Love Lies Bleeding

TrailerKino

Lou lebt in einem Kaff in New Mexico, managt ein Fitnessstudio und leidet an ihrer dsyfunktionalen Familie. Als die ehrgeizige Bodybuilderin Jackie auf dem Weg nach Las Vegas durch den Ort kommt, ist sie sofort entflammt. Doch die Amour fou zwischen den beiden Frauen wird in der Kleinstadt zur Projektionsfläche für Hass und Gewalt. In ihrem zweiten Film dekonstruiert die britischen Regisseurin Rose Glass gängige Geschlechter- und Genreklischees mit viel Lust auf schwarzen Humor und Sinn für Sleaze. „Love Lies Bleeding“ ist eine queer-feministische Thriller-Romanze und Tomboy-Kino erster Güte. Andreas Köhnemann nutzt seine Besprechung für einen Liebesbrief an Hauptdarstellerin Kristen Stewart, die spätestens jetzt als queere Filmikone gelten darf.

Foto: Ascot Elite

Pulp Friction

von Andreas Köhnemann

Lou wühlt in der Scheiße – wortwörtlich. Sie ist die Managerin eines Fitnessstudios und muss sich nicht nur mit aufgepumpten Machos und anstrengenden Provinz-Beautys, sondern auch mit verstopften Toiletten herumschlagen. Wir befinden uns in den ausklingenden 1980er Jahren im Wüstenhochland von New Mexico, nahe der Stadt Albuquerque. Lous kleine Muckibude ist ein Ort, an dem sich die toxische Männlichkeit mit jedem Stemmen einer Hantel, jedem Zug am Rudergerät, jedem Schritt auf dem Laufband noch weiter in die Höhe schraubt. Zugleich ist dieses Studio aber auch Ausdruck von Lous Unabhängigkeit – und somit einer von vielen Widersprüchen, die „Love Lies Bleeding“ zu einem spannenden und irrwitzigen Film machen.

Die britische Drehbuchautorin und Regisseurin Rose Glass lieferte mit „Saint Maud“ (2019) ein eindrückliches Langfilmdebüt, in dem sie von religiöser Besessenheit erzählt. Ihr Nachfolger kommt nun nicht ganz so ernst daher, aber nicht mit weniger Wucht und Intensität. Geblieben sind zudem die facettenreichen queeren Frauenfiguren und das genüssliche Spiel mit Genre-Elementen, ergänzt um eine spürbare Lust an schwarzhumoriger Sleaze- und Pulp-Unterhaltung. Als Inspirationen nennt Glass so unterschiedliche Filme wie Paul Verhoevens „Showgirls“ (1995) und David Cronenbergs „Crash“ (1996), die vor allem verbindet, dass sie eine extrem artifizielle Welt erschaffen, in der sämtliche Rollen zwar stark überzeichnet sind, aber dennoch mit faszinierenden Eigenarten ausgestattet werden.

Das schmutzige Universum, das die Filmemacherin mit Unterstützung von Kameramann Ben Fordesman und Komponist Clint Mansell schäbig-schön auf die Leinwand bringt, greift Stereotype auf, um diese dann nach und nach aufzubrechen oder gar (erneut wortwörtlich) aus allen Nähten platzen und über sich hinauswachsen zu lassen. Grobe und äußerst feine Striche in der Gestaltung finden ganz organisch zusammen, um mitten in einem absurden Szenario voller Schweiß, Tränen, Blut, Sex und Gewalt etwas Wahrhaftiges zu entdecken. „Pushed around and kicked around, always a lonely boy“, singen Bronski Beat auf der Tonspur. Ein Song, der gewiss auch etlichen Smalltown-Tomboys aus der Seele spricht.

Die Protagonistin schleppt jede Menge familiären Ballast mit sich herum. Ihre Mutter ist vor einer gefühlten Ewigkeit verschwunden. Zu ihrem kriminellen Vater Lou Sr., der eine Schießanlage betreibt und eklige Käfer sammelt, hat sie den Kontakt abgebrochen – wohl wissend, dass sie sich dessen Einfluss in dieser Gegend niemals völlig entziehen kann. Ihre ältere Schwester Beth steckt wiederum in einer unglücklichen Ehe mit dem brutalen JJ fest. Und dann taucht plötzlich die temperamentvolle, unberechenbare Bodybuilderin Jackie auf, die eigentlich nur auf der Durchreise ist, um an einem Wettbewerb in Vegas teilzunehmen.

Foto: Ascot Elite

Die beiden jungen Frauen, zwischen denen sich nun eine Amour fou entspinnt, lassen sich als modernere Wiedergängerinnen von „Thelma & Louise“ (1991) oder als queere Version des Hetero-Pärchens aus „Natural Born Killers“ (1994) begreifen. In einigen Kritiken wird überdies auf den ironischen Regiestil von Quentin Tarantino verwiesen. Glass leistet allerdings weitaus mehr, als bekannten Kinobildern einen eindeutig queeren Anstrich zu geben. Zusammen mit ihrer Co-Autorin Weronika Tofilska hat sie zwei Anti-Heldinnen erdacht, deren Verhalten zu keinem Zeitpunkt idealisiert wird – deren Streben nach Glück und Sehnsucht nach Liebe gleichwohl absolut nachvollziehbar erscheint.

Lou und Jackie verabschieden sich rasch von aller Moral, entwickeln ihre eigenen Regeln und Überlebensstrategien. Ihre Romanze ist geprägt von Anabolika-Missbrauch, fatalen Fehlentscheidungen und mörderischen Aktionen, aber auch von einem tiefen Verständnis zwischen zwei Außenseiterinnen – und von einer unbändigen erotischen Anziehung, die in spielerische Momente voller Kink, frei von Klischees in der Darstellung weiblich gelesener Körper, übersetzt wird.

Foto: Ascot Elite

An manchen Stellen flirtet „Love Lies Bleeding“ heftig mit dem Fantasy- und Horror-Genre. Hin und wieder umarmt die Inszenierung die Gelegenheit, unverstellt kitschig sein zu dürfen. Auf magisch-märchenhafte Weise folgt das zentrale Duo im Glitter-Outfit unter lila-blau-pink leuchtendem Sternenhimmel dem Bronski-Beat-Motto „Run away, turn away“ – um direkt mit voller Härte auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt zu werden. Auf den Höhenflug folgt für Lou dann wieder die Drecksarbeit. In seinen wilden Bewegungen zwischen Milieu- und Gangsterdrama, unverblümter Comedy, Thriller, Love-Story und Phantastik ist der Film so fließend wie seine Figuren.

Bei der Verkörperung von Lou habe sie beim Schreiben sofort an Kristen Stewart gedacht, sagte Glass in diversen Interviews. Die Schauspielerin, die nach beachtlichen Kindheits- und Jugendrollen, unter anderem in David Finchers „Panic Room“ (2002), mit der „Twilight“-Reihe (2008-2012), zum Superstar wurde, hat sich trotz ihres frühen Erfolgs nicht zum massenkompatiblen Postergirl des Kinos machen lassen. Sie trat in US-Indie-Produktionen wie Kelly Reichardts „Certain Women“ (2016) auf und arbeitete mit Regisseuren wie Walter Salles, Olivier Assayas und Pablo Larraín zusammen, um komplexe Figuren spielen zu können. Sowohl auf der Leinwand, etwa in der lesbischen Weihnachtskomödie „Happiest Season“ (2020) von Clea DuVall, als auch abseits davon ist sie zu einer queeren Ikone geworden.

Foto: Ascot Elite

Tiefe und Coolness – mit diesen Attributen, die im Mainstream bis dato eher männlichen Idolen wie Marlon Brando oder James Dean zukamen, wird Stewart in einem Porträt der Zeitschrift Rolling Stone charakterisiert. Auf dem Cover der US-Ausgabe posiert sie in schwarzer Lederweste und im weißen Jockstrap, mit der rechten Hand im Schritt. Sie werde hier nicht für den männlichen Blick abgebildet, erklärt sie.

Auch in „Love Lies Bleeding“ ist Stewart mit strähnigem Vokuhila und im Shabby-Look weit entfernt von der üblichen Präsentation einer Frau, die sich in ein Liebesabenteuer stürzt. Sie beschert uns gemeinsam mit ihrer Leinwandpartnerin Katy O’Brian glühende Begehrensblicke, sanfte und raue Berührungen, unkonventionelle Liebesgesten und leidenschaftliche Verzweiflungstaten, auf die wir in dieser Form und in dieser Offenheit im Kino viel zu lange warten mussten.




Love Lies Bleeding
von Rose Glass
US/UK 2023, 104 Minuten, FSK 16,
deutsche SF und englische OF mit deutschen UT

Ab 18. Juli im Kino