Celebration

Trailer Kino

Paris, 2001. Yves Saint Laurent skizziert, bereits schwer von Krankheiten gezeichnet, die Entwürfe für seine letzte Kollektion. Unterdessen richtet sein Lebens- und Geschäftspartner Pierre Bergé eine Serie von Feiern aus, um das kolossale Werk des Modedesigners zu würdigen. Regisseur Olivier Meyrou begleitet Saint Laurent in den letzten Karrierejahren und wirft dabei vor allem ein Licht auf die diffizile Beziehung zu seinem Partner. „Celebration“ wurde bereits im Jahr 2007 auf der Berlinale uraufgeführt, Bergé ließ die weitere Veröffentlichung des Films jedoch verbieten. Erst jetzt, zwei Jahre nach Bergés und über ein Jahrzehnt nach Saint Laurents Tod, darf „Celebration“ wieder gezeigt werden – und läuft ab Donnerstag auch in den deutschen Kinos. Daniel Schreiber hat ihn für uns gesehen.

Foto: Edition Salzgeber

Das Gespenst im Anzug

von Daniel Schreiber

Eine Männerhand in Nahaufnahme, mit einem Bleistift zwischen Daumen und Zeigefinger. Langsam und in kräftigen Strichen entsteht eine Modezeichnung. Stimmen im Hintergrund. Etwas Zigarettenasche fällt auf die Zeichnung und wird weggeblasen. Die Kamera schwenkt nach oben. Über den schönen, schwarzen Anzug, das gestreifte, luxuriös wirkende Hemd, die perfekt sitzende Krawatte. Dann der Schock: Das abwesende, eingefallene Gesicht eines alternden Wahnsinnigen. Seine dunkel gefärbten Haare wirken wie eine Perücke, hinter seiner dickrandigen Brille starren weit aufgerissene Augen ins Leere, seine Zunge fährt zwanghaft über die Lippen. Es dauert einige Sekunden, bis man versteht, dass es sich bei diesem Mann um Yves Saint Laurent handelt. Saint Laurent, die schwule Ikone. Saint Laurent, nach Coco Chanel der wichtigste Modeschöpfer des vergangenen Jahrhunderts.

Die Eingangsszene von Olivier Meyrous Dokumentarfilm „Celebration“ setzt einen Ton, von dem auch die anschließenden 73 Minuten assoziativen filmischen Materials nicht abweichen. Es ist der Ton eines ungeheuerlichen Voyeurismus, den man nur abstoßend und faszinierend zugleich finden kann. Und der einen häufig unfassbar traurig macht. Man hangelt sich von Szene zu Szene und versucht, bewusst oder unbewusst, weitere Blicke von diesem selten auftauchenden, von Alkohol und Drogen gezeichneten Gespenst zu erhaschen, bei dem es sich anscheinend einmal um Yves Saint Laurent gehandelt hat.

Es ist nicht wirklich überraschend, dass Pierre Bergé, Saint Laurents langjähriger Lebensgefährte, nach der Uraufführung des Dokumentarfilms bei der Berlinale 2007 verfügte, dass dieser zu Lebzeiten des berühmten Paars nicht mehr gezeigt werden dürfte. Saint Laurent sollte etwas mehr als ein Jahr später sterben, da war er 71. Bergé wurde 86 Jahre alt, er starb 2017.  Jetzt kommt „Celebration“ in einer leicht überarbeiteten Fassung in die deutschen Kinos.

Foto: Edition Salzgeber

Wie konnte es zu diesem Dokumentarfilm kommen? Saint Laurent und Bergé hatten Meyrou zwischen 1998 und 2002 die Möglichkeit gegeben, sie mit der Kamera zu begleiten. Sie waren zu dem Zeitpunkt zwei sehr reiche Männer mit einer turbulenten privaten Lebens-, Liebes- und Freundschaftsgeschichte. Ihr 1961 gemeinsam gegründetes Modehaus war zu einer der wichtigsten Luxusmarken der Welt geworden. Es war klar, dass Laurent bald sein Karriereende verkünden würde, und Bergé hatte gewissermaßen eine Abschiedstournee für die Modeikone organisiert. Eine Feier zum 40. Berufsjubiläum. Eine Auszeichnung für sein Lebenswerk in New York. Die groß angekündigte Abschiedsrede im Blitzlichtgewitter. Eine Retrospektive im Centre Pompidou, eine gigantische, millionenfach gesehene Modenschau während der Eröffnungsfeier der Fußballweltmeisterschaft. Meyrou war bei allem dabei, doch scheint er weder an der Bedeutung dieser Events interessiert gewesen zu sein noch an ihrem Glamour. Weder an Saint Laurents aufsehenerregenden Kleidern noch an den Celebrities, die das Paar umschwirren.

Foto: Edition Salzgeber

Stattdessen zeichnet er die klaustrophobische Atmosphäre im schließenden Modehaus nach. Der Film ist bevölkert von leidenschaftlichen, handwerklich hochbegabten Näherinnen, die die Hauptarbeit des Modeschöpfungsprozesses erledigen und in Angst davor leben, dass der große Maître, der sich selten blicken lässt, doch einmal aus seinen Gemächern steigt. Pierre Bergé, CEO des Imperiums, wird von Meyrou nicht nur als zynische, graue Eminenz im Hintergrund dargestellt, sondern auch als cholerischer Patriarch, der bellend Anweisungen von sich gibt, Mitarbeiterinnen anschreit, Fotografen aus den Modenschauen schmeißt und Saint Laurent wie ein Puppenspieler lenkt. Er schreibt seine Reden, probt jeden Auftritt mit ihm, ermahnt ihn, dass er sich nicht wie ein alter Mann aufführen soll, schreibt ihm jede öffentliche Handbewegung vor, und ist froh, wenn er sich nicht völlig blamiert. Saint Laurent selbst, das Zentrum, um das diese neurotische Gemeinschaft kreist, kann nur noch durch die Kulissen stolpern. Er ist kaum fähig, zu gehen oder zu sprechen, schwankt zwischen Debilität und Infantilität. Er wackelt vor sich hin, verdreht seinen Körper, zieht unkontrolliert Grimassen, knirscht mit den Zähnen und gibt ab und zu mal eine kryptische Bemerkung von sich. Seine Geistesabwesenheit ist erschreckend.

„Celebration“ ist ein sehr guter und ein sehr schlechter Film zugleich. Sehr gut, weil es Meyrou – psychoanalytisch gesprochen – mit unerbittlichem Blick gelingt, alles Symbolische, alles Imaginäre, alle Bedeutungen und Bilder, die man mit der Modeikone verbindet, beiseitezuschieben. Es gelingt ihm, den Blick auf das nur schwer zu akzeptierende Reale zu lenken, auf das, was niemand vor oder hinter der Kamera wissen oder glauben möchte.

Foto: Edition Salzgeber

Doch aus dem gleichen Grund ist dieser Dokumentarfilm auch schlecht. Was ist Mode ohne Bilder? Weder versucht sich Meyrou an einer Erklärung, wie es zu dem tragischen Absturz Saint Laurents kommen konnte, noch lässt er die Fallhöhe erkennen, die diesen Absturz erst so relevant macht. Doch gerade diese Fallhöhe hätte es gebraucht und diesbezüglich hätte es viel zu erzählen oder wenigstens zu kontextualisieren gegeben: Wie der junge im algerischen Oran geborene Mann nach Paris kam und einige Jahre später Christian Dior übernahm. Wie er Bergé kennenlernte, mit ihm sein eigenes Modehaus gründete und in aller Öffentlichkeit zusammenlebte. Wie er mit der Kreation von Hosenanzug und Bolero die Mode revolutionierte, den Damentrenchcoat salonfähig machte und sich für seine legendären Kollektionen bei Malern von Piet Mondrian bis David Hockney inspirieren ließ. Wie er die Idee des Prêt-à-Porter erfand, wie er sich für schwarze Models engagierte. Wie er zusammen mit Bergé eine der besten Kunstsammlungen der Welt aufbaute und nicht zuletzt sein Leben lang für LGBTQI-Rechte kämpfte.

Wer mehr davon erfahren möchte, sollte sich Pierre Thorettons Dokumentarfilm „Amour Fou“ von 2010 anschauen. Oder Bergés trauriges, wunderschönes Buch „Lettres à Yves“ lesen, das aus den Briefe besteht, die er an Saint Laurent nach dessen Tod schrieb. Ein Buch, in dem er kein Blatt vor den Mund nahm und dennoch von einer großen, ungewöhnlichen Liebe und Freundschaft berichtet.




Celebration
von Olivier Meyrou
FR 2007/2019, 74 Minuten, FSK 0,
französische OF mit deutschen UT,

Edition Salzgeber

 

Ab 26. September hier im Kino.

 

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