Finn Job: Damenschach
Buch
In Finn Jobs zweitem Roman „Damenschach“ wird eine exzentrische Villa im Wienerwald zur Bühne einer zunehmend schrillen Dinnerparty. Zertrampelte Rosen, zerschmetterte Vasen und eine Puppe im Pool spielen dabei ebenso eine Rolle wie jede Menge Alkohol, denn es wird laufend nachgeschenkt. Entsprechend ungezügelt und politisch unkorrekt streitet die Partyrunde über die Themen des Zeitgeists. Angelo Algieri hat das Buch gelesen und sich von seinem satirischen Schwung verwirren und befremden lassen, sich aber trotzdem oder gerade deshalb bestens amüsiert.
Die teuflische Komödie
von Angelo Algieri
Für seinen Debütroman „Hinterher“ bekam Finn Job 2022 viel Lob von der Kritik und löste einige Debatten aus. In dem Buch erzählt der heute 29-jährige gebürtige Hannoveraner vom Protagonisten Boy, der Liebeskummer hat und mit seinem Kumpel, dem Künstler Francesco, nach Frankreich fährt, wo die beiden zu viel Kokain konsumieren. Das Resultat ist ein durchgeknallter Erfahrungsmarathon, der unter anderem die Absurdität von Kunst- und Kulturkämpfen offenlegt, auch jene innerhalb der queeren Community – etwa, ob homophobe Angriffe durch Menschen mit arabischen Wurzeln in Berlin-Neukölln als solche benannt werden dürfen oder relativiert werden sollten, wie es Boys linker Bekanntenkreis macht.
Dass derlei Themen den Autor Finn Job damals auch privat beschäftigten, blieb kein Geheimnis. So bekannte er im Erscheinungsjahr des Romans in der Berliner Zeitung, dass, als er noch in Neukölln wohnte, er und sein Verlobter angespuckt wurden. Das Paar zog daraufhin in den Südwesten Berlins um. An Reibungspunkten mit der Gegenwart scheint es Job aber auch dort nicht zu mangeln. So ist sein zweiter Roman „Damenschach“, der kürzlich im Berliner Verlag Klaus Wagenbach erschien, gleichzeitig vielschichte Gesellschaftssatire und ein Sprung in die pure Fiktion.
In einer großen Villa im Wienerwald feiert Marie-Louise ihren fünfzigsten Geburtstag. Sie ist verwitwet, steinreich und lebt mit Ivana zusammen, der gebildeten Hausdienerin aus Südosteuropa. Zur Feier des Tages kommt Marie-Louises zehn Jahre älterer Freund David zu Besuch, der Psychotherapeut in Wien ist. Es wird getrunken und gequatscht. Dann stößt auch noch Marie-Louises transsexueller Zwillingsbruder Marius zu der Runde. Er kommt aus Berlin, wo er eine postkoloniale Galerie betreibt, und hat vor Kurzem mit der Transition begonnen. Die Schwester muss sich noch an seinen Bart und die neue Baritonstimme gewöhnen. Aber damit nicht genug. Marius erscheint in Begleitung seiner englischen Freundin Olivia, die Anfang zwanzig und damit weniger als halb so alt ist wie er. Der Altersunterschied sorgt auf der kleinen Party ebenso für Zündstoff wie verschiedene familiäre und kulturkämpferische Themen. Bis in die Morgenstunden dauert der trunkene Schlagabtausch der grundverschiedenen Charaktere. Dann muss Marie-Louise zum Damenschach.
Nicht nur die Zusammenfassung der Geschichte mutet wie ein Kammerspiel an, auch der Text liest sich wie eins – klassisch unterteilt in fünf Akte, beziehungsweise Kapitel. Zudem ist „Damenschach“ so dialoglastig, dass wir Leser:innen uns bald in der Rolle der Zuschauenden wähnen. Ein Effekt, den Finn Job durch selbstreferentielle, ironische Bemerkungen verstärkt, zum Beispiel, indem er uns am Ende mit „liebes Publikum“ anspricht. Theatralisch überzeichnet ist auch das Romanpersonal, das – trotz hoher Bildung – teils völligen Unsinn redet. Der ironische Stil, mit dem Job diesen Unsinn kenntlich macht, erinnert manchmal fast ein bisschen an Thomas Mann.
Nebenbei wird unverhohlen auf die Commedia dell’arte mit ihren Figurentypen vom Arlecchino bis zur Colombina verwiesen, was aus zweierlei Gründen gut zum Inhalt passt: Zum einen beten die stereotypischen Figuren schablonenhaft jene Plattitüden nach, die sie in ihrer jeweiligen Blase mitbekommen haben, ohne dass ein erkenntnisreicher Austausch stattfindet – ein Stilmittel, mit dem der Autor die aktuelle Debattenkultur widerspiegelt. Zum anderen sei daran erinnert, dass die Commedia dell’arte eine vergangene Kunstform ist, die in der Renaissance in Oberitalien entstand. Die Art und Weise, wie sie den Menschen mittels Komik den Spiegel vorhielt, wurde europaweit populär (vor allem in Frankreich und England), nutzte sich aber mit der Zeit ab und wurde spätestens mit der Epoche der Aufklärung von anderen Formen abgelöst. An diesem Punkt setzt Finn Jobs Message an: Schablonenhafte Typen wie Pantalone und Dottore sind heutzutage wieder im Trend, folglich ist die Commedia dell’arte die passende Kunstform, um die heutige Zeit zu beschreiben. Heißt im Umkehrschluss: Wir sind mit unserer Debattenkultur ins voraufklärerische Zeitalter zurückgefallen. Die Fragen, die aus dieser These resultieren, liegen auf der Hand: Besteht Hoffnung, dass wir uns emanzipieren? Dass statt Typen wieder Persönlichkeiten gefragt werden? Dass wir uns entwickeln?
Die Vielzahl an theatralen Referenzen kommt nicht von ungefähr. In einem Podiumsgespräch beim internationalen literaturfestival berlin offenbarte Job, dass er tatsächlich zuerst ein Theaterstück schreiben wollte. Er habe es sattgehabt, dass die Regisseure an den Bühnen der Hauptstadt ihre Befindlichkeiten in Klassiker hineinprojizierten. Mit dieser Kritik schlug er in die Kerbe von Schriftstellern wie Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“), der ebenfalls seit Jahren vehement gegen das Regietheater wettert. Dementsprechend lehnt Finn Job auch Autofiktion im Stil von Édouard Louis („Wer hat meinen Vater umgebracht“) ab, denn über sich selbst zu schreiben, finde er einfach nur borniert. Er dagegen stehe für die pure Fiktion. Ob man das nun glaubt oder seine Meinungen und Ästhetikkonzepte teilt, sei dahingestellt. Anzuerkennen ist, dass Job als Schrifsteller die Gegenwart reflektiert und klar Stellung bezieht – im Gegensatz zu den Figuren in seinem Buch.
Kurzum: Finn Jobs zweiter Roman ist ein vielschichtiges Kammerspiel, das gegenwärtige Themen be- aber nicht verhandelt. Geschickt versammelt der Text die großen unversöhnlichen Debatten und Fragen unserer Zeit und projiziert sie in seine Figuren: Da wird das Verhältnis zwischen Transsexualität und Feminismus im Stil der TERF-Debatte um J.K. Rowling und ihre Äußerung, dass Trans*-Frauen keine richtigen Frauen seien, ebenso aufgegriffen wie die Verharmlosung von Kolonialismus, Rassismus und Antisemitismus, die deutsche Schuld, die Shoah und wie sie teils relativiert, teils instrumentalisiert wird, und so weiter und so fort. Auch Klassismus, der in deutschsprachigen, queeren Texten selten thematisiert wird, bringt Job zur Sprache. So stammt Olivia aus ärmlichen Verhältnissen und wird dafür nicht nur von ihrem bürgerlichen Freund Marius diskriminiert. All diese Reizthemen gießt Finn Job in „Damenschach“ in teils unreflektierte, teils zynische Dialoge, die mal die rechte, mal die woke Seite entlarven. Dass all das nicht ins Geschmacklose abgleitet, sondern trotzdem humorvoll bleibt und nachdenklich stimmt, ist die eigentliche Qualität des Romans.
Damenschach
von Finn Job
176 Seiten, € 22
Wagenbach