Angela Chadwick: XX – Was wäre wenn

Buch

Was wäre, wenn zwei Frauen ein leibliches Kind miteinander bekommen könnten? Mit dieser brisanten philosophischen und moralischen Frage setzt sich die englische Autorin Angela Chadwick in ihrem Debütroman auseinander. „XX – Was wäre wenn“ erzählt die Geschichte von Jules und Rosie, die ein Kind haben wollen. Als die zwei Frauen davon hören, dass es Forschern gelungen ist, eine weibliche Eizelle mit der DNA einer anderen Eizelle zu befruchten, ergreifen sie ihre Chance und lassen sich mit der neuen Methode befruchten. Doch mit Rosies Schwangerschaft gerät das Leben des Paars völlig aus den Fugen. Neben den gewöhnlichen Herausforderungen werdender Eltern stehen sie plötzlich im Zentrum einer weltweiten Diskussion um die Zukunft der Menschheit – denn bei der neuen Form der künstlichen Befruchtung können nur Mädchen gezeugt werden… Chadwick beschreibt ein interessantes Gedankenexperiment, findet unsere Autorin Tania Witte. Doch ihren Figuren mangelt es an Authentizität und emotionaler Tiefe.

Ja, was?

von Tania Witte

Eine Hypothese, die so hypothetisch nicht ist: Was wäre, wenn zwei Frauen gemeinsam ein Kind bekommen könnten? Die Jungfernzeugung, Parthenogenese genannt, ist im Tierreich gar nicht so unüblich. Schon in der Aufklärung hat der Schweizer Biologe und Philosoph Charles Bonne das Phänomen beschrieben, Anfang der 1990er forschte die deutsche Künstlerin und Autorin Marianne Wex zum Thema, und in Laborversuchen ist es bereits in den frühen 2000ern gelungen, zwei Eizellen zu verschmelzen. Dank Reagenzglas, natürlich, dank neuartiger Forschung und wissenschaftlichen Durchbrüchen, aber ganz ohne Sperma entstand ein Wurf bezaubernder Mäusebabys – allesamt weiblich.

In ihrem Debütroman „XX – Was wäre wenn“ geht Angela Chadwick einen kleinen Schritt weiter und überträgt diese In-Vitro-Methode, die sie Ovum-in-Ovo, also Ei-im-Ei, nennt, auf die Menschen. Ein ebenso brisantes wie philosophisches Gedankenexperiment, in das sie ihre beiden Hauptfiguren Jules und Rosie wirft.

Jules ist Mitte dreißig und hat seit einigen Jahren ihre Träume von der großen Karriere als Investigativjournalistin aufgegeben. Stattdessen dümpelt sie bei einem regionalen Boulevardblatt im englischen Portsmouth vor sich hin, leidet unter einem gleichermaßen sadistischen wie misogynen Chef und bekämpft ihren Frust mit exzessivem Sport. Ihre Energie zieht sie aus ihrer langjährigen Liebesbeziehung zu Rosie. Rosie ist vieles, was Jules an sich selbst vermisst: Sie ist fröhlich und sozial, arbeitet in einem örtlichen Buchladen und scheint überaus glücklich mit ihrem Leben und mit Jules. Wenn das mit den Kindern nicht wäre. Denn im Gegensatz zu Jules liebt Rosie Kinder, lebt für Kinder und bekommt dieses vielbeschriebene Leuchten, wenn sie Kinder sieht. Doch Adoption oder Samenspende schmettert Jules ab. Wenn schon Kinder, sagt sie, dann wolle sie sich auch in ihnen erkennen, die Frucht ihrer beider Liebe in ihnen sehen. (Eine Ausrede, denn eigentlich ist Rosie alles, was Jules will. Kinder? Nicht im Ansatz.) Patt.

 

Angela Chadwick – Foto: Steve Cannings

An dem Tag, an dem die Universität der Stadt lesbische Paare sucht, die sich mit der neuentwickelten Ovum-in-Ovo-Methode befruchten lassen möchten, verliert Jules ihre Argumente. Sie könnten ein Kind bekommen, das ihrer beider Gene trägt. Jules gibt nach – sie melden sich an. Kommen durch. Rosie wird schwanger.

Die Hölle bricht los, als die Öffentlichkeit davon erfährt. Die Medien lenken die öffentliche Debatte, schüren Hass, der vor allem auf der Angst beruht, dass der Mann als unerlässlicher Teil einer Zeugung überflüssig werden könne, aussterben könne gar, denn die Kinder, die mittels O-in-O gezeugt werden, sind genetisch bedingt logischerweise alle weiblich. Politiker verbreiten Panik, Menschen marschieren mit hellblauen „Rettet unsere Söhne“-Schleifchen, Hater, Trolle und Paparazzi machen Jules und Rosie das Leben unerträglich.

Es eskaliert, alles eskaliert, und mittendrin dreht Jules hohl, weil sie eigentlich nie Kinder wollte, sich schuldig fühlt und dabei Rosie zuliebe eine Rolle spielt, die ihr nicht passt. Wird alles gut? Nun… Auf jeden Fall wird es anders als erwartet, anders als geplant.

Angela Chadwick, selbst Journalistin und mittlerweile Leiterin der Presse- und Marketingabteilung an einer südenglischen Universität, hat mit einer ebenso simplen wie fantastischen Idee alles in der Hand, was einen guten Roman ausmacht – allem voran ein spannendes, kontroverses Thema, das Debatten auslösen kann. Letzteres gelingt vermutlich, aber darüber hinaus verliert sich das Buch in Klischees. In Klischees und in der Eindimensionalität der Charaktere, die die Autorin zeichnet.

Jules? Die verschlossene, tough wirkende, aber eigentlich komplett verunsicherte Ich-Erzählerin, deren Idee von Mütterlichkeit durch den frühen Verlust ihrer eigenen Mutter absolut verklärt ist. Der Mangel an erhaltener Mutterliebe wird als Grund für ihre eigenen Zweifel (Stichwort „Regretting Parenthood“ oder besser: „Regretting Pregnancy“) herangezogen und wenig hinterfragt. Alles an Jules ist Misstrauen und Verschlossenheit. Ihre Zweifel und das manische Festhalten an ihren Strategien werden derart überthematisiert, dass es enervierend ist.

Dann natürlich die naiv-lebensfrohe Rosie, die beschützt gehört, dabei Jules ständig ihre Liebe rückversichern muss, die leicht zu leben und dabei alles gehabt zu haben scheint, was Jules genommen wurde. Sie ist hübsch und feminin, hat Bilderbucheltern und wird deshalb auch eine Bilderbuchmutter werden. Eine Heilige, nun auch noch schwanger.

Jules Vater, ein kiffender, alkoholkranker Verräter mit gutem Herzen, der auf den letzten Seiten und im Nebensatz noch eben als Überlebender sexueller Gewalt geoutet wird, was alles erklären soll.

Und last not least: Den besten, aber Liebesbeziehungen gegenüber grundsätzlich unverantwortlich handelnden Freund gibt es gleich zweimal – der von Jules heißt Tom, der von Rosie Anthony.

Und dann… der Hass. Vor der Haustür platzierte Hundehaufen, aufgestochene Reifen, Safe Houses, Vergewaltigungsdrohungen, abgefackelte Häuser – das volle, das erschreckende Programm. Und doch… Es fließt vorbei.

Gerade, dass Chadwick sich bemüht, alle Aspekte von allen Seiten zu beleuchten, macht das Buch hölzern und die angelegten Konflikte trotz ihrer potentiellen Tiefe redundant, was schade ist. Denn die Idee hat viel Potential, und dennoch liest man mit dem Kopf und nicht mit dem Herz. Vermutlich, weil die Figuren selbst nicht fühlen, sondern nur vorgeben, es zu tun.

Aber abgesehen von der literarischen Umsetzung – egal wie wichtig das Thema ist, aus politischer, feministischer, lesbischer, naturwissenschaftlicher, queerer, gesellschaftlicher Sicht: Spätestens mit dem moralisierenden Happy-happy-End, das halbherzig verpackt ist und für jeden Verrat eine Erklärung, für jede Angst eine Lösung und für jedes Problem ein Pflaster reicht, verbaut sich „XX – Was wäre wenn“ die Chance, wirklich zu berühren.




XX – Was wäre wenn
von Angela Chadwick
aus dem Englischen von Andrea Fischer

Hardcover, 336 Seiten, 20 €,
Atrium Verlag

 

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