Lilies Not For Me

Trailer • VoD

Was ist wichtiger: ein respektables Leben zu führen oder authentisch zu lieben? Basierend auf historischen Ereignissen zeigt „Lilies Not For Me“ das erschütternde Porträt eines schwulen Überlebens in einer der dunkelsten Perioden für queere Menschen. Doch bei aller Härte verbietet die Inszenierung es sich nicht, zugleich durch viele charmante, sinnliche, hochgradig erotische Augenblicke zu bestechen, schreibt Andreas Köhnemann, und zu entscheiden, wann es Zeit ist, lieber bunte Blumen wachsen zu lassen und beherzt in eine saftige Orange zu beißen, statt vor der von außen kommenden Gewalt zu kapitulieren. Ab sofort zu sehen als VoD im Salzgeber Club.

Bild: Salzgeber

Lass die Blumen und Orangen blühen

von Andreas Köhnemann

Ein junger Mann und eine junge Frau sitzen gemeinsam am Tisch, um miteinander zu plaudern. So kann es mit der Liebe beginnen – im Leben und in der Fiktion. Boy meets girl. Doch dass wir hier in der Auftaktsequenz von Will Seefrieds Drama „Lilies Not For Me“ keiner gewöhnlichen heteronormativen Romanze beim Erblühen zuschauen, ist rasch klar. Vielmehr ist dieses vermeintliche Date eine Maßnahme im Rahmen einer „Behandlung“, die in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung im England der frühen 1920er Jahre stattfindet.

Der aufstrebende Schriftsteller Owen ist ein unfreiwilliger Patient der Klinik; Dorothy wiederum dort seit Kurzem als Krankenpflegerin tätig. In der bizarren Simulation eines Rendezvous soll Owen das tun, was Gesellschaft, Religion und Wissenschaft nach damaliger Vorstellung von ihm verlangen: romantische Gefühle für eine Frau (in diesem Fall für Dorothy) entwickeln, statt weiterhin seinen „unmoralischen Begierden“ nach Männern zu folgen. Das absurde Rollenspiel ist indes nur ein vergleichsweise harmloser Teil einer extrem grausamen Therapie, der Owen sich mit aller Kraft zu widersetzen versucht.

Allmählich entsteht zwischen Owen und Dorothy eine freundschaftliche Vertrautheit. Dorothy ist einerseits eine Person, die von den Denkstrukturen ihrer Zeit und ihres beruflichen Umfeldes beeinflusst ist. Dass Owen gesund und glücklich wird, bedeutet für sie daher zunächst, dass er zu dem wird, was sie (und ihr Arbeitgeber) als „normal“ empfinden. Andererseits ist sie empathisch und in der Lage, ihre eigene Ansichten und Einflüsse von außen zu hinterfragen. Owen öffnet sich ihr und erzählt von den Erfahrungen, die er in seinem neuen Roman verarbeiten will.

Zusammen mit seinem Kameramann Cory Fraiman-Lott findet Seefried Einstellungen, die beinahe schmerzhaft schön Owens Leben vor der Einweisung in die Psychiatrie einfangen. Der junge Schriftsteller hat sich aufs Land in eine abgelegene Hütte zurückgezogen, umgeben von Feldern, nicht weit entfernt von einem angenehm einsamen Strand am Meer. In dieser Idylle besucht ihn sein einstiger Schulfreund Philip, Sohn eines Bergarbeiters, der den Aufstieg geschafft hat und nun als Mediziner tätig ist. Schon früher knisterte es zwischen den beiden – und jetzt scheint es, als könnten sie ihre stets unterdrückte Liebe in der Abgeschiedenheit endlich ausleben. Kurze Momente des Glücks in der Natur oder beim Frühstück im Bett nach der ersten gemeinsamen Nacht lassen erahnen, wie wertvoll und harmonisch ihre Beziehung sein könnte.

Bild: Salzgeber

Philip allerdings ist überzeugt davon, es gebe ein „Heilmittel“ gegen die starke Anziehung, die sie füreinander fühlen. Nötig sei hierfür ein operativer Eingriff, den sie seinem Wunsch nach gegenseitig aneinander durchführen sollen. „Alles wird bald gut sein“, verspricht Philip Owen. Zu seiner internalisierten Homophobie und seinem blinden Glauben an eine höchst fragwürdige und gewaltsame Methode kommt schließlich noch Eifersucht hinzu, als der unbefangene Charles eines Abends in der Gegend auftaucht. Charles ist verheiratet – mit einer Frau, die über seine Homosexualität Bescheid weiß und diese akzeptiert. Als Owen und der unerwartete Gast einander näherkommen, greift Philip in seiner völligen Verblendung umso rabiater durch.

An einer Stelle bittet Dorothy Owen, seine Schilderung der brutalen Ereignisse abzubrechen, da sie diese nicht länger ertragen könne. Owen entgegnet, dass die finsteren Kapitel einer Geschichte nicht einfach übergangen werden könnten. Im Kern beschreibt dieser Disput treffend den unterschiedlichen Umgang, den queere Erzählungen wählen, um sich mit den Erfahrungen ihrer Figuren im Laufe der Historie auseinanderzusetzen. Neben zahlreichen Filmen, in denen nicht-heteronormativen Figuren absolut kein physisches und psychisches Leid erspart bleibt, gibt es Produktionen wie die Netflix-Miniserie „Hollywood“ (2020), die etwas zu naiv alles ins Positiv-Empowernde drehen wollen und dadurch die Wirklichkeit ausblenden.

Bild: Salzgeber

„Lilies Not For Me“ verschreibt sich weder der einen noch der anderen Form. Der Film verschweigt nichts. Er konfrontiert uns mit dem, was queeren Menschen vor rund 100 Jahren widerfahren ist – und was sich durch sogenannte Konversionstherapien in anderer Form noch lange weltweit fortgesetzt hat (und in manchen Ländern bis heute nicht gänzlich verboten ist). Doch bei aller Härte verbietet die Inszenierung es sich nicht, zugleich durch viele charmante, sinnliche, hochgradig erotische Augenblicke zu bestechen und zu entscheiden, wann es Zeit ist, lieber bunte Blumen wachsen zu lassen und beherzt in eine saftige Orange zu beißen, statt vor der von außen kommenden Gewalt zu kapitulieren.

Der poetische Titel des Films bringt einen auferlegten Verzicht zum Ausdruck: Keine Lilien für den schwulen Mann im England der 1920er Jahre. Die Schönheit der Natur, ein Anteil am Glück der Verliebtheit und des Begehrens – all das soll ihm verwehrt bleiben, weil er sich nicht an die gesellschaftlichen, kirchlichen und angeblich wissenschaftlichen Regeln hält. Seefried rebelliert genüsslich gegen diesen diskriminierenden Entzug, ohne seinen Film zum verlogenen Märchen zu machen.

Bild: Salzgeber

„Ich kann nicht geheilt werden, weil ich nicht krank bin“, sagt Owen. Das Drehbuch lässt seinen Helden die Wahrheit aussprechen, lässt ihn das Unrecht klar benennen – weiß aber auch, dass es Personen wie Philip gab, die den eigenen Irrtum nicht begreifen wollen. Der Regisseur schreckt nicht davor zurück, die Konsequenzen dieser Ignoranz zu zeigen. Dabei auf Schock und emotionale Exploitation zu setzen, interessiert ihn jedoch wenig. Er gedenkt der Menschen, die unter dem (Selbst-)Hass dieser Zeit gelitten haben, ohne sie exklusiv als Opfer zu sehen. Sie haben gelebt, geliebt und vielleicht getanzt wie Grizzlybären, die einander sanft umarmen. Manche von ihnen hatten wie Owen die Chance, ihre persönliche Geschichte mit allen Höhen und Tiefen zu schildern, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Neben vielem anderen ist „Lilies Not For Me“ eine Huldigung des queeren Erzählens, das nichts auslassen und auf nichts verzichten muss.



Lilies Not for Me
von Will Seefried
ZA/US/FR/UK 2025, 99 Minuten
englische OF mit deutschen UT

Ab 13. November im Salzgeber Club