Dreamers
Trailer • Queerfilmnacht
„Dreamers“ rückt das Schicksal zweier Frauen in den Fokus, die gemeinsam den entmenschlichenden Prozessen des britischen Einwanderungssystems trotzen. Dabei konzentriert sich Regisseurin Joy Gharoro-Akpojotor „auf die individuellen Schicksale ihrer Figuren, ihre Ängste, Wünsche und Hoffnungen, und nimmt damit der kollektivierenden Sprache der Politik und Medien den Wind aus den Segeln, in der „die ,Migrant:innen‘, ,die Asylbewerber:innen‘ oftmals zu einer amorphen Masse verschwimmen.“ Anja Kümmel über einen Film, der im festen Glauben an die Freiheit und die Liebe enstand.

Foto: Salzgeber/Rob Baker Ashton
Tanz mit den Dämonen
von Anja Kümmel
„Wie kann ich sicher sein, dass Sie homosexuell sind?“ Der Sachbearbeiter, der über Isios (Ronkẹ Adékoluẹjo) Schicksal entscheiden soll, beugt sich vor und schaut die junge Frau, die ihm gegenübersitzt, prüfend an. Unter dem Pony der glatten Bobperücke, die sie bei diesen qualvollen Anhörungen wie einen Schutzhelm aufsetzt, sieht Isio ratlos und angststarr zu Boden. Sie weiß, dass es keine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt. Sie weiß auch, was passieren wird, wenn sie als lesbische Frau zurück nach Nigeria geschickt wird. Und es bleiben ihr noch genau zwei Versuche, Widerspruch gegen ihren abgelehnten Asylantrag einzulegen, bevor die Abschiebung droht.
In dieser beklemmenden Szene bündelt sich nicht nur die tragische Absurdität dieser kafkaesken Asylverfahren, sie enthält auch den biografischen Kern, aus dem Joy Gharoro-Akpojotors Langfilmdebüt „Dreamers“ entstand. Als die nigerianisch-britische Regisseurin und Produzentin mit 24 Jahren selbst einen Antrag auf Asyl stellte, sah sie sich mit derselben unmöglichen Aufgabe konfrontiert: die eigene sexuelle Orientierung in einem Routineverfahren anhand von standardisierten Fragen „beweisen“ zu müssen. Gharoro-Akpojotor hatte Glück. Ihre beiden Protagonistinnen hingegen haben weitere Hürden zu bewältigen.
Der Film beginnt damit, dass Isio als illegal Beschäftigte in England festgenommen und in eine Einrichtung überstellt wird, die sich „Abschiebezentrum“ nennt, jedoch einem veritablen Gefängnis gleicht. Sie ist verstört und überfordert vom schwer durchschaubaren Regelsystem dieses Mikrokosmos, in dem Wachen vorgeben zu helfen und eigentlich nur an Information gelangen wollen, und manche Insassinnen Gangs bilden, die vor allem Neuankömmlinge schikanieren. Ein Ruhepol in dieser feindseligen Umgebung ist ihre Zimmergenossin Farah (Ann Akinjirin), die sich mit ihrer nüchtern-zupackenden Art der Neuen annimmt und ihr zeigt, wie die Dinge im Zentrum laufen. Dass sich unter Farahs äußerlicher Coolness auch ein großer Schmerz verbirgt, erfahren wir erst später. Dass ihr eigener Antrag bereits in der kritischen dritten Runde angelangt ist, scheint sie relativ gelassen hinzunehmen, sodass sie in der Lage dazu ist, Isio mit pragmatischen Tipps und beruhigenden Worten durch denselben Spießrutenlauf zu begleiten.
Soweit klingt „Dreamers“ nach ziemlich hartem Tobak – doch hat auch der zart-schwebende Titel seine Berechtigung. Gharoro-Akpojotor hatte ganz offensichtlich weder ein schwermütiges Drama noch eine didaktische Meta-Doku über Einwanderungspolitik im Sinn. Stattdessen konzentriert sie sich auf die individuellen Schicksale ihrer Figuren, ihre Ängste, Wünsche und Hoffnungen, und nimmt dabei ein Stück weit der kollektivierenden Sprache der Politik und Medien den Wind aus den Segeln, in der „die Migrant:innen“, „die Asylbewerber:innen“ oftmals zu einer amorphen Masse verschwimmen.
Nach ihrer Einweisung verkriecht sich Isio zunächst mit ihren Büchern im Bett und weigert sich, echte Freundschaften zu knüpfen. Doch Farah lockt sie ganz allmählich aus der Reserve. Sie hilft ihr bei der Berufung, schleppt sie mit zum Kunstunterricht und ist da, wenn Isio aus ihren wiederkehrenden Alpträumen erwacht: fragmentierte, verschwommene Bilder in Blutrot, in denen sie vor einem maskierten Erscheinung flieht. Flashbacks, vermutet man, eines vor ihrer Flucht erlittenen Traumas.

Foto: Salzgeber/Rob Baker Ashton
Allmählich weicht Isio gegenüber ihren Mitinsassinnen auf, allen voran Farah, aber auch zwei anderen Frauen im Zentrum: der etwas verschlossenen Nana (Diana Yekinni), die Isio nur zögerlich in ihr Herz schließt, und der warmherzigen Atefeh (Aiysha Hart), die ihr sofort einen Job in der Cafeteria besorgt. Dass sich mehr entwickeln könnte zwischen ihr und Farah, scheint Isio jedoch unheimlich zu sein – kein Wunder, angesichts der Tatsache, dass Homosexualität in Nigeria illegal ist und sie daran gewöhnt ist, ihr Begehren zu verstecken. Nach einem Flirt mit Farah in der Waschküche, der ein paar Nächte später zum ersten Kuss führt, macht Isio dann auch erstmal wieder dicht. Als Atefeh bei der Arbeit in der Cafeteria neugierig-neckend nachfragt, was zwischen den beiden läuft, wehrt Isio ab: „Ich muss hier rauskommen, nicht, mich verlieben.“ Atefeh erwidert leichthin: „Warum nicht beides?“
Kann Isio sich auf das Hier und Jetzt einlassen? Dies ist einer der Hauptkonflikte, um die „Dreamers“ kreist. Kann sie sich verletzlich zeigen, trotz der permanenten Unsicherheit ihres legalen Status? Ist es innerhalb eines feindlichen Systems möglich, den kleinen Momenten der Freude, der Gemeinschaft, der Sinnlichkeit Raum zu geben? In dem Umgang mit diesen Fragen liegt die Stärke des Films: Mit großer Kraft beschwört er ephemere utopische Räume inmitten eines dystopisch anmutenden Umfelds, Momente, die notwendig, wenn auch flüchtig sind, verändern sie doch für immer die diejenigen, die sie erleben. Oder, wie Farah es ausdrückt: „Freiheit beginnt im Kopf.“
Eine zentrale Rolle bei der Gegenüberstellung von außen und innen, Kälte und Leidenschaft, allgegenwärtiger Bedrohung und kleinen Safe Spaces, spielen die Wahl des Lichts und die Farbgebung der einzelnen Szenen, die Gharoro-Akpojotor, Kamerafrau Anna Patarakina und Szenenbildnerin Gini Godwin mit feinem atmosphärischen Gespür herausarbeiten. So wirkt etwa Farahs und Isios gemeinsames Zimmer viel wärmer und farbenfroher als die steril-weißen Gänge des Zentrums, so als gehörte dieser temporäre Rückzugsort nicht zur bestehenden, sondern zu einer irgendwo bereits angebrochenen besseren Welt. „Alles außer weiß“ sollen dann auch die Wände sein, die sich Isio und Farah für ihr zukünftiges gemeinsames Zuhause erträumen. Grüne Wände, gelbe Blütenblätter, bunte Kleider – diese Visionen gewähren nicht nur einen flüchtigen Blick in einen fantastischen Möglichkeitsraum, sie bilden auch einen eindrucksvollen Kontrast zu den rot getränkten Bildern, die Isios Alpträume erzählen, und funktionieren somit als Gegengewicht zu ihren traumatischen Erinnerungen.

Foto: Salzgeber/Rob Baker Ashton
Mitunter wirkt das Spiel mit Licht und Farben allerdings etwas zu stark symbolisch aufgeladen, was sicher auch an der extremen Verdichtung der Geschichte auf nicht einmal 80 Minuten liegt. Vermutlich auch deshalb wirkt die Anbahnung der Romanze zwischen Farah und Isio ein wenig gehetzt, und die Freundschaft zwischen Farah, Isio, Nana und Atefeh zeigt sich vor allem in schlaglichtartigen Momentaufnahmen, anstatt in ihrer allmählichen Entwicklung. Eine etwas längere Laufzeit hätte der Komplexität des Plots und der Dynamik zwischen den Figuren wahrscheinlich gutgetan.
Dass „Dreamers“ trotz seiner Kürze in keinem Moment in ein simplifizierendes „Gut gegen Böse“-Schema verfällt, ist eine Kunst. Zwar stehen Liebe, Freundschaft und Solidarität im Mittelpunkt des Films, doch zeigt Gharoro-Akpojotor mit den rivalisierenden Gangs und ihren Intrigen auch die dunkleren Seiten der menschlichen Psyche, die der tägliche Kampf ums Überleben mit sich bringen kann. Während einige, die im Abschiebezentrum arbeiten, ihre Privilegien schamlos ausnutzen, versuchen andere mit ehrlichem Mitgefühl, wenn auch naiv und auf hilflose Weise, das Leben der dort festgehaltenen Frauen ein wenig erträglicher zu machen.
Gegen Ende verwandeln sich die bedrohlich konnotierten Bilder aus Isios Alpträumen in eine rituelle Tanzszene. Die angstbesetzte Maske, begreift man, muss nicht zwingend oder nicht nur für einen erlittenen Schmerz stehen, sie verkörpert auch eine spirituelle Kraft, die Isio allzu tief in ihrem Innern vergraben, schon immer mit sich trug. Als sie sich im Traum aus der angstvollen Starre löst und mit ihr zu tanzen beginnt, hallen beim Zuschauen Farahs Worte nach: „Wovor auch immer du Angst hast, es muss dich nicht beherrschen.“ Zwar wurden die beiden Frauen zu diesem Zeitpunkt bereits räumlich voneinander getrennt, doch die Erfahrung ihrer geteilten Liebe lebt in Isio fort. Farahs Rat, „loszulassen, um hereinzulassen“, den Isio anfangs belächelte, scheint nun greifbar nah.

Dreamers
von Joy Gharoro-Akpojotor
UK 2025
englische OF mit deutschen UT
Ab Anfang Dezember in der Queerfilmnacht. Kinostart: 11. Dezember.