I Want Your Love
Trailer • DVD/VoD
Ja, in diesem Film gibt es echten Sex zu sehen, eine Pornofirma hat ihn produziert. Doch im Kern ist „I Want Your Love“, der jetzt im Salzgeber Club zu sehen ist, eine ganz kleine, alltägliche Geschichte über ein Wochenende und eine Party, in der sich Männer von ihren Freunden verabschieden, neue Männer kennenlernen oder ihre Beziehungen neu gestalten. Die großen Fragen, die dabei nebenher behandelt werden, grundieren diese Begegnungen, ohne sie zu erdrücken. Travis Mathews’ erster Spielfilm steht für ein neues, sinnliches, lässiges queeres Kino, schreibt unser Autor Enrico Ippolito.
Das Zeigen ist politisch. Das Nicht-Zeigen auch.
von Enrico Ippolito
Alles begann mit dem Kurzfilm „I Want Your Love“. Ein Film über zwei Männer, die Wein trinken, über das Leben philosophieren und am Ende miteinander schlafen. Sanft, zärtlich und mit einer gewissen Unsicherheit. Die Kamera hält drauf, zeigt erigierte Penisse, haarige Ärsche und einen Samenerguss.
Kaum ein anderer Regisseur benutzt explizite Sexszenen wie Travis Mathews. Für ihn entsteht dadurch ein ungeheures Potential für die Story- und Plot-Entwicklung und gleichzeitig tragen die Szenen auch zur Definition eines Charakter bei.
Mathews legte zwei Jahre nach dem Kurz- seinen Langfilm mit dem gleichen Namen nach. Die Hauptfigur Jesse (Jesse Metzger), ein Künstler, hat jahrelang in San Francisco gelebt und dort ein sehr lässiges Leben geführt. „I Want Your Love“, der Spielfilm, beginnt mit Jesses letztem Wochenende in der Stadt, bevor er wieder in den mittleren Westen zu seinem Vater zieht. Er muss sich von allen verabschieden: seinen Mitbewohnern, seinen Freunden und von seinem Ex. Das sorgt für einige emotionale Verwirrungen. Leicht, intim und nah beschreibt Mathews diesen Abschied. Der amerikanische Filmemacher beherrscht perfekt die Inszenierung einer zunächst banal wirkenden Geschichte.
Travis Mathews ist „eine neue Stimme, die dem Queer Cinema eine dringend benötigte Injektion emotionaler Intimität verpasst“, ist „Shortbus“-Regisseur John Cameron Mitchell überzeugt. Intimität. Immer wieder werden die Filme von Mathews mit diesem Begriff beschrieben.
Doch seine Filme bieten mehr. Mathews’ Darstellung ist vieles, aber niemals entschuldigend. Sexuelle Orientierungen interessieren ihn nur marginal. Er verliert sich nicht in Repräsentationsfragen und vor allem nicht in Dramen, die um das Thema der schwulen Identität kreisen. Für ihn ist das reine Erzählen einer Liebesgeschichte schon politisch genug. „Verpflichtet zu sein, eine historische Geschichte über Aktivismus, Aids oder Coming-Out zu machen, ist sehr defensiv“, meint Mathews. Er entscheidet sich bewusst gegen diesen Weg und zeigt hingegen die alltäglichen Hürden, die diese Männer mit sich selbst, mit One-Night-Stands und in Beziehungen haben. Alltägliche Probleme also, mit denen sich jede_r Zuschauer_in identifizieren kann. Und hier spielt auch wieder die Intimität eine Rolle. Denn genau durch diese Nähe schafft Mathews das hohe Identifikationspotenzial.
Seine Figuren sind nie platt, sondern dreidimensional. Sie dürfen Fehler machen, sie dürfen widersprüchlich sein und auch mal seltsam. Wenn Ben, Jesses Ex-Freund, auf der Abschiedsparty mit Brontez vögelt, ist das erst mal irritierend. Gleiches gilt für Jesse selbst, der anstatt auf seiner Abschiedsparty beim Nachbarn Keith in Unterhose abhängt. Als dieser unerwartet nach Hause kommt und die zwei sich näher kommen, bricht Jesse den Sex ab.
Es sind diese Widersprüche, dieses Negieren eines romantischen Moments, die „I Want Your Love“ dynamisch gestalten. Mit der Debatte um den Identifikationswert kommt auch die Diskussion um Authentizität. Mathews spielt damit bewusst. Seine Darsteller haben den gleichen Vornamen wie die Figuren, die sie spielen. Mathews will keine Welt kreieren, in die die/der Zuschauer_in flüchten kann. Er will Filme drehen, die bewegen, mit Figuren, die verständlich rezipiert werden können. Es geht ihm nicht um Eskapismus, sondern halt um das „Authentische“.
Und noch ein Label haftet dem amerikanischen Filmemacher an. Er habe den „Indie-Porno“ erfunden, heißt es. Das ist natürlich Schwachsinn, schon allein weil Mathews’ Filme keine Pornos sind – noch nicht mal annähernd. Die Definition der Pornografie ist vage, mittlerweile gar fast unformulierbar und vor allem eins: subjektiv. Wenn aber Pornografie das reine Ziel hat, den meistens männlichen Zuschauer zum Orgasmus zu bringen, gilt „I Want Your Love“ nicht als Porno. Denn Travis Mathews arbeitet genau gegen die gängigen Konventionen des klassischen pornografischen Films; seine Werke erzählen eine Geschichte und arbeiten nicht auf den Höhepunkt hin, auch wenn sie roh und explizit sind.
Seine Sexszenen sind oft verstörend, nicht im Sinne eines Affronts, sondern weil sie gerade so ungewöhnlich intim, so nah und so authentisch sind. Wenn die Männer Sex haben, sagt das etwas über sie, ihren Charakter, ihre Welt aus. Wie das Paar, das sich für einen Dreier entscheidet, dabei unsicher und zugleich leicht hysterisch ist. Oder wie Jesse, der sich nicht ficken lassen kann und bei einem One-Night-Stand nicht kommt. Oder halt sein Ex, der auf Jesses Abschiedsparty mit einem Freund von Jesse schläft – und beide sich regelrecht diese Freiheit erkämpfen.
Mathews’ Blick ist niemals der eines Voyeurs – im Gegenteil. Der Close-Up auf Schwänze und Körperöffnungen lässt ihn kalt. Es geht ihm nicht darum, sein Publikum zu erregen. Und auch der Money Shot, der zwingende Höhepunkt eines jeden Pornos und auch des Mannes, interessiert ihn nicht. Er wählt einen eher spielerischen Zugang. Mathews lässt seine Figuren während des Sex mal eine Pause einlegen, in der sie miteinander reden, was trinken, ganz aufhören oder danach weiter ficken. Sexualität ist divers, das scheint uns Mathews ständig vor Augen zu halten. Es gibt nicht nur eine Art, miteinander zu schlafen, sondern viele verschiedene. Mal zärtlich, mal lieblos, mal rau, mal hart, mal alles zusammen. Der Filmemacher durchleuchtet das ganze Spektrum – und das mit einer Unaufdringlichkeit, die einmalig ist.
Gleichzeitig beweist Travis Mathews in seinem Film „I Want Your Love“ auch ein Gespür für Vielfältigkeit außerhalb des sexuellen Konstrukts. Seine Figuren können nicht unterschiedlicher sein, was Race, Körper und Machtstrukturen angeht. Er hebt diese Mechanismen auf. Jede Körperform ist willkommen, Menschen mit verschiedener Herkunft treffen aufeinander. Und so wenig, wie er sexuelle Identität thematisiert, spricht er von Körperschemata oder Herkunft – und ist doch genau mit diesem Verschweigen politisch. Mathews verschweigt nicht aus Angst, sondern eher aus fast schon utopistischen Gründen. Er kreiert eine Welt in seinen Filmen, in welcher Probleme der sexuellen Identität, des eigenen Körpers und der eigenen Herkunft keine Rolle spielen oder längst schon verarbeitet sind. Mathews muss sich nicht an Klischees abarbeiten, nicht den moralischen Zeigefinger erheben und auch nicht auf Missstände aufmerksam machen. Gerade mit seiner intimen Darstellungsweise hebelt er das alles aus, es geht ihm um die kleinen und doch großen Probleme des Alltags. Schwul, lesbisch, bisexuell, dick, dünn, schwarz, weiß – das alles spielt keine Rolle, sondern es geht um etwas Universelleres: um Liebe, um Zuneigung, um eine ungewisse Zukunft und eben nicht darum, wer oder was ich bin.
Mit dieser Haltung, mit diesem Film gilt Travis Mathews zu Recht als einer der Wegbereiter einer neuen Welle des queeren Kinos, ohne sich an Genredefinitionen abzuarbeiten. Seine Filme haben schon längst eine Ebene erreicht, auf der Fragen nach Identitätszuschreibungen keinen Sinn mehr ergeben. Auf der aber auch sexuelle Identität nicht problembehaftet sein muss oder nicht mehr ist. Auf der seine Figuren schon längst über diese Themen hinaus sind. Auf der seine Charaktere ein Potential haben und sich nicht durch Herkunfts- und Orientierungszuschreibungen definieren lassen. Und genau das ist queer, das ist radikal, das ist anders. Auf eine leise Art.
I Want Your Love
von Travis Mathews
US 2012, 71 Minuten, FSK 18,
englische OF mit deutschen UT,
Salzgeber
Hier auf DVD.