Einfach Charlie

TrailerDVD / VoD

Jetzt als DVD und VoD: Charlie ist 14 und liebt es, Fußball zu spielen. Gerade hat der Teenager das Angebot bekommen, in die Jugendabteilung eines Clubs in der ersten englischen Liga aufgenommen zu werden. Charlies Vater platzt fast vor Stolz, auch weil es einst sein eigener Traum war, Profifußballer zu werden. Für Charlie ist die Aussicht aber ein einziger Albtraum, denn „er“ ist eigentlich ein Mädchen, dem bei der Geburt das Geschlecht „männlich“ zugewiesen wurde. Als Charlie sich ihren Freunden und Eltern anvertraut, reagieren nicht alle mit Verständnis. Die britische Regisseurin Rebekah Fortune erzählt in „Einfach Charlie“ nicht nur vom Suchen und Finden der eigenen Identität, sondern auch die Geschichte von Charlies Familie und dem sozialen Druck, den das mutige Coming-out auslöst. Samuel Benke hat sich den in seiner Realitätsnähe berührenden Coming-of-Age-Film für uns gesehen.

Foto: Edition Salzgeber

Meine Fußballschuhe in Rosarot

von Samuel Benke

Charlie ist gut in der Schule, fantastisch im Fußball und beliebt bei den Mannschaftskollegen. Die Schwester und die Mutter sind liebevoll, und der Vater ist so unglaublich stolz auf seinen Sohn. Die Zukunft scheint für Charlie alles bereitzuhalten. Das letzte Fußballspiel lief sogar so gut, dass ein Scout ihm etwas in Aussicht stellt, was der Vater wegen einer Knieverletzung nie erreichen konnte: eine Profikarriere.

In der Umkleidekabine kurz nach dem Spiel witzeln die anderen Jungs herum, welches Mädchen zugeschaut hat und welcher Gegner am besten ausgetrickst wurde. Nur Charlie  scheint nicht glücklich zu sein. Ein Blick in den Spiegel, die Haare werden glatt gestrichen. Noch einmal tief Luft holen und dann nach draußen treten, wo schon der Vater wartet. Charlie trägt ein Geheimnis in sich. Sie ist in Wirklichkeit ein Mädchen. „Einfach Charlie“ ist ihre Geschichte, eine Coming-out-Erzählung, die aufwühlt und berührt.

Charlie wächst in einer ganz normalen Familie in England auf. Einer Familie, die zusammen lacht, gemeinsam zu Abend isst und Alltagssorgen bewältigt. In einem Ort, an dem es Menschen mit offenem Herzen und viel Verständnis gibt und solche, die sich fürchten, denen es nicht gefällt, wenn jemand anders ist. Der Vater will für seinen Sohn nur das Beste. Er selbst arbeitet in einer Fabrik, beschwert sich oft über die langweilige Arbeit, ist aber mit viel Hingabe für die Familie da. Es macht ihn ratlos, dass Charlie nicht sofort bei den Profis trainieren will. Er hat das Gefühl, seinen Sohn, der zunehmend zurückhaltender wird, nicht mehr zu verstehen. Charlies Noten werden schlechter, die Antworten immer knapper, und der ehemals beste Freund wird auf Abstand gehalten.

In Charlie wird das Bedürfnis immer stärker, das, was sie in sich spürt, auch außen sichtbar zu machen. Regisseurin Rebekah Fortune fängt dieses Gefühl, im eigenen Körper nicht zu Hause zu sein, filmisch voller Empathie ein. Als Charlie etwa in einer Szene einen Anzug anprobieren soll, sieht man sehr deutlich, wie unwohl sie sich fühlt. Charlie zupft an den langen Ärmeln, am weiten Hemdkragen, fragt, ob sie ihn wieder ausziehen darf. In einem unbeobachteten Moment schleicht sie sich nach oben ins Geschäft und probiert schillernde, hohe Schuhe an. Sie passen perfekt.

Foto: Edition Salzgeber

Immer wieder betrachtet Charlie ihren Körper im Spiegel. Sie fasst sich an, tastet über den Brustkorb, streicht über die Stelle, wo doch eigentlich Brüste sein sollten, reißt an der nicht zu ihr gehörenden Kleidung, reißt an dem falschen Körper. Nahe Aufnahmen, traurige Blicke. Doch sobald sie ein Kleid überstreift, verändert sich der Rhythmus des Films, er wird langsamer, die Einstellungen sind plötzlich von einem warmen Licht durchdrungen und werden von weicher Musik begleitet. Zunächst noch werden diese Szenen mit einigem Abstand durch das Blätterwerk eines Baumes gefilmt – Charlie hat sich mit Klamotten, die ihre Schwester Eve aussortiert hat, in den Wald davon gestohlen. Im weiteren Verlauf des Filmes aber kommt die Kamera der Hauptfigur immer näher. So wie Charlie an ihr eigentliches Geschlecht tasten auch wir uns als Zuschauer*innen langsam an sie heran.

Foto: Edition Salzgeber

Als die Eltern an einem Abend ausgehen, hat Charlie das Haus für sich. Sie taucht in die Badewanne, peelt sich die Haut, schminkt sich. Die Montage, die Musik, die Kamera öffnen sich zur Figur hin. Doch in dem Moment, in dem Charlie gerade Lippenstift aufträgt, kommen die Eltern nach Hause zurück, viel früher als erwartet. Die Tonalität ändert sich abrupt. Harte Musik, unsanfte Schnitte. Der Vater steht in der Tür. Was machst du da?

Fortunes Film thematisiert klug nicht nur einen Hass, den Charlie von außen her erfährt, sondern auch die Angst, die in ihr steckt und die nur mit Liebe, Halt und starken Verbündeten überwunden werden kann. Doch was sein Kind braucht, kann der Vater Charlie im ersten Moment noch nicht geben. Verständnislos und grob fordert er sein Kind in der Szene im Badezimmer auf, sich das Make-Up aus dem Gesicht zu wischen. „Ich bin nicht komisch“, platzt es aus Charlie heraus. „Ich hätte wie Eve sein sollen. Ich hätte ein Mädchen sein sollen.“ Und plötzlich ist es raus, das so lange gehütete Geheimnis. Es sind einfache, aber wirkungsvolle Stilmittel, die Fortune einsetzt, um Charlies Konflikt zwischen Innen und Außen darzustellen.

Foto: Edition Salzgeber

Nach und nach öffnet sich Charlie auch anderen Personen in ihrem Umfeld. Viele gehen besser damit um als der Vater. Der Trainer etwa versucht für Charlie da zu sein, und versichert ihr, dass es wichtigere Dinge im Leben als Fußball gibt. Doch immer wieder trifft sie auch auf Unverständnis, muss sich behaupten und gegen Vorurteile kämpfen. Und nicht alle werden im Laufe des Films ihre Meinung ändern. Dass der Weg zu einer Geschlechtsanpassung auch an vielen Menschen vorbeiführt, die einem nicht mit Liebe und Verständnis begegnen, können sicher viele Transpersonen bestätigen. Dieser Film zeigt das. Auch deswegen fühlt er sich ehrlich und authentisch an. Die größte Stärke von „Einfach Charlie“ liegt aber darin, dass er den Figuren filmischen Raum für ihre Emotionen, Fragen und Antworten lässt – und so auch die Zuschauer*innen ganz dicht an sie heranlässt. Da verzeiht man ihm auch gerne, dass das Ende vielleicht etwas zu kitschig geraten ist.




Einfach Charlie
von Rebekah Fortune
UK 2017, 99 Min., FSK 12,
englische OF mit deutschen UT,

Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD (deutsche Fassung): € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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