Mein bester Freund
Trailer • DVD / VoD
Filmische Darstellungen der sexuellen Selbstfindung und des Coming-outs gibt es in zahlreichen Facetten. „Mein bester Freund“ von Martín Deus handelt von einer eher selten erzählten, aber vielen vertrauten Variante: Statt das erste romantische Verknalltsein stellt er eine liebevolle und intensive Jungsfreundschaft ins Zentrum seines Langfilmdebüts. Lorenzo und Caíto sind zwei Jugendliche, die beide mit ihren Gefühlen hadern und den jeweils anderen für einen kurzen gemeinsamen Abschnitt zum wichtigsten Menschen im Leben machen. Axel Schock über einen sensiblen Coming-of-Age-Film aus Argentinien, den es jetzt als DVD und VoD gibt.
Ein anderes erstes Mal
von Axel Schock
Der erfahrene Zuschauer, vor allem der nicht-heterosexuelle, weiß bereits nach wenigen Filmminuten mehr über Lorenzo, als der Teenager selbst. Gut, es gibt da dieses Mädchen, mit dem sich der schüchterne Junge auf etwas umständliche Weise trifft und irgendwann sogar Sex hat. Beim Schulsport aber wird Lorenzo als letzter in die Mannschaft gewählt und ist beim anschließenden Gruppenduschen seltsam nervös. Während sich alle anderen selbstsicher und lässig der verschwitzten Klamotten entledigen, ist Lorenzos Gesicht die Verwirrung förmlich abzulesen: Er sieht, was alle anderen auch sehen; aber er allein fühlt, dass sein Blick ein anderer ist, der ihm vielleicht gefährlich werden könnte, weil er ihn zum Außenseiter macht.
Szenen wie diese sind Standardsituationen in schwulen Coming-of-Age-Filmen. Was für die meist jugendlichen Figuren größte Verwirrung bis hin zur Verzweiflung auslöst, liest der Kenner von nicht-heterosexuellen Filmen als geradezu klassische Ausgangspunkte für die zwangsläufig folgenden Stationen durch die Höhen und Tiefen hin zum Coming-out: die ersten Annäherungen an einen Menschen des gleichen Geschlechts, Zurückweisung und Enttäuschung, die unfreiwillige Entdeckung oder auch das mutige Bekenntnis vor Freunden und Familienangehörigen.
Es gibt in Martín Deus’ Langfilmdebüt eine ganze Reihe solcher Szenen, die aus dem Baukasten des Coming-out-Films zu stammen scheinen. Lorenzos Vater hat auf Bitten eines alten Freundes dessen Sohn Caíto vorübergehend in seiner liberalen Bilderbuchfamilie aufgenommen. Der 16-jährige Lorenzo und der ein Jahr ältere Gast könnten unterschiedlicher kaum sein. Lorenzo – zurückhaltend, sensibel, verantwortungsvoll und eher der Typ Eigenbrötler – übt lieber klassische Gitarre und liest Bücher, als die Gesellschaft Gleichaltriger zu suchen. Caíto hingegen ist schon optisch ein Gegenstück zu dem Stubenhocker: Seine diversen Tattoos, sein Ohrring, seine sportliche Statur strahlen Energie und, ja, auch jede Menge Erotik aus. Man ahnt, wohin die Reise geht und sieht die beiden Jungs schon gemeinsam unter die Brettdecke schlüpfen. Doch in diesem Punkt werden wir von Martín Deus enttäuscht. Und das zum Glück.
Auch ein Gespräch zwischen Lorenzo und dessen Mutter, die ihrem Sohn gewissermaßen auf fürsorgliche Weise zum Coming-out verhelfen will, nimmt ein unerwartetes Ende. Und als ein Campingausflug in die atemberaubend schöne Landschaft Patagoniens die beiden Jungs körperlich und emotional so nah wie nur möglich bringt, ignoriert Deus auch hier die allzu naheliegenden – und ausgetretenen – erzählerischen Pfade.
„Mein bester Freund“ ist eben nicht einfach nur ein weiterer Coming-out-Film, der sich aus dem Genre-Baukasten bedient. Der argentinische Regisseur mag damit manchen Zuschauer vielleicht enttäuschen, zumal er auch auf die fast obligatorische schwule Sexszene verzichtet. Doch Deus geht es um etwas anderes: Er erkundet auf ungemein sensible, einfühlsame und berührende Weise ein filmisch tatsächlich eher wenig bespieltes Feld: die Freundschaft zwischen einem ziemlich wahrscheinlich schwulen und einem sehr wahrscheinlich eher heterosexuellen Jugendlichen.
Deus hat mit Angelo Mutti Spinetta einen Hauptdarsteller gefunden, der allein durch seine Körpersprache und sein bedachtes Agieren den Zuschauer mithineinnimmt in das emotional schwierige Terrain zwischen unausgesprochener und unerwiderter Liebe, erotischer Anziehung und platonischer Freundschaft, die in diesem Alter nicht minder tief erlebt wird. Einer Freundschaft, die Vertrautheit, Vertrauen und Intimität einschließt. Erwachsenwerden ist ein verdammt harter Job. Ganz auf sich allein gestellt, ist das kaum zu stemmen. Und dann ist da auch noch das Bedürfnis, einem anderen Menschen nah sein wollen. Die Geschichte von Lorenzo und Caíto erzählt von dieser Herausforderung und jenem neuen Begehren.
Für den wohlerzogenen, verantwortungsbewussten Lorenzo ist zunächst auch Caíto eine Herausforderung. Schon der erste gemeinsame Ausflug in eine Bar endet für Caíto, der Probleme mit Autoritäten und Verboten hat, in einem alkoholischen Totalabsturz samt anschließendem Kotzanfall. Lorenz kümmert sich umsichtig um Caíto und deckt ihn gegenüber den Eltern. Aber auch die verschweigen ihm offenbar etwas über den anderen Jungen und bitten ihren Sohn darum, gegenüber Caíto „ein wenig achtsam zu sein“. Irgendwann offenbart sich Caíto dann aber doch Lorenzo und erzählt ihm, weshalb er in Wahrheit von seinen Eltern aus Buenos Aires weggeschickt wurde. Lorenzo lässt ihn natürlich trotzdem nicht fallen. Und hält ihn von nun an nur noch fester in seinem Herzen.
Mein bester Freund
von Martín Deus
ARG 2018, 90 Minuten, FSK 6,
spanische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber
Hier auf DVD.