Ghosted

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Seit ihrer Arbeit an „Den Tigerfrauen wachsen Flügel“ (2005) verbindet Monika Treut eine enge Beziehung zu Taiwan. Angeregt von der rasanten gesellschaftlichen Entwicklung des Landes und der Mischung aus hochtechnologischer Gesellschaft und alter chinesischer Kultur entstand ihre Idee für „Ghosted“ (2009). Ihre Geschichte über Liebe, Verlust und kulturelle Differenzen erzählt sie über eine Struktur, die zwischen Vergangenheit und Gegenwart fließt. Besonders inspiriert haben sie dabei die chinesischen Geistermythen, die vor allem den traditionell unterdrückten Frauen ungeahnte Freiheiten gewähren. In dieser Zwischenwelt werden sie zu erotischen, wagemutigen und zielstrebigen Wesen, die endlich ihren eigenen Wünschen folgen und so auch einen Weg finden, sich zu rächen. Anlässlich der Monika-Treut-Retro im Salzgeber Club, in der auch Monikas dritter Taiwan-Film „Made in Taiwan“ (2005) zu sehen ist, hat sich Angelika Nguyen mit „Ghosted“ auf Entdeckungsreise begeben.

Foto: Salzgeber

Alles ist möglich

von Angelika Nguyen

Das erste Gespräch des Films ist das zwischen einer taiwanesischen Mutter und ihrer Tochter in Taipeh. Ai-ling, die Tochter, möchte nach Deutschland, nach Hamburg, zu ihrem Onkel, der dort ein Restaurant führt. Die Mutter warnt davor und sagt trocken, dass erstens das Essen in Deutschland „furchtbar“ sei und zudem Deutsch eine Sprache, bei der man einen „Knoten in die Zunge“ bekäme. Die Deutschen aus taiwanesischer Sicht. Währenddessen kocht Ai-lings Mutter in ihrer Straßenküche unverdrossen weiter. Die Vertrautheit der beiden ist zu spüren, die Liebe und Sorge der Mutter, ohne dass sie es direkt sagt.

Schnitt: Ankunft Ai-lings in Hamburg, nüchtern erzählt. Stadtautobahn, Taxi, das Restaurant des Onkels, ein gleichaltriger Freund, gleichfalls Kind eines Einwanderers aus Taiwan. Mit ihren Landsleuten spricht Ai-ling Chinesisch, ebenso selbstverständlich Englisch mit den anderen. Dann springt der Film, und das Gesehene wird zur Vergangenheit. Ai-ling ist nun nicht mehr persönlich anwesend, sondern Protagonistin einer Ausstellung von Sophie Schmitt, einer Deutschen. In Video-Installationen ist Ai-ling zu sehen, die in den Raum projiziert werden, so dass die Gesichter aus dem Publikum manchmal mit dem Ai-lings verschmelzen, zeitweise erscheinen sie wie eine Erinnerung neben den Köpfen oder wie eine geheimnisvolle Parallelwelt. Die Videos sind in nostalgischem Schwarz-Weiß gehalten, und eher nebenbei erfährt man, dass Ai-ling irgendwann in diesem Zeitsprung der Erzählung gestorben ist. Ai-ling in Farbe auf einem Totenbett im Krankenhaus.

Auf der Vernissage befindet sich eine junge Taiwanesin, etwa im Alter von Ai-ling, aber ein ganz anderer Typ. Sie stellt sich als Mei-li vor und sucht auffällig die Bekanntschaft von Sophie, erst wegen eines angeblichen Artikels über sie, dann offenkundig, um Sophie zu verführen. Sophie hält sie auf Abstand, zu groß war ihre Liebe zu Ai-ling und zu kurz ist die Zeitspanne seit ihrem Tod, um auf Neues aus zu sein. Mei-li bleibt dran, und auf eine bizarre Art scheint sich die frühere Liebesgeschichte zwischen Sophie und Ai-ling jetzt mit Mei-li zu wiederholen. Doch bleibt der Verlust Ai-lings gegenwärtig, ihr Geist lebendig, zumal mit den Videos. Dann stellt sich heraus, es gibt keine Journalistin Mei-li, und der Film hält die Aufklärung in der Schwebe.

Es gibt auch andere Geheimnisse: wie Ai-ling starb, wer wirklich ihr Vater ist, ob Ai-ling aus der Geisterwelt der Toten die Geliebte Sophie noch immer festhält oder ob es umgekehrt Sophie ist, die Ai-ling nicht gehen lassen will. Denn die Liebe der beiden ging tief, weit über die erotischen Reize hinaus. Das ist gerade dann zu spüren, als sie sich in einer Rückblende streiten. Ai-ling telefonierte täglich mit ihrer Mutter, was durch die Anfangsszene zutiefst verständlich ist. Nicht aber für Sophie. Sie verdreht die Augen ob der in ihrer Meinung nach belanglosen und überflüssigen Gespräche. Zudem stehlen sie ihr die schöne Zeit mit der Geliebten. Sie fände es seltsam, sagt Sophie, dass Ai-ling so viel mit ihrer Mutter telefoniere „Und ich finde es seltsam“, kontert Ai-ling, „dass du nie mit deinen Eltern telefonierst.“ Gegenseitiges plötzliches Fremdsein, „weird to each other“, wie Sophie feststellt. Ein Culture Clash, bei dem Sophie wohl den Kürzeren zieht. Plötzlich steht ihre familiäre Einsamkeit im Raum, ein trauriges Kulturgut des Westens. Desto mehr muss dort romantische Liebe leisten. Das erklärt vielleicht die Härte des Verlusts bei Sophie, als Ai-ling verschwindet. Diesen Schock übersetzt Sophie in eine automatisiert wirkende Körpersprache, die durch den weißen Overall bei der Vernissage betont wird.

Foto: Salzgeber

Der Film hat neben den drei Hauptfiguren noch eine vierte Protagonistin: die Stadt Taipeh. Die Hochbahn, die Sophie mit der Kamera zusammen betritt, von zufälligen Passagieren kurz angestaunt, der Blick auf die Schienen über der Stadt, die Wohnblocks, Bürogebäude, Straßengeflecht, ein authentischer Markt mit echten Verkäuferinnen und echten toten Fröschen, ein Müllauto, das „Für Elise“ dudelt, und immer wieder der imposante Turm Taipeh101 in der Gestalt eines Bambusrohrs – es ist eine Mischung aus Sightseeing, Trauerreise, Abenteuer, Moderne und uralter Tradition.

Monika Treut , Jahrgang 1954, die seit mittlerweile 40 Jahren filmisch arbeitet und als Pionierin und Interventionistin des queeren Kinos gilt, ist nicht nur Spielleiterin, Produzentin, Autorin ihrer Filme, sondern auch eine große visuelle Erzählerin. Die Eigenbewegung der Kamera ist ihr wichtig, die Erkundung der Räume mit ihr, sie ist bereit für Überraschungen wie den Wechsel von Schauspielprofis zu Laien der Umgebung, von engen Innenräumen zu weiten Skylines, von Dokumentarfilm zu Spielfilm, von Wirklichkeit zu Phantasie und nicht zuletzt von der Welt der Lebenden zur Geisterwelt.

In den Hauptrollen: Inga Busch, die schon genderfluid durch Kino, Theater und Fernsehen wirbelte, als noch von androgyn die Rede war, spielt die Sophie abwechselnd verliebt und traurig, offenherzig und verschlossen, neugierig und in sich gekehrt. Huan-Ru Ke ist eine anmutige Ai-ling mit hinreißendem Lächeln, oft eingespielt in der filmischen Erinnerung, ihre Schönheit schmerzt fast, ihre Selbstbehauptung erfreut. Ganz anders Ting-Ting Hu als Mei-li. Nicht gerade schön und eher aufdringlich als anziehend. Und trotzdem gelingt es dem Film, dass die so unterschiedlichen jungen Frauen, die beide in Sophies Leben und Bett gelangen, irgendwann einander ähnlich werden wie ihre Namen, so dass man nicht weiß, ob Ai-ling vielleicht gar in anderer Gestalt noch einmal zurückgekehrt ist, um Lebewohl zu sagen – oder beunruhigt sie noch etwas?

Foto: Salzgeber

Asien hält für solche Unruhegeister feste Rituale bereit. Altäre in privaten Räumen mit Räucherstäbchen und Lieblingsessen und Lieblingsgetränken, gern auch Rauchzeug, Schnaps und Totengeld. Die Geschenke sollen den Geistern der geliebten Toten Frieden bringen – und damit auch den Lebenden. Welche Rätsel hinterlassen uns die Toten, was ist geklärt, was noch ungeklärt, was wurde beschwiegen im Leben? Solche Fragen tragen zur Unruhe um die Toten bei. Zum Glück gibt es dafür auch noch den chinesischen Geistermonat, in dem Sophie just ihre Reise in Ai-lings Heimat, Zufall oder nicht, angetreten hat, und sie darf die Gebräuche mitmachen, die ihrer Geliebten so vertraut waren und mit denen sie sie vielleicht noch einmal erreichen kann. Ein Abschied draußen zwischen dramatischen Bergen, in rauchiger Luft, zusammen mit den Eltern Ai-lings – und mit Mei-li.

Im Abspann singt Annette Humpe den Song „Schütze mich“, darin die Zeile „Ich wär gern besser als ich bin“, was man für „Ghosted“ programmatisch lesen kann. Ein alter Wunsch, ein alter Unfrieden mit sich selbst, den es in allen Himmelsrichtungen gibt, nur unterschiedlich artikuliert. Der Weg von dort zum inneren Frieden ist manchmal weit. Sophies im Film erwähnte Krankheit hat vielleicht damit zu tun und möglicherweise auch Ai-lings Tod, ebenso die Sorgen von Ai-lings Mutter, die Vater-Lüge Chen Fus und die Aufdringlichkeit Mei-lis.

Der Film lässt bewusst Räume für Interpretation frei und so manches unaufgeklärt. Er zeigt ein Taipeh aus Monika Treuts faszinierter westlicher Sicht, aber auch eins aus asiatischer Perspektive – Einheimische haben mitgespielt, mitgestaltet, mitproduziert und mitfinanziert. Für Treut, das merkt man auch, ist Taipeh auch ein Lebensstandort ebenso wie New York, Kalifornien und Hamburg. Da ist eine besondere Welt in Treuts Kino-Kosmos, eine grenzenlose, eine queere Welt inmitten der Alltäglichkeit. Weitab von den Konventionen sowohl des klassischen Erzählens als auch der Bürgerlichkeit, befindet sich Treut seit langem auf filmischen Entdeckungsreisen, dokumentarisch und fiktiv – und nimmt uns mit. Alles, sagen ihre Filme, ist möglich.




Ghosted
von Monika Treut
DE/TW 2009, 89 Minuten, FSK 0,
OF in Mandarin, Englisch und Deutsch, teilweise mit deutschen UT

Im Salzgeber Club