Christopher Isherwood: Das Denkmal
Buch
Christopher Isherwood (1904-1986) ist ein Autor mit vielen Themen und Gesichtern. Deutschen Leser*innen ist der englische Schriftsteller, der ab 1929 in Berlin lebte, wohl vor allem durch die Verfilmung seiner Romane „Mr. Norris steigt um“ (1935) und „Leb wohl, Berlin“ (1939) bekannt: Das Musical „Cabaret“ (1972) von Bob Fosse erzählt vom freiheitlichen Leben der jungen amerikanischen Schauspielerin und Nachtclubsängerin Sally Bowles (Liza Minnelli) und ihrer Freunde aus der Berliner Bohème kurz vor der Machtergreifung der Nazis. 1934 kehrte Isherwood nach London zurück. 1939 emigrierte er in die USA, wo er bis zu seinem Tod lebte. Sein Aufbegehren gegen das amerikanische Spießertum und den Alptraum der Suburbia schildert sein auch hierzulande populärer Roman „Der Einzelgänger“ (1964), den Tom Ford in seiner Verfilmung „A Single Man“ (2009) mit großem Stilwillen gegen den Strich bürstete. In seinem Roman „Das Denkmal“ (1932), der jetzt erstmals in deutscher Übersetzung erschienen ist, verarbeitet der damals 28-Jährige Isherwood seine ersten Gehversuche in Berlin. Und er schreibt über die Traumatisierungen, die der Erste Weltkrieg in seiner Generation angerichtet hat. Tilman Krause über ein Jugendwerk mit viel Charme und großer Ernsthaftigkeit.
Nach dem großen Krieg
von Tilman Krause
Irgendwie komisch, dass dieser Roman in Berlin entstanden sein soll. Aber so war es. Als er 1932 erschien, war Christopher Isherwood gerade von seiner ersten Bleibe in Kreuzberg mitten mang in die schwule Szene rund um den Nollendorfplatz gezogen. Das legendäre Eldorado befand sich um die Ecke, die feinere Silhouette war nicht weit, und auch all die anderen 62 schwulen Etablissements, die es damals angeblich in der Reichshauptstadt gab, konnte der englische Schriftsteller, der „for the boys“ nach Berlin gekommen war, mit der U-Bahn gut erreichen.
Er hatte sich nun bei dem berühmten Fräulein Schröder in der Nollendorfstraße einquartiert, die wir alle aus dem Musical „Cabaret“ kennen. Er hatte Sally Bowles als Nachbarin, und er hatte seinen definitiven Ort inmitten des Berliner Lebens gefunden: in jenem Haus in der Nollendorfstraße 17, an dem seit seinem Tod 1986 eine Gedenktafel hängt. Hier wohnte Christopher Isherwood, bis er vor den Nazis kapitulierte. 1934 ging er zurück nach London, um sich dann bei Kriegsausbruch in die Vereinigten Staaten einzuschiffen, wo er die restlichen 45 Jahre seines Lebens verbrachte.
Ja, und nun also der Roman „Das Denkmal“. Erstmals ins Deutsche übersetzt. Zwei Szenen spielen tatsächlich in Berlin. Aber zum überwiegenden Teil kommt das Buch so englisch daher, wie es nur geht. Es spricht von einer tiefen Prägung durch die Sitten, Wertehaltungen, Lebensformen der englischen Oberschicht. Und es spricht so davon, dass man die starke Ambivalenz des damals 28-jährigen Verfassers im Verhältnis zu seinem Herkunftsland nahezu in jeder Zeile spürt.
Der Roman ist beileibe keine Abrechnung mit dem „alten England“, wie der Verlag das Buch „nach vorne verkauft“, wie man heute so hässlich sagt (Abrechnung kommt in Zeiten von hate speech natürlich immer gut). Die Grundstimmung ist vielmehr leise Melancholie, gespeist aus dem Wissen, dass es in der Heimat so nicht weitergehen kann, so rückwärtsgewandt, was die Älteren, so orientierungslos, was die Jungen angeht in diesem Land, das sich in einer schweren Transformationskrise befindet. Durch und durch traumatisiert durch jenen Ersten Weltkrieg, der bei uns trotz der vielen Anstrengungen der letzten Jahre immer noch weitgehend von der Erinnerung an Nazizeit, Holocaust und Zweiten Weltkrieg überlagert wird.
Nicht so in England oder Frankreich. La grande guerre, the great war, das meint ein fürchterliches Kampfgeschehen, das sich für diese beiden Völker ganz überwiegend in Nordfrankreich abgespielt hat. Und zwar vier quälende Jahre lang, in denen immer wieder Hunderttausende fallen mussten, damit die Frontlinie ein paar Meter verschoben werden konnte, um dann doch bei der nächsten Offensive wieder zurückzuweichen. Das Massensterben einer ganzen Generation in diesem absurden „Stellungskrieg“ dunkelt hier das Geschehen ein. Es gibt dem Buch auch den Titel, denn bei dem „Denkmal“ handelt es sich natürlich um ein Kriegerehrenmal, dessen Einweihung das zentrale Ereignis des Romans darstellt, das alle Protagonisten zusammenführt. Und der Krieg ist schließlich auch die Folie, vor der sich die vielen Verwirrungen der Gefühle abspielen, die hier geschildert werden.
Gefühle, die vor allem das Liebes- und Beziehungsleben betreffen, wie sich versteht. Denn da sind die Frauen der mittleren Generation, deren Männer fielen und die jetzt nur noch die Kraft zu Freundschaften haben. Und da sind die jungen Männer, Söhne dieser Gefallenen und deren unglücklicher Frauen. Isherwood zeichnet diese jungen Männer als aus der Bahn Geworfene. Schmerzlich damit beschäftigt, ihre sexuelle Identität zu finden. Dabei vibriert das Buch von unterschwelliger Homosexualität. Die beiden jungmännlichen Hauptfiguren, der von Selbstzweifeln geplagte, sich verzweifelt in seine akademisch Karriere verbeißende Eric und sein hübscher Cousin Maurice, auch Student in Cambridge, aber dort nur als Hallodri unterwegs, der mit seinen gewagten Streichen einen Verweis nach dem anderen provoziert – sie wollen beide immerhin nicht heiraten. Aber obwohl jeder von ihnen magisch vom anderen angezogen zu sein scheint, gönnt ihnen der Erzähler kein Coming-out, keine Erfüllung ihrer mühsam unterdrückten Liebe.
Wer hingegen klar seine Homosexualität auslebt (und das natürlich in Berlin), ist der Veteran Edgar, ein Fliegerheld, der eng mit Erics Vater befreundet war. Zum role model scheint aber auch er für die beiden Cousins nicht recht zu taugen: Sein Hang zu jugendlichen Nichtsnutzen wirkt eher gouvernantenhaft – zumindest auf seine Lebensfreundin Margaret, eine Malerin, die letztlich als Bezugsperson für ihn obsiegt: eine weitere Kompromissliaison in dem Roman.
Das alles wird erstaunlich souverän erzählt von dem jungen Isherwood, der hiermit schon sein zweites Werk vorlegt. Der Ton ist, wie gesagt, melancholisch, aber auch von englischem Understatement, sachlich, kühl. Dann aber haut der Erzähler immer mal wieder Sätze wie die folgenden raus: „Aber Tommy war ohne Arglist. Er lag einfach auf dem Boden und wartete darauf, dass man ihn mit Füßen trat.“ Solche Irritationen gehören zum Stil, der viel Kunstfertigkeit darauf verwendet, sich wie ein wie kamerageneriertes Close-up auf allerhand Szenen zu richten, die sich als Sittenbilder aus dem Leben an der Uni, auf englischen Landsitzen, in Londoner Künstlerkreisen geben, hinter denen die psychologischen Konflikte, um die es ja eigentlich geht, nahezu verschwinden. Doch dann kommt ein Satz wie der zitierte, und dem Leser teilt sich in einer Art Flash mit, wie nun gerade der Stand in Sachen Erotik ist.
Das verlangt dem Leser einiges an Konzentration ab. „Das Denkmal“ kommt kompositionell raffinierter daher als das bei uns hauptsächlich bekannte „Leb wohl, Berlin“. Noch ist der Einfluss von E.M. Forster, Virginia Woolf oder Evelyn Waugh spürbar. Mit „Das Denkmal“ hat Isherwood sich gewissermaßen auf eine sehr englische Weise von England freigeschrieben. Mit seinem nächsten Buch, dem 1934 erscheinenden Roman „Mr. Norris steigt um“, wird er dann ganz er selbst – und ein Berliner.
Das Denkmal
von Christopher Isherwood
aus dem Englischen von Georg Deggerich
Gebunden, 272 Seiten, 22 €,
Hoffmann und Campe