecktwerdens, vom Zustand einer permanenten Bedrohung.

Foto: Salzgeber

In der großartigen Kernsequenz des Films fahren die Kadetten zum Urlaub nach Hause. Nicholas und Dylan wollen zusammen ans Meer, doch Dylan muss in der Kaserne bleiben. Wir sehen dann nicht etwa Nicholas im Urlaub, sondern wie er in seiner Erinnerung das sonnengleißende, in alle Sommerfarben getauchte Freibad durchwandert, in dem er zum ersten Mal schwulenfeindlich angegriffen wurde. Dann ist eine Woche vergangen und Nicholas schon zurück in der Kaserne, aber Dylan ist verschwunden, auf die Psychiatrie verbannt. So verwandelt sich die Zeit, die gemeinsam verbracht werden sollte, in Erinnerung, und die Erinnerung in eine Trennung in der Gegenwart.

Visuelle Schönheit und äußere Gewalt bilden damit keine unangenehme Ambivalenz. Beides existiert nicht unverbunden und unharmonisch nebeneinander (wie in einem konventionellen Qualitätsfilm mit „sensiblem Thema“ und „schönen Bildern“), sondern gleichzeitig. Der elegische, von der entsprechenden Musik verstärkte Ton ist der Schlüssel zum Geheimnis des Films: Veredelt und sublimiert wird nicht etwa die Erinnerung an die Zeit der Apartheid, sondern etwas, was als schwuler Mann subjektiv erlebt wurde und nie statthatte, weil es von außen brutal verhindert, zerstört wurde. Auf diese Weise enthüllt sich der melancholische Charakter von Nicholas’ Erfahrung: Die Begegnung zwischen ihm und Dylan ist immer schon verpasst. Als schwuler Mann „passiert“ Nicholas seine Erfahrung wie man einen Ort passiert, in den man hineinrennt, durch ihn hindurchgeht und ihn wieder verlässt, und von dem einem wenig bleiben wird, außer den Bildern.




Moffie
von Oliver Hermanus
UK/ZA 2019, 103 Minuten, FSK 16,
OF in Englisch und Afrikaans mit deutschen UT,

Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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