Der Prinz und der Dybbuk: Interview mit Elwira Niewiera und Piotr Rosołowski

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Elwira Niewiera und Piotr Rosołowski haben mit „Der Prinz und der Dybbuk“ einen vielbeachteten Dokumentarfilm über den mysteriösen Regisseur und Produzenten Michał Waszyński gedreht. Dessen aufsehenerregendes Leben scheint wie aus Puzzleteilen zusammengesetzt, die nicht zusammenpassen wollen. Für ihr Porträt sind die Filmemacher*innen u.a. ins ukrainische Kowel gereist, wo Waszyński 1904 als Moshe Waks und Sohn eines armen Schmiedes geboren wurde, und nach Rom, wo er 1965 als polnischer Prinz starb. Sabrina Pohlmann hat sich mit Niewiera und Rosołowski über deren abenteuerliche Spurensuche unterhalten, über Waszyńskis Film „Der Dybbuk“ (1937), der heute als ein Schlüsselwerk des Jiddischen Kinos gilt, und darüber, was das typisch polnische Geheimnis in Waszyńskis Geschichte ist.

Michał Waszyński (r.) neben James Mason und Sophia Loren

Der Unbekannte aus Kowel

Interview: Sabrina Pohlmann

Kann man den Menschen Michał Waszyński durch sein Werk erklären?

Piotr Rosołowski: Wir haben schnell gesehen, dass es kaum Archivmaterial gibt. Fast alle Zeitzeugen waren schon tot. Das hat uns gezwungen, in den Filmen nach der Persönlichkeit zu suchen.

Elwira Niewiera: Jeder zweite oder dritte von Waszyńskis Filmen vor dem Krieg handelte von einem Identitätswechsel. Es ist klar, dass ihn das Thema bewegte. Der Schlüssel war für uns eindeutig sein Film „Der Dybbuk“ von 1937.

Warum?

Niewiera: Der Film hat autobiografische Züge. Er spielt in der mystischen Atmosphäre eines Schtetl der Vorkriegsjahre und handelt von einer unerfüllten Liebe, die an diesem Ort und zu dieser Zeit nicht ausgelebt werden konnte. In einem jüdischen Schtetl war es Michał Waszyński nicht möglich, schwul zu sein. Künstlerisch gesehen ist dieser Film das Beste, was er je gemacht hat. Das weist darauf hin, dass ihm daran am meisten lag.

Rosołowski: „Der Dybbuk“ ist sein einziger Film, in dem das Judentum vorkommt. Waszyński hat das davor und danach nie wieder berührt. Dieser Film war seine Obsession, Jahre später hat er noch nach der Kopie gesucht. Dieser Film war für Waszyński ein ganz besonderes Werk gewesen. Es gibt aber noch einen Film, der autobiografische Elemente hat: „Der Unbekannte aus San Marino“. Die Hauptperson darin ist wie Waszyński ein Mann, der nach dem Krieg in Italien sein Leben neu anfängt und von der Vergangenheit eingeholt wird.

Niewiera: Die Filme waren ein Ventil für ihn, eine Art Therapie.

Elwira Niewiera – Foto: Edition Salzgeber

Wie groß war die Versuchung, einen eindeutigen und linearen Film zu machen?

Niewiera: Wir mögen keine konventionellen Biografien. Außerdem besteht Michał Waszyńskis Leben tatsächlich nur aus Puzzleteilen, die nicht zusammenpassen und sich gegenseitig ausschließen. Es gibt falsche Spuren und widersprüchliche Versionen der Ereignisse. Es war uns wichtig, auch die Form des Films daran anzupassen. Wir wollten dem Publikum Raum geben, selbst aktiv zu werden.

Rosołowski: Wir werden oft gefragt, wie es wirklich war, doch es war uns nicht möglich, alle Geheimnisse lüften.

Was haben Sie selbst bei den Recherchen zu Michał Waszyński über Identität gelernt?

Rosołowski: Es gibt die Versuche des politischen Mainstreams, Polen zu einem monoethnischen Land zu machen. Das ist es aber nicht, denn Polen war vor dem Zweiten Weltkrieg multinational. In jeder Familie gibt es eine Geschichte wie die von Waszyński, die das typische polnische Geheimnis birgt. Bei mir ist das meine Großmutter. Sie war vermutlich Jüdin, die konvertiert ist. Darüber will aber niemand sprechen, stattdessen heißt es immer: „Wir sind alle Polen, wir sind alle katholisch, wir sind alle gleich.“

Niewiera: Ich habe durch Zufall mit 18 erfahren, dass ich deutsche Wurzeln habe. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man das in der Familie lieber verschwiegen und war polnischer als die Polen selbst.

Piotr Rosołowski – Foto: Edition Salzgeber

Und wie sieht das mit der jetzigen politischen Lage in Polen aus?

Niewiera: Der Film gewinnt in diesen Zeiten an Aktualität. Er erzählt von einer Realität, die es vielen nicht erlaubt, man selbst zu sein – wegen Abstammung, Hautfarbe, Religion oder sexueller Ausrichtung. In Polen sind in den letzten Jahren die Geister der Intoleranz erwacht. Die Politik stürzt sich auf nationale Begriffe und es zeigt sich, dass der Antisemitismus tief in uns steckt. Am polnischen Unabhängigkeitstag sind 60.000 Faschisten und Nationalisten mit Fackeln durch Warschau marschiert. Indem die Regierung nicht reagiert hat, hat sie dem zugestimmt. Die Regierung hat außerdem ein Gesetz verabschiedet, das Menschen straft, die sagen, dass Polen Mittäter beim Holocaust war.

Rosołowski: Jeder Journalist überlegt sich jetzt mehrmals, ob er das Thema überhaupt anfasst.

Niewiera: Das ist Geschichtsfälschung.

Wirkt sich das Ihrer Meinung nach auch auf Filme aus, die zur Zeit produziert werden?

Rosolowski: Man sucht jetzt nach klassischen Figuren mit klassischen Biografien: ein Patriot, der sein Leben geopfert hat. Sehr langweilig! (lacht) Unser Protagonist passt nicht zu dieser Rhetorik.

Niewiera: Der Nationalismus zieht Kreise durch alle Bereiche, auch im Film. Es werden Filme über polnische Helden erwartet. Die Filmlandschaft wird darunter leiden. Die Ergebnisse sehen wir dann in ein paar Jahren. Unser Film wurde finanziert, bevor die PiS-Regierung (Prawo i Sprawiedliwość, kurz PiS, deutsch: Recht und Gerechtigkeit, Anm. d. Interviewerin) an die Macht kam. Fraglich ist, ob ein Film über einen Homosexuellen und Juden heute überhaupt finanziert würde.

Rosołowski: Definitiv nicht

Wie ist „Der Prinz und der Dybbuk“ beim polnischen Publikum angekommen?

Niewiera: Für die meisten war es eine Entdeckung. Als der Film im Mai vergangenen Jahres in die Kinos kam, war das ein großes mediales Ereignis. Wir hatten außerdem gerade in Tel-Aviv die Israelpremiere. Da war es sehr emotional.

Rosołowski: In Israel haben viele ältere Leute gesagt, dass diese Geschichten, in denen man Namen, Religionen und Orte wechselt, ihre Geschichten sind. Viele Juden haben ähnliche Schicksale. Diese Menschen finden Waszyńskis Geschichte genau so außergewöhnlich wie das polnische Publikum. Michal Waszýnski war eine der großen tragischen Figuren des 20. Jahrhunderts .

Niewiera: Nach der Weltpremiere beim Filmfest in Venedig kamen immer wieder Menschen auf uns zu, die sagten: „Das ist ein Film über mich. Ich habe auch schon meine dritte Identität angenommen. Ich suche immer noch nach einem Ort, zu dem ich mich zugehörig fühle.“ Oder sie sagten: „Ich spreche alle Sprachen, die in eurem Film vorgekommen sind.“

War das Tagebuch von Michał Waszyński, das im Film auf dem Off erklingt, tatsächlich auf Jiddisch verfasst oder ist das ein Kunstgriff?

Niewiera: Beides. Waszyński hat diese Einträge auf Jiddisch, Polnisch, Russisch und Italienisch in sein Notizbuch geschrieben. Sie sind zum Ende seines Lebens, zwischen 1962 und 1964, entstanden. Zwischen seinen zahlreichen Terminen schrieb er kleine Gedanken, fast Gedichte nieder.

Wie seid ihr an das Notizbuch gekommen?

Niewiera: Das Notizbuch gehörte einem seiner Liebhaber, einem amerikanischen Setdesigner. Nach dessen Tod hat es dessen Sekretärin geerbt. Bis heute gibt es vor Gericht Rangeleien um den Nachlass von Waszyński.

Vor dem Krieg war Michał Waszyński in Polen sehr bekannt.

Niewiera: Nach dem Krieg hat man sich dann aber vom Vorkriegskino distanziert und tat es als zu kommerziell ab. Ausserdem arbeiteten in der Filmindustrie von damals viele Juden.

Rosołowski: Aber es stimmt: In den 1930er Jahren war Michał Waszyński ein Superstar.

Niewiera: Ein polnischer Superstar.


sissy-Besprechung zu „Der Prinz und der Dybbuk“: „Das flüchtige Ich“ von Lukas Foerster




Der Prinz und der Dybbuk
von Elwira Niewiera & Piotr Rosołowski
PO/DE 2017, 82 Minuten, FSK 0,
OF mit deutschen UT,

Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

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