Gelobt sei Gott

Trailer Kino

Alexandre lebt mit seiner Familie in Lyon. Eines Tages erfährt er per Zufall, dass der Priester, von dem er in seiner Pfadfinderzeit missbraucht wurde, immer noch mit Kindern arbeitet. Er beschließt zu handeln und findet Unterstützung bei zwei weiteren Opfern, François und Emmanuel. Zusammen wollen sie das Schweigen brechen, das über ihrem Martyrium liegt – gegen alle Widerstände. François Ozon hat in seinem neuen Film die wahren Ereignisse des Missbrauchsskandals um den Lyoner Priester Preynat verarbeitet. Seine meisterhaft inszenierte Anklage der erschütternden Versäumnisse in der Katholischen Kirche wurde im Februar auf der Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. Ab Donnerstag ist „Gelobt sei Gott“ bundesweit im Kino zu sehen. Andreas Wilink hat den Film für uns gesehen – und genau hingehört.

Foto: Pandora Film

Das befreite Wort und das Wort, das befreit

von Andreas Wilink

Im Neuen Testament, Matthäus Kapitel Fünf, heißt es in der Übersetzung von Martin Luther: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist von Übel.“ Das Übel der Katholischen Kirche angesichts der Missbrauchsfälle an Kindern und Jugendlichen durch Priester bestand – und besteht – darin, zu lavieren und zu relativieren, Beweismaterial zu ignorieren, zu vertrösten: „gleisnerische“ Rede zu führen, um nochmals den Wittenberger Reformator zu zitieren.

Der Titel von François Ozons Film benennt das Skandalon. Denn „Gelobt sei Gott“ sei es so, dass die Taten inzwischen verjährt und die Täter nicht mehr zu belangen seien. Also nicht etwa: Gott sei Dank, dass die Verbrechen aufgeklärt und die Täter überführt werden, den Opfern Gerechtigkeit wiederfährt und Maßnahmen beschlossen sind, um künftig Missbrauch zu verhindern. Wer solche Rede führt, ist Kardinal Barbarin, der ranghöchste Hirte von Lyon, der es, wie er auf einer Pressekonferenz sagt, als glücklichen Umstand empfinde, einen angeklagten Priester nicht mehr vor Gericht bringen zu können.

Dieser Pater Bernard Preynat hat sich seit den achtziger Jahren in zahllosen Fällen des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen schuldig gemacht. Weder wurde er aus seinem Amt entfernt noch haben seine Vorgesetzten gegen ihn  Ermittlungen angestrengt. Man schwieg. Aber die Verbrechen lassen sich nicht mehr bemänteln, nicht mehr weg-beten.

Auch deshalb muss viel gesprochen werden in Ozons Film, der auf der Berlinale den Großen Preis der Jury erhielt, während gleichzeitig in Lyon Barbarin und sechs weitere Angeklagte vor dem Richter standen. Sprache deckt auf. Worte setzen etwas frei. Wenn die Kanzel diese Macht zur Wahrheit nicht wahrnimmt, müssen es andere Instanzen tun. Auch deshalb hat der Film etwas Unnachgiebiges, nie Nachlassendes. Er trotzt der ablaufenden Zeit etwas ab. „La parole libérée“: Gemäß dieser Parole gründen Betroffene einen Verein, forschen nach weiteren Leidensgenossen und Zeugen, nehmen zur Justiz Kontakt auf und gehen an die Öffentlichkeit.

Foto: Pandora Film

In kurzer Taktung erleben wir Mail-Dialoge, Meetings, Anfragen, Beratungen, Recherchen, Aussagen unter Tränen, Zusammenbrüche, Verhöre, Diskussionen innerhalb von Familien, zwischen Eltern und Kindern – und Rückblenden zu den Orten und Gelegenheiten der pädophilen Taten. Die Kirchenräume, Sakristeien, Residenzen, Pfadfinder-Zelte der ‚Gottesmänner’ liegen im Halbdunkel. Unerleuchtet vom Licht der Aufklärung.

Als Preynat von einem ehemaligen ‚Schützling’ mit seinen Taten konfrontiert wird, spricht er von „einem Schatten, der auf meinem Leben liegt“. Er leugnet keineswegs, er beschönigt höchstens. Die erschreckende Erkenntnis, die Ozons Film – auch – bereithält, ist, dass eine Art kollektiver Verdrängung in Roms Kirche am Werk sein muss: etwas, das vom Ehepaar Margarete und Alexander Mitscherlich mit Blick auf die deutsche Seele nach den Gräueln des Nazi-Reichs als „Unfähigkeit zu trauern“ analysiert wurde. Die allgemeine Tabuisierung und Verleugnung von Homosexualität im Männerbund der katholischen Kirche – oftmals in der unheiligen Verbindung mit Macht, Gehorsamsgebot und Abhängigkeit – zeigt im Fall der Übergriffe und Vergewaltigungen nur ihren schändlichsten und schädlichsten Ausdruck.

Foto: Pandora Film

Drei Männer, von Ozon exemplarisch mit fiktiven Biografien ausgestattet, während Täter und Mitwisser mit ihren realen Namen bezeichnet sind, und ihre sich begegnenden Schicksale stellt „Grâce à Dieu“ ins Zentrum. Wie der Regisseur das Emotionale ernüchtert, die Temperatur seines Kinos genauestens regelt und mit jedem Detail und in jeder Eistellung vermittelt, auf wessen Seite er steht, ist brillant. Dokumentarische Sachlichkeit und dramatische Aufladung streben nicht auseinander, sondern passen ideal ineinander. Man könnte sagen, dass Ozon nach seiner abgeschlossenen „Trilogie der Trauer“ („Unter dem Sand“, „Die Zeit die bleibt“, „Rückkehr ans Meer“) zehn Jahre später hier nun den Epilog dazu erzählt.

Der wohlsituierte Alexandre (Melvil Poupaud), gut-gläubiger Ehemann und fünffacher Vater, verlässt sich zunächst auf die Beteuerungen der Kirche. Die Frage, die ihm sein ältester Sohn am Ende stellen wird, ob er denn noch Gott zu vertrauen vermag, bleibt unbeantwortet. François (Denis Ménochet) hat die Hoffnung auf die Selbstheilungskräfte der Amtskirche aufgegeben. Desillusioniert und voller Wut, die ein Ventil im exzessiven Schlagzeug-Spiel findet, ist es der Furor des Aufdeckens, der ihn antreibt. Im Kontrast zu Alexandres bürgerlicher Existenz steht Emmanuel (Swann Arlaud), der durch die ihm angetane Gewalt in seinen Grundfesten dauerhaft erschüttert und aus der Lebensbahn an den sozialen Rand geworfen ist.

Foto: Pandora Film

Ozons Blick bleibt zwar auf den Einzelnen und auf ihre unterschiedlichen Beschädigungen gerichtet, aber weitet sich gleichwohl zur Totale: Es geht (ihm) um mehr als den individuellen Fall. Durchleuchtet wird das System unter dem Kreuz, das es nicht fertig bringt, das eigene Gewissen zu erforschen, Schuld anzuerkennen, Verzeihung zu erbitten, aus tiefem Herzen zu bereuen, obgleich diese Kategorien gewissermaßen zur ‚Spezialität’ seiner Repräsentanten gehören. Insofern sollte man „Grâce à Dieu“ nicht als gegen die Kirche gerichtet begreifen, sondern als Votum für eine bekennende Kirche.

Wenn der Kardinal auf dem Dach des Doms die Monstranz segnend über Lyon hält, scheint die Geste eher einen Fluch zu symbolisieren, den er über ‚urbi et orbi’ aussendet.




Gelobt sei Gott
von François Ozon
FR 2019, 137 Minuten, FSK 6,
deutsche SF & französische OF mit deutschen UT,

Pandora Film

Ab 26. September hier im Kino.

 

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