Adonis: Interview mit Scud

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In seiner Heimat Hongkong gilt der Produzent, Drehbuchautor und Regisseur Scud als Entfant terrible, der mit jedem neuen Film zuverlässig für Aufsehen sorgt. Der 1967 als Danny Cheng Wan-Cheung geborene Filmemacher zelebriert in seinem Werk ausgiebig den nackten, wohlgebauten Männerkörper und beschäftigt sich dabei mit kontroversen Themen wie Drogenkonsum, Homosexualität und Sexarbeit, aber auch mit Spiritualität. Zum deutschen DVD-Start seines neuen Films „Adonis“ hat sich Axel Schock mit Scud über dessen filmische Vorbilder, die Obsession für nackte Männer und unterschiedliche Fan-Erwartungen unterhalten.

Foto: Edition Salzgeber

So viel Schönheit zeigen, wie möglich

Interview: Axel Schock

Es gibt in Ihren Filmen immer wiederkehrende Themen und Motive: Drogen, Depression,  der Mangel an persönlichem Glück. Und nicht zu vergessen Sex, immer wieder ganz direkt, manchmal auch überaus explizit. „Adonis“ ist da keine Ausnahme. Beschreibt diese Kombination Ihre Erfahrung von schwulem Leben?

Es trifft zumindest auf jene Lebensgeschichten zu, die ich mitbekommen habe und die ich für so spannend erachte, dass ich sie in einem Film erzählen möchte. Ich bin mir nicht sicher, ob schwule Männer tatsächlich mehr leiden als heterosexuelle, aber sie haben es in Asien ganz bestimmt schwerer als in anderen Regionen der Welt. Es gibt, um es mal so zu formulieren, mehr Selbstmorde. Ich sehe zudem keinen Vorzug darin, Filme mit Happy End zu machen, es sei denn aus kommerziellen Gründen.

Ihre Filme geben also einen realistischen Eindruck davon, wie es ist, als schwuler Mann in Hongkong zu leben?

Ich habe beispielsweise beim Casting, aber auch von Bekannten schon so viele Geschichten von Leuten gehört, die sich das Leben genommen und darüber nachgedacht haben. Mich hat das traurig gemacht, aber ich habe den Eindruck, dass sich die Situation in den letzten Jahren doch etwas verbessert hat. Das mag vielleicht am positiven Einfluss von Taiwan liegen: Es ist das erste asiatische Land, das die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert und dadurch viele Hoffnungen geweckt hat.

Scud – Foto: Edition Salzgeber

Im Originaltitel des Films, „Thirty Years of Adonis“, wird explizit das Alter der Titelfigur genannt. Stellt das 30. Lebensjahr Ihrer Ansicht nach eine besondere Zäsur in der Biografie eines Schwulen dar?

Ich denke schon, und zwar für jeden Mann, nicht nur für den schwulen. Zumindest war es für mich so. Mit 30 sollte man reif genug sein, um mitten im Leben zu stehen und zu wissen, wohin die Reise gehen soll. Auch in „Permanent Residence“ (2009) habe ich das ausführlich zum Thema gemacht

Adonis möchte eine Filmkarriere starten, doch in der Endfassung seines Debüts sieht man ihn zu seiner großen Enttäuschung nur eine halbe Stunde lang nackt. Fans Ihrer Filme werden diese Szenen erkennen: Sie stammen aus Ihrem Film „Utopians“ (2015).

Ich kann dir versichern: Meine Fans lieben solche Gags. Wer die alten Filme noch nicht kennt, dem entgehen sie selbstverständlich.

Foto: Edition Salzgeber

Adonis erscheint über weite Strecken im Film nicht nur als Objekt der Begierde, sondern auch als fügsamer junger Mann ohne eigenen Willen. Ein Mensch, der ausschließlich über  seinen Körper definiert wird – und der ihm letztlich zu seinem Verhängnis wird.

Es ist eine traurige Geschichte über das Leben einer Seele, die so willens ist zu geben, dass dies nur mit einem vorzeitigen Tod zurückbezahlt werden kann. Wie ein Filmdrama von 100 Minuten, das man auf 30 kürzt.

Eine der eindrucksvollsten Szenen in „Adonis“ ist sicherlich die Gruppenvergewaltigung, bei der Adonis auf ein liegendes Kreuz gefesselt ist. Dass diese Szene an Pier Paolo Pasolinis „Die 120 Tage von Sodom“ (1975) und Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“ (1999) erinnert, ist sicherlich kein Zufall …

Von Kubricks Film ist mir nicht viel in Erinnerung geblieben. „Die 120 Tage von Sodom“ hingegen hat mich enorm schockiert und gleichermaßen beeindruckt. Die Ähnlichkeiten sind ein Zufall, denn ich hasse es, mit meiner Arbeit etwas zu wiederholen, das es bereits gibt. Als Anhänger Pasolinis glaube ich an dessen Credo: „Kunst bedeutet, etwas zu erschaffen“.  Aber es lässt sich nicht immer vermeiden, dass man die Ideen und Bilder anderer aufgreift, insbesondere wenn sie schon so lange und so tief in deinem Unterbewusstsein eingepflanzt sind.

Foto: Edition Salzgeber

In einem klassischen SM-Kontext würde man ein Andreaskreuz erwarten, Sie haben für Vergewaltigungsszene aber das christliche Kreuz gewählt.

Ha, Sie haben mich erwischt! Das gleiche Kreuz habe ich auch in meinem Film „Utopians“ (2011) verwendet, in dem ich mich aus einer noch pointierteren Perspektive mit Religionen auseinandergesetzt habe. In “Adonis” sind die religiösen Bilder und spirituellen Symbole nicht wirklich von großer Bedeutung, abgesehen von der Beschäftigung mit dem tibetanischen Buddhismus.  Interessanterweise ist der Film in Singapur nun wegen „religiöser Vorurteile“ verboten worden, und nicht wie andere meiner Arbeiten früher wegen erotischer Inhalte und Nacktszenen.  Der Zensor hat uns das sogar ganz offen so gesagt.

Insbesondere europäische Zuschauer werden vom drastischen Ende des Films überrascht, vielleicht sogar etwas überfordert sein. Dabei spiegelt sich in ihm eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Lehre des Buddhismus.

Bevor ich mit dem Drehbuch zu „Adonis“ begonnen habe, bin ich für einige Wochen zu einem berühmten Meister nach Bhutan in Klausur gegangen. Den fertigen Film habe ich als erstes seinem wichtigsten Apostel vorgeführt. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit europäische Zuschauer den tibetanischen Buddhismus verstehen. Dies ist zumindest die genaueste Analyse davon, die ich bieten kann – und die auch ohne Vorbehalt von den Geistlichen akzeptiert wurde.

Foto: Edition Salzgeber

Welche Regisseure haben Sie beeinflusst? Waren es eher asiatische als europäische oder amerikanische? Mehr schwule als heterosexuelle?

Pier Paolo Pasolini, Peter Greenaway, Pedro Almodóvar, Nagisa Ōshima, Akira Kurosawa. Sind sie schwul? Sagen Sie es mir.

Lassen Sie uns über die Nacktheit in Ihren Filmen sprechen. Es gibt, abgesehen von Pornoregisseuren, wahrscheinlich keinen anderen Filmemacher, der seine Darsteller so ausgiebig völlig unbekleidet zeigt. Ist das auch eine ganz private Obsession von Ihnen?

Ich nehme das als Kompliment. Meine Obsession ist, keine Besessenheit für Kleidung zu haben. Ich gestehe, dass mich Mode einfach nicht interessiert. Für mich sind schöne Menschen ohne Kleidung einfach aufsehenerregender, und das gilt gleichermaßen für Filmszenen mit ihnen. Wenn wir sagen: „Lass uns ein Foto machen“, heißt das in meiner Philosophie, dass dazu die Kleidung abgelegt werden sollte, weil die für mich nicht von Interesse ist.

Foto: Editon Salzgeber

Wie muss ich mir ein Casting für einen Scud-Film vorstellen?

Schauspieler haben normalerweise große Angst davor, sich vor der Kamera nackt zu zeigen. Die meisten, die zu den Castings kommen, haben so etwas noch nie zuvor gemacht. Viele erzählten mir später, dass diese Erfahrung, sich vor der Kamera auszuziehen, ihren Blick auf sich selbst und die Welt völlig verändert hat.

Der nackte männliche Körper ist in Ihren Filmen immer gleichbedeutend mit dem perfekten Körper. Ihr Protagonist heißt Adonis. Geht es also darum, die absolute Schönheit, eine idealisierte, perfekte Form, zu zeigen?

Diese Einschätzung trifft es ganz gut, und eben deshalb beharre ich darauf, nur die schönsten Männer für meine Filme zu haben. Ich werde in meinem Leben nur eine begrenzte Zahl an Filmen machen können. In denen möchte ich aber so viel Schönheit zeigen wie nur möglich. Wäre „Romeo und Julia“ ein Klassiker geworden, wenn die Hauptfiguren ein ganz gewöhnlich aussehendes Paar wären?

Wie kam es zur Besetzung von Eric East für den Film? War entscheidend, dass er ein etablierter Pornodarsteller ist, weil bestimmte Szenen nur jemand drehen konnte, der es gewohnt ist, Sex vor der Kamera zu haben?

Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber ich hatte ihn zuvor gar nicht gekannt, auch seine Filme nicht. Er war mir von Peter Le [einem US-amerikanischen Pornodarsteller und produzenten mit vietnamesischen Wurzeln, Anm. des Autors] empfohlen worden. Ich hatte mir eigentlich Peter für diese Rolle gewünscht, aber er hatte keine Zeit. Die Szene ist deshalb tatsächlich auch nicht ganz so lustvoll geworden, wie ich mir das ursprünglich vorgestellt hatte. Eric habe ich vor allem wegen seines Gesichts gecastet, das einfach betörend ist und das man nie wieder vergisst. Er ist für diese Figur, die immer wieder nur sehr kurz auftaucht, perfekt. Ich glaube, er hat sich bis zum Ende des Drehs gefragt, ob ich völlig verrückt bin.

Haben Sie aufgrund der vielen expliziten (schwulen) Nackt- und Sexszenen Schwierigkeiten, die Filme zu finanzieren bzw. sie international zu vertreiben, insbesondere in asiatischen Ländern?

Auf die Finanzierung hat das keine Auswirkung, da ich meine Filme alle selbst produziere. Meine Distributoren schreien hingegen um Hilfe, weil so selbst in einigen „liberalen“ Ländern weder Fernsehausstrahlungen noch Kinostarts möglich sind. Es wird sie aber vielleicht überraschen, dass „Adonis“ in Taiwan tatsächlich ungekürzt gezeigt werden kann und der Film in Thailand landesweit in über 30 Kinos gestartet ist.

Foto: Edition Salzgeber

Haben Sie eigentlich schon mal darüber nachgedacht, einen richtigen Pornofilm zu drehen?

Die Kosten dafür sind natürlich niedriger, aber auch die Drehzeit ist wesentlich kürzer. Tatsächlich nehmen mich viele jetzt schon als Pornoregisseur wahr. Einige von denen sind aber einfach völlig verbohrt. Die sagen mir dann, dass sie meine Filme ganz romantisch fänden, weil sie dabei weinen müssten, was ihnen bei keinen anderen „Pornos“ passiere.

Ihre Filme laufen rund um die Welt auf Festivals und in den Kinos. Gibt es für Sie auffällige Unterschiede in der Rezeption?

Ganz gleich, wohin ich gehe: Die Reaktionen sind nicht vorhersehbar. Sie sind für mich immer eine Überraschung – und ein Ansporn.




Adonis
von Scud
CN/HK 2017, 97 Minuten,
kantonesische OF mit deutschen UT,

Edition Salzgeber

Erhältlich im gut sortierten Fachhandel

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