Der verlorene Sohn
Trailer • Kino
Der 19-jährige Jared (Lucas Hedges) wächst in einem Baptistenprediger-Haushalt in den amerikanischen Südstaaten auf – und ist schwul. Weil das aus der Sicht seiner strenggläubigen Eltern (Nicole Kidman, Russell Crowe) nicht zusammengeht, schicken sie den Sohn zu einer Konversionstherapie. Doch die „Behandlung“ im Kreise der übrigen „Patienten“ trägt andere Früchte, als sich die Eltern erhofft haben. Basierend auf dem gefeierten autobiografischen Roman „Boy Erased“ von Garrard Conley erzählt das fein besetzte Drama (in Nebenrollen sind Xavier Dolan und Troye Sivan zu sehen) von den repressiven Lebensumständen von queeren Menschen im Bible Belt der USA – und der mutigen Selbstermächtigung eines jungen Mannes. Patrick Heidmann über einen Film, der in Trump-Amerika von bestürzender Aktualität ist.
You’re a Revelation
von Patrick Heidmann
Die Vorstellung, Homosexualität ließe sich durch Therapien „heilen“, klingt wie ein absurdes Relikt aus dem letzten Jahrhundert, ist aber in Wirklichkeit noch immer erschreckend weit verbreitet. Während das Thema hierzulande (wo solche „Reparativ“-Therapien nicht verboten sind) gerne mal ignoriert oder kleingehalten wird, kann davon in den USA keine Rede sein. Gerade vor ein paar Wochen erst beschloss der Bundesstaat New York als mittlerweile 15., dass sämtliche Angebote, Jugendliche mittels Therapie von ihrer Homo- oder Bisexualität zu „befreien“, illegal sind. Und auch auf der Leinwand ist die Sache präsent: Nach „The Miseducation of Cameron Post“ von Desiree Akhavan (der in Deutschland leider nach wie vor nicht zu sehen ist) widmet sich nun auch Joel Edgertons „Der verlorene Sohn“ der gemeinhin im religiösen Kontext verorteten Angelegenheit.
Aus einem streng christlichen Haushalt stammt auch Jared Eamons (Lucas Hedges). Die Mutter Nancy (Nicole Kidman) ist Hausfrau und schneidet hin und wieder Haare, der Vater Marshall (Russell Crowe) betreibt ein erfolgreiches Autohaus in der Provinz von Arkansas und ist Priester einer Baptistengemeinde. Für das Einzelking Jared ist das strenge, wenig emotionale Elternhaus nicht der ideale Ort, zu seiner sexuellen Identität zu finden, doch irgendwann führt daran kein Weg mehr vorbei. Nachdem er sich von seiner High-School-Freundin getrennt und mit dem Studium begonnen hat, verknallt er sich am College in seinen Kommilitonen Henry (Joe Alwyn), der ihn schließlich vergewaltigt. Als Henry ihn zu erpressen versucht und Jared bei seinen Eltern outet, ist die Stunde der Wahrheit gekommen. Und für die Eamons gibt es – in Absprache mit Kirchen-Autoritäten – nur eine Konsequenz: der Junge muss sich behandeln lassen, um die vermeintlich widernatürlichen Gefühle ein für alle mal loszuwerden.
Jared bekommt einen Therapieplatz in der christlichen Einrichtung „Love In Action“. Abends teilt er sich mit seiner Mutter ein Motelzimmer, wo er das Handbuch des Therapiezentrums durchackert; tagsüber versuchen Anstaltsleiter Victor Sykes (Joel Edgerton, der Regisseur des Films) und seine Therapeuten ihm einzutrichtern, dass Homosexualität nur das reversible Resultat elterlicher Fehler und schlechter Einflüsse ist. Die Laufzeit der Therapie ist offen, und wer nicht spurt oder zu wenig Fortschritte zeigt, muss vor Ort im Wohnheim unterkommen. Doch je länger Jared den Indoktrinierungsversuchen zuhört und je mehr er seine Leidensgenoss*innen beobachtet, desto klarer wird ihm die Sinnlosigkeit der Therapie – und das Bewusstsein über die eigene Identität. Hin- und hergerissen zwischen Mutterliebe und Ehrfurcht vor dem Glauben ihres Mannes, kommen auch Nancy allmählich Zweifel.
Das autobiografische Buch „Boy Erased“ von Garrard Conely, das in den USA im Jahr 2016 von der Presse gefeiert wurde und bei uns vergangenes Jahr im kleinen Secesssion Verlag erschien, diente als Vorlage für „Der verlorene Sohn“. Regisseur und Schauspieler Joel Edgerton änderte zwar die Namen der Beteiligten, arbeitete aber eng mit Conley zusammen. Zweifel daran, dass er als Heterosexueller womöglich nicht der Richtige sein könnte, um diese Geschichte auf die Leinwand zu bringen, hatte der Australier selbst, wie er im Interview erzählt. „Ich habe mir schon immer Gedanken über Repräsentation gemacht: Welches Recht haben wir in diesem Job, eine bestimme Person oder Sache darzustellen, gerade wenn es um Dinge wie Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht und sexuelle Identität geht. Ich weiß jedenfalls, wie wichtig es ist, seinesgleichen auf der Leinwand zu sehen, wie viel Wert auf Authentizität gelegt wird und wie emotional die Diskussionen darüber geführt werden“, sagt er nachdenklich – und liefert gleich eine Erklärung mit, warum er letztlich doch die Regie übernahm: „Gleichzeitig ist es auch schwer mitanzusehen, wenn eine tolle und wichtige Geschichte nicht erzählt wird. So wie die von Garrad, deren Filmrechte auch nach einem Jahr noch nicht verkauft waren. Also besser ich als niemand, dachte ich mir. Und warum soll ich meine Leidenschaft für dieses Thema nicht dazu nutzen, der LGBTQ-Community ein engagierter Verbündeter zu sein?“
In seinem Bemühen um Wahrhaftigkeit holte er Conley immer wieder als Berater beim Schreiben des Drehbuchs und später auch beim Schnitt des Films mit ins Boot. Und er setzte bei Crew und Cast auf queere Kollaborationen: Hauptdarsteller Lucas Hedges, der seit seinen Rollen in „Manchester by the Sea“ (2016) und „Lady Bird“ (2017) als einer der begehrtesten Nachwuchsschauspieler seiner Generation gilt, beschreibt sich selbst als „nicht-exklusiv heterosexuell“; Mit dem kanadischen Regie-Star Xavier Dolan und dem südafrikanischen Popsänger Troye Sivan (der gemeinsam mit Jónsi auch für den bezaubernden Filmsong „Revelation“ verantwortlich zeichnet) wurden zwei offen nicht-heterosexuelle Künstler in Nebenrollen besetzt und den Oscar-Preisträger*innen Russell Crowe und Nicole Kidman an die Seite gestellt, von denen vor allem letztere mit einer herzzerreißenden Performance glänzt.
Was „Der verlorene Sohn“ zum ganz großen Meisterwerk vielleicht fehlt, sind ein paar tiefere Einblicke in das Herz und den Kopf seines Protagonisten. Edgertons Drehbuch, aber auch Hedges’ Spiel, machen Jared zu einem ungemein verschlossenen, in sich zurückgezogenen jungen Mann, der mitunter eher ein Beobachter seines eigenen Lebens zu sein scheint. So genau und erschütternd Methoden und Alltag der Therapie-Einrichtung gezeigt werden, so wenig erfährt man – trotz einiger Rückblendungen – über Jareds Selbstfindung. Leiden und Selbstqual sind, den Umständen entsprechend, die vorherrschenden Emotionen, doch ein Moment der Leichtigkeit, irgendwo zwischen Hormonschüben und zaghaftem Experimentieren, hätte der Dramaturgie des Films nicht geschadet. Das ändert allerdings nichts daran, dass Edgerton und seinen Mitstreitern eine ernsthafte und zu Herzen gehende Auseinandersetzung mit einem leider nach wie vor hochaktuellen Thema gelungen ist. Man kann nur hoffen, dass sein Film dazu beitragen wird, Augen und Herzen zu öffnen.
Der verlorene Sohn
von Joel Edgerton
US 2018, 115 Minuten, FSK 12,
deutsche SF & englische OF mit deutschen UT,
Universal Pictures
Ab 21. Februar hier im Kino.