Nurejew – The White Crow

Trailer Kino

In seiner dritten Regiearbeit erzählt Schauspielstar Ralph Fiennes eine brisante Episode aus dem Leben der sowjetischen Tanzikone Rudolf Nurejew nach: Während eines Gastspiels in Paris in den 1960er Jahren gerät der junge und höchst talentierte Ballett-Star – eindrucksvoll dargestellt vom ukrainischen Weltklasse-Tänzer Oleg Ivenko – ins Fadenkreuz des sowjetischen Geheimdiensts. Auf zwei anderen Zeitebenen blättert das Drehbuch von David Hare („The Hours“, „Der Vorleser“) weitere Teile von Nurejews Biografie auf. Dessen Zuneigung zu Männern fällt dabei weitgehend unter den Tisch. Zum Glück gibt es immerhin diese eine Szene, findet unser Autor Stefan Hochgesand…

Foto: Alamode

Und auf Männer stand er auch

von Stefan Hochgesand

First things first, und Butter bei die Fische: „Nurejew“ ist auch ein zauberschönes filmisches Gedicht auf das Gemächt von Louis Hofmann. Zumindest eine gute Minute lang. Hofmanns prächtig hängender Penis wird gar in mehreren Perspektiven preisgegeben, zur Zigarette danach sozusagen, wobei nicht ganz klar ist, ob die Ballettboys Rudi (Oleg Ivenko) und Teja (Louis Hofmann) es gerade wirklich miteinander getrieben haben oder ob Teja Rudi bloß liebevoll von hinten über den Trizeps gestreichelt hat, wie man es direkt im Bild sieht. Doch Obacht, man sollte sich nicht zu sehr von Louis‘ Lümmel einlullen lassen in dieser Szene, denn auch was Teja derweil verbal zu sagen hat, ist nicht ganz unwichtig für diesen Film: dass Rudi auf ihn stehe, weil er, Teja, Ausländer (nämlich DDR-Bürger) sei und zudem zur seltenen Sorte der klugen Tänzer gehöre – also nicht nur dekorativ rumhüpfen kann, sondern auch noch prall was in der Birne hat. Und da ist auch was dran: Rudolf „Rudi“ Nureujew, real existierender russischer Ballettstar zur Zeit des Kalten Krieges, hatte nicht bloß eine Schwäche für Männer (und Frauen), sondern auch für die Verlockungen der humanistischen Hochkultur und der Freiheiten des Westens, ergo des Klassenfeindes aus Sowjet-Sicht.

Wie sich Schauspiel-Star Ralph Fiennes („Schindlers Liste“, „James Bond“, „Harry Potter“) dieser (wenn auch dramaturgisch aufgepimpten) wahren Geschichte in seiner dritten Regiearbeit nähert, ist grundsolide, schön anzuschauen und Academy-korrekt ein Biopic „fishing for the Oscar“. Das Drehbuch gönnt dem Plot, wie Drehbuchautor David Hare es auch schon in „The Hours“ trainiert hat, nicht bloß zwei, sondern satte drei Zeitebenen. Im Fall von „Nurejew“ sind das dessen Lebens-Wendepunkt Juni 1961, als Rudi Nurejew mit dem toprenommierten Kirow-Ballett in Paris und damit erstmals auf der anderen Seite der Macht, also des Eisernen Vorhangs, glänzt. Und zwei mitunter parallel-montierte Zeitsprungebenen zurück in die Backstory des Ballettstars: in die (natürlich in hochkontrastierendem Schwarzweiß fotografierte) eigenbrötlerische Kindheit in ärmlichen Verhältnissen; und in die Zeit, als Rudi beim wohlwollenden russischen Ballettmeister Alexander Puschkin (gemimt von Ralph Fiennes selbst) in der Schule war – und nebenbei dessen Frau verführte. So kann’s gehen.

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Schon in seiner Kindheit muss Nurejew einer gewesen sein, den andere absonderlich fanden. „Weiße Krähe“ nannten sie ihn, wie es auch der volle Filmtitel „Nurejew – The White Crow“ beim Namen nennt; quasi das Pendant zum schwarzen Schaf oder zum schwarzen Schwan. Schwarzer Schwan, oops, da war doch was: „Black Swan“ hieß 2010 das Ballett-Psychothriller-Drama mit Natalie Portman. Schwarzer Schwan, ick hör dir trapsen. Na gut, aber irgendwie muss man diese Story ja auch verkaufen. Der Film ist mindestens zur Hälfte in russischer Sprache, und Nurejew war zwar zu Lebzeiten ein Weltstar, wird vielen jüngeren Cineast*innen aber auch gänzlich unbekannt sein.

Als Identifikationsangebot selbst für Menschen, die keine Ballett-Aficionados sind, winkt der Film also, neben allerlei männlich-jugendlichem Eye Candy, mit dem Narrativ des nicht ausbremsbaren Freiheitsverlangens: Nurejew, mit seinen unverschämt schönen Wangenknochen, schert sich einen Dreck um die KGB-Agenten, die ihn in Paris als Anstands-Wauwaus beschatten, da West-Ausgang den Sowjet-Tänzer*innen eigentlich untersagt ist. Er beißt genüsslich in sein Buttercroissant, hängt mit Klassenfeinden ab und schwärmt für Picasso, Matisse und Rodin im Louvre. An diesem Narrativ ist nun so gar nichts falsch oder schlecht – es ist aber eben aus westlichem, heutigem Blickwinkel zumindest sehr durchschaubar und kaum noch für Überraschungen gut.

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Von queerem Belang ist wohl auch noch die Tatsache, dass Rudi Nurejew die Rolle des Mannes im klassischen Ballett revolutionierte: Es war ihm zu dumm, dass Männer nur „heldenhaft“ rumstehen und die Frauen hochhieven, damit die ihre wunderbaren Pirouetten drehen können. Nurejew re-interpretierte diese Rollen queer avant la lettre. Aber auch das wird im Film eher so dahinbehauptet: im Dialog mit der reichen, aber coolen chilenischen Freundin Clara Saint (Adèle Exarchopoulos aus „Blau ist eine warme Farbe“) und nur gelegentlich in Szene gesetzt. Bei einem Tanzfilm von über zwei Stunden ist das zu selten.

Es gibt indes auch wohlplatzierte Details zu entdecken, etwa dass man in diesem Film sehr oft den Kontakt der Füße, der Körper mit dem Tanzbodenholz hört, Noise, den gemeinhin die Musik kaschiert. Auch auf diese weniger plakative Weise (statt „Black Swan“-like mit dem Zeigen wunder, blutiger Füße) wird eindrücklich klar, wie sehr die Körper gegen die Schwerkraft angehen müssen, um uns eine Illusion von Leichtigkeit zu zeichnen. Dass Nurejew bei allem Genie ein Sturkopf gewesen sein muss, der sich und anderen das Leben schwermachte, kommt im Film auch heraus, aber vielleicht zu zahm: Da schreit er mal die Verkäuferin im Spielzeuggeschäft an, er wolle keinen Scheiß verkauft bekommen, sondern nur eine echte transsibirische Modelleisenbahn. Oder er zwingt Clara auf eine ungemütliche Weise, dem russischen Kellner zu verklickern, dass er Pfeffersauce auf seinem Steak verabscheut.

Foto: Alamode

„Nurejew“ hat seine Längen, aber irgendwann flirren und flattern dann doch die Violinen nervös los, wenn der KGB Rudi am Flug von Paris nach London hindern will und der sich dann entscheiden muss, ob er wirklich politisches Asyl in Frankreich beantragt. Ratet mal, wie es ausgeht! Genau. Wahre Spannung kommt nicht auf, alles tut nur so sehr, als wäre Psycho-Showdown angesagt am Flughafen von Paris. Es spricht nichts dagegen, wenn man schöne Männer gern in fulminanter Körperspannung bewundert. Und dieser Film ist allemal für einen netten Herbstfeierabend gut. Louis Hofmann! Neben queeren Tanzfilmen wie „Five Dances“ (2013), „Girl“ (2018) oder „Als wir tanzten“ (2019), der dieses Jahr in Cannes gefeiert wurde, spürt man aber doch, wie sehr er hinter den Möglichkeiten zurückbleibt, eine unerhörte Story auch im Medium des Tanzes zu erzählen.




The White Crow
von Ralph Fiennes
UK/FR/RS 2019, 122 Minuten, FSK 6,
deutsche SF & englische OF mit deutschen UT,

Alamode

Ab 26. September hier im Kino.

 

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