Ellie & Abbie
Trailer • DVD/VoD
Die 17-jährige Ellie ist super smart und total verknallt in ihre Mitschülerin Abbie. Für den Abschlussball will sie sich endlich ein Herz fassen und ihren Schwarm zum Date einladen. Dann steht plötzlich ihre längst verstorbene Tante Tara vor ihr. Als lesbische Aktivistin der 1980er Jahre hat die natürlich einiges zum Fall beizutragen. Mit ihrer geisterhaften Liebespatin wagt Ellie den nächsten Schritt… „Ellie & Abbie“ gibt es ab jetzt im Salzgeber Club und auf DVD zu sehen. Mit dem Traumpaar Sophie Hawkshaw und Zoe Terakes erzählt Regisseurin Monica Zanetti nicht nur von einer schaurig-schönen ersten Liebe an einer australischen Highschool, sondern auch von den Errungenschaften im Kampf um nicht-heterosexuelle Selbstermächtigung. Angelika Nguyen über einen vielseitigen Film, der mit feinem Gefühl Love Story, Enthüllungsdrama und Ermittlungskrimi kombiniert.
Unterstützung aus dem Jenseits
von Angelika Nguyen
Sydney 2020. Ellie geht zur Highschool und lebt mit ihrer Mutter zusammen. Ihre kleinen Helferchen sind Sprüche an der Wand und auf youtube: „Ich bin schön und stark.“ Oder „Ich beanspruche meine Kraft und überwinde alle Grenzen.“ Oder „Ich lasse alles los, was mir nichts nützt.“ Ellies Jahrgang nähert sich dem Ende der Schulzeit, und wer wen für den Abschlussball einlädt, ist gerade weitaus interessanter als jeglicher Unterricht. Und so steht ein Junge mitten in der Stunde auf, knautscht einen Strauß Rosen in der Hand und fragt ein Mädchen, ob sie mit ihm dorthin geht. „Na klar, du Idiot“ sagt es, ihn glücklich umarmend. Das Hetero-Beispiel. Indessen lächelt Ellie ein paar Bänke weiter in sich hinein. Auch sie weiß, wen sie will: Abbie aus der Parallelklasse. Geradeaus geht Ellie mit den geklauten, äh, geborgten Rosen in den Lesesaal, zu Abbie, die dort sitzt, aber kurz davor verlässt Ellie der Mut. Sie dreht um.
Den Mut zu finden, die angebetete Person anzusprechen, kann schwieriger sein als das Coming Out selbst. Das schafft Ellie nämlich locker schon vor dem Filmvorspann. Zu Hause in der Küche, mitten ins Geplapper der Mutter, sagt sie ganz schlicht: „I’m gay.“ Der irrlichternde Blick der Mutter, das hilflose Lächeln. Ellie verlässt die Küche, enttäuscht. Fluchtpunkt Badezimmer, Blick in den Spiegel. Aber wenn die Lebenden nicht mehr klarkommen, werden tote (und kompetente) Verwandte ihnen zu Hilfe eilen. Dieses alte Erzähl-Motiv ist die Grundidee des Films. Also steht plötzlich eine fremde, noch ziemlich junge Frau neben Ellie, guckt mit in den Spiegel und gratuliert zum Coming Out: „Das lief doch richtig gut!“ Ellie schreit vor Schreck, dann schreien beide, und der Fön dient Ellie als Waffe. Die Frau ist, so viel wird klar, Tara, die längst verstorbene Schwester von Ellies Mutter. Ellie kennt nur Fotos von ihr, sie starb vor Ellies Geburt. „Coming Out ist hart, und ich bin hier, um dir zu helfen.“, sagt Tara. Nette Tante, selber gay („Nenn mich Lesberante.“), sie weiß, wovon sie spricht. Aber die Zeiten haben sich geändert, wir sind nicht mehr in den 1980ern. „Ich habe keine Angst.“ sagt Ellie, „In meiner Klasse sind fünf Leute andersherum.“ Tante Tara staunt.
Nach diesem rasanten und witzigen Intro folgen, fröhlich bebildert, die Credits. Allein dieser Vorspann ist schon ein Erlebnis und gibt Zeit genug, um sich auf dieses kurzweilige Spielstück einzustellen. Dann beginnt die romantische Komödie nach allen Regeln der Kunst. Ellie erfindet einen „Zufall“ nach dem andern, um Abbie begegnen zu können. Aber wie jede komödiantische Heldin steht Ellie sich selbst im Weg. Im sonstigen Leben selbstbewusst und fröhlich, Umweltaktivistin und Schulsprecherin, wird sie wortkarg und schüchtern, sobald Abbie um die Ecke kommt. Die Konflikte entfalten sich, und überraschend ist ihre allmähliche Auflösung. Wie schafft es Ellie am Ende doch, Abbie ihre Liebe zu erklären und sie zum Ball zu bekommen? Und wie wird Ellie den Geist ihrer Tante wieder los, der ihr – in bunt bestickter Jeansweste – andauernd Ratschläge geben will, und wie versöhnt sie sich mit ihrer Mutter, die sie seit dem Geständnis in der Küche für „bigott“ hält? Doch zwischen ihnen steht noch mehr. Über den Tod von Tara („ein Autounfall“) will die Mutter mit Ellie auf Nachfrage keinesfalls reden. Etwas Verborgenes teilt die Mutter auch mit Patty, der besten Freundin der Familie. Lügen und Geheimnisse. Und mittendrin Ellies unerfüllte Sehnsucht. Aber Abbie hat auch so ihre Probleme – das retardierende Moment der Lovestory liefert sie in einem denkwürdigen Gespräch vor der Tür. Abbie fragt Ellie die Frage aller Fragen: Warum warst du dir überhaupt sicher bei mir? Und erzählt von ihrem Trauma. Immer noch kein Happy Ending.
Dann hat der Film im letzten Drittel noch eine Überraschung parat, durch die sich unversehens alles Vorherige trifft: Ellies Konflikt mit der Mutter, Abbie und die tote Tante Tara, ja auch die Nebenperson Patty, die Uber-Taxi fährt, um sich über Wasser zu halten. Und plötzlich kommt reale Politik in das beschwingte Stück.
„Ellie & Abbie“, als queere „Rom Com“ geteasert, ist viel mehr als das. Außer den typischen Verwicklungen um die große Liebe gibt es ein Enthüllungsdrama über die Vergangenheit und ein Stück Ermittlungskrimi um den unaufgeklärten Anschlag auf eine LGBTQ-Aktivistin. Die Proteste gegen die berüchtigte homophobe Demonstration in Sydney 1989 „Cleansing March of Witness for Jesus“ des selbsternannten „Austreibers“ Fred Nile nimmt der Film in seine Handlung auf. Und schließlich ist da die fantastische Ebene, die Poesie von der Wiederkehr der Toten. Der Originaltitel des Films lautet denn auch: „Ellie & Abbie (& Ellie‘s Dead Aunt“). Dass das alles leicht bleibt und logisch, ist das Verdienst Zanettis, deren herausragendes Talent hier schön zur Spielfilm-Wirkung kommt.
Auch Zanettis sonstiges Werk lässt politischen Antrieb und persönliche Themen erkennen. Das Schwestern-Motiv beschäftigte Zanetti schon als Autorin der Mini-TV-Serie „Sisters“, und im Abspann von „Ellie & Abbie“ lässt sie via Widmung das familiäre Tante-Tara-Motiv autobiographisch in einem Kofferwort aufblitzen: Sie widmet den Film ihren beiden „Guncles“ (= Gay Uncles).
Als Regisseurin hat sie ein feines Gefühl für ihre herausragenden Darstellerinnen und schreibt ihre pointierten Filmstorys selbst. Für ihre Screenplays wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Dabei legt sich Monica Zanetti nicht unbedingt auf eine Sparte fest – virtuos spielt sie mit verschiedenen Genres und bewahrt bei aller Brisanz die Leichtigkeit der komischen Erzählung. Handwerklich an TV-Produktionen geschult, nutzt sie unbekümmert auch fürs Kino die cineastisch eher verpönte Doublescreen, gern auch Dreifach-Screen, blendet Textnachrichten als Erzähl-Ebene ein, erhöht das Tempo durch zeitgemäßes Multitasking für die Sinne. Ein audiovisuelles Fest!
Ellie & Abbie
von Monica Zanetti
AU 2020, 82 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT,
Salzgeber
Hier auf DVD.