Ich bin Anastasia

Trailer Kino

Anastasia Biefang wurde bei ihrer Geburt das Geschlecht „männlich“ zugewiesen. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere bei der Bundeswehr entscheidet sie sich, zukünftig in ihrem gefühlten weiblichen Geschlecht zu leben. Erstaunlicherweise gibt es nach ihrem Outing keine Karriereeinbußen. Gleich nach ihrer Geschlechtsangleichung übernimmt sie das Informationstechnik-Bataillon im brandenburgischen Storkow – und wird damit die erste Transgender in der Bundeswehr auf dem Posten einer Kommandeurin. Regisseur Thomas Ladenburger hat Oberstleutnant Biefang bei ihrem Transitionsprozess und während ihres Dienstantritts begleitet. Barbara Schweizerhof über ein feinfühliges und reflektiertes Porträt, das heute in den deutschen Kino startet.

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Erteilt: Lange-Haare-Sondergenehmigung

von Barbara Schweizerhof

Dass endlich mehr über das Thema „Trans“ gesprochen wird, lässt auf eine längst überfällige Toleranz- und Lernleistung der Gesellschaft bezüglich der Vielfältigkeit von Geschlechteridentität schließen. Für leider sehr viele ist das Thema aber noch immer ein Tabu. So lassen sich auch die ersten Befremdungs-Reaktionen erklären, die in Thomas Ladenburgers Film „Ich bin Anastasia“ dokumentiert werden. „Was soll denn das werden? Warum wir?“, hätte man sich in der Bundeswehr-Kompanie gefragt, als bekannt wurde, dass sie demnächst von einer Transgender geführt werden soll. Sie hätten doch gerade schon einen schwulen Kompanie-Führer akzeptiert. „Uns trauen die ja viel zu“, fasst die Sekretärin die zwiespältige Reaktion, die sie damals um sich herum vernommen hat, zusammen, „dann hängt hier womöglich bald die Regenbogenflagge.“  Und: „Das müssen wir mal sehen, ob wir das alles so machen, nur weil die den Schwanz abgeschnitten kriegt.“

Dass man in der Bundeswehr Schwierigkeiten bei der Integration von Transgender hat, scheint auf der Hand zu liegen. Die gängige Vorstellung einer Armee beinhaltet, dass dort die Regeln der Heteronormativität noch ganz buchstäblich gelten. Wie zum Beispiel in der Frisurenordnung: Tatsächlich gibt es in der Bundeswehr Vorschriften darüber, wie Männer und wie Frauen ihre Haare zu tragen haben. Anastasia Biefang, Oberstleutnant, musste sich denn auch eine Sondergenehmigung holen, als sie im Rahmen ihrer Transition lange Haare tragen wollte. Die erteilte Genehmigung, meint sie an einer Stelle in Ladenburgers Film, wollte sie sich eigentlich einrahmen lassen. Sie markiert biografisch und beruflich für sie einen wichtigen Wendepunkt.

Die Bundeswehr ist Biefangs Beruf, und Ladenburger lässt sie in seinem Film mehrfach betonen, wie viel ihr an diesem Beruf liegt, welche Befriedigung sie daraus zieht und was es ihr bedeutet, die angestrebten Ziele im Dienstgrad zu erreichen. Das hat den schönen Effekt, dass man als Zuschauer*in aus dem reflexhaften Denken herausfindet, das die Diskussion um Transgender oft bestimmt. Weder die Bundeswehr, die hier gezeigt wird, entspricht den landläufigen Vorurteilen zumal der linksalternativen Seite, noch die Heldin.

So geht es in „Ich bin Anastasia“ eben nicht um einen Kuriositäten-Fall, in dem eine Transgender nach Jahrzehnten im Männerkörper „ausgerechnet“ in der Bundeswehr ihre wahre Identität entdeckt. Vielmehr erzählt Ladenburgers Film vom Werdegang eines einzelnen, besonderen Menschen: Anastasia Biefang, die zwar schon als Teenager etwas von ihrem Anderssein ahnte, aber erst als 40-Jährige genug Mut hatte, dazu auch zu stehen, und zwar sowohl im privaten Bereich als auch im beruflichen. Aber die andere, eigentliche, nun nicht mehr verheimlichte Geschlechtsidentität macht aus ihr keinen ganz anderen Menschen – das wird in Ladenburgers Dokumentarfilm auf diskrete und auch berührende Weise deutlich.

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Biefang erlebte in dem Prozess der Wandlung, der sie vom Coming-out als Transgender zur geschlechtsangleichenden Operation und aus einer alten Ehe in eine neue brachte, dass sich die Reaktionen der Umgebung nicht vorhersagen lassen, was der Film mit einigem Optimismus ausstellt. Sowohl von den Eltern, die sich rückhaltslos zu ihr bekannten („Ich hatte 40 Jahre lang einen Sohn, nun hab ich halt ‘ne Tochter, hoffentlich für lange noch“, so die Mutter), als auch in der Bundeswehr, wo ihre Vorgesetzten gewillt waren, den Weg „gemeinsam zu gehen“, erfuhr Biefang volle Unterstützung.

Tatsächlich verblüfft diese Bundeswehr, die in Ladenburgers Film gezeigt wird. Die eingangs zitierten Einwände, von wegen „Warum wir?“, sind zum Zeitpunkt der Filmaufnahmen schon Geschichte; die Beteiligten erzählen davon als Vergangenheit, und beglaubigen damit einen Lernprozess, wie er in den stark polarisierenden Gegenwartsdebatten kaum mehr vorkommt. Das war nicht immer so, Ladenburgers Film erzählt an einer Stelle mit Zeitzeugin von einer Transgender in der Bundeswehr, die noch ganz anders behandelt wurde. Aber ob es nun an der Persönlichkeit Biefangs liegt – deren Führungsqualifikation wieder und wieder von den Vorgesetzten gelobt wird – oder an den sich wandelnden Zeiten: Die Art und Weise des Umgangs wirkt hier so vorbildlich wie bedeutend. Letzteres besonders weil der demonstrativen Toleranz der Bundeswehr-Umgebung etwas Autoritatives, ja Normgebendes anhaftet, das in die Gesellschaft zurück ausstrahlt.

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„Die Bundeswehr ist so ziemlich das krasseste Gegenteil von allem, für das die Wehrmacht stand“, diesen Beginn eines Social-Media-Kommentars sieht man Biefang im Film irgendwann vorlesen. Der Zuschauer mag sich für einen Moment denken, dass das eines der größten Komplimente ist, die man der im eigenen Land nicht immer populären Institution machen kann. Aber der Kommentator versteht es natürlich gegenteilig: „damals die besten Soldaten der Welt, heute Schwuchteln und Transen.“ Die Bundeswehr kann froh sein, von solchen Leuten nicht mehr bewundert zu werden.

In besonderer Weise rundet Ladenburger seinen Film ab, indem er Biefang auch von anderen Dingen als den ureigenen Erfahrungen sprechen lässt. Von ihrem Engagement gegen das „Transsexuellengesetz“ und die Klassifizierung der Transsexualität als „psychische Störung“ etwa, aber auch von ihrer Auffassung der Rolle der Bundeswehr in Krieg und Frieden.

„Ich bin Anastasia“ ist ein betont unaufgeregter Film, der darin seiner pragmatischen Protagonistin sehr gerecht wird. Der Ernst wird allerdings hin und wieder aufgebrochen durch die Aktionen von Biefangs neuer Partnerin, die vor mancher Albernheit wie dem Backen von Kuchen in Penis- oder Busen-Form zur Feier der Geschlechtsangleichungsetappen nicht zurückscheut. Indirekt demonstriert der Film hier, wie gewollte Peinlichkeiten die Fesseln der Scham aufbrechen und Angst nehmen können. „Ich bin Anastasia“ ist alles andere als ein peinlicher Film, aber genau das ist auch seine Stärke: Er nimmt Angst vor einem Thema, an das sich viele auch aus Sorge, etwas falsch zu machen, nicht herantrauen.




Ich bin Anastasia
von Thomas Ladenburger
DE 2019, 95 Minuten, FSK o.A.,
deutsche OF,

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Ab 21. November hier im Kino.

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