Jane Ward: Nicht schwul

Buch

Wer kennt das nicht: Nach einigen Bieren werden heterosexuelle Männer plötzlich untereinander zutraulich, was von schwuler Seite gern mit der Bemerkung quittiert wird, darin komme das Ausmaß verkappter, uneingestandener Homosexualität zum Ausdruck. Die lesbische amerikanische Soziologin Jane Ward sieht das anders: Ihrer Meinung nach haben schwule Männer den mann-männlichen Sex nicht gepachtet, zumindest sei er aus der amerikanischen weißen Heteromännlichkeit nicht wegzudenken. Ist Sex vielleicht gar nicht das entscheidende Kriterium, um Homos von Heteros zu unterscheiden? Entdecken Heteros das wilde Sexualleben, während Queers heiraten und Kinder adoptieren wollen? Peter Rehberg, der als Kulturwissenschaftler und Autor selbst zu queerer Männlichkeit forscht und veröffentlicht (wie etwa jüngst zum Thema „Hipster Porn“), hat Wards kontroverses Buch für uns gelesen.

Heteros als queere Helden?

von Peter Rehberg

Das Argument, dass Heterosexualität auf Homosexualität angewiesen ist, ist nicht neu: Erst in der Positionierung und Abgrenzung gegenüber einer fixierten Homosexualität kann sich Heterosexualität etablieren und absichern. Das gilt zumal für das Verhältnis von homosexueller und heterosexueller Männlichkeit. Deshalb bleibt in patriarchalen Gesellschaften auch der Schwule ein größerer Skandal als die Lesbe. Während das „Aufgeben“ der Privilegien von Heteromännern, sozusagen eine freiwillige „Abwertung“, mindestens Kopfschütteln und oft Panik auslöst, werden Lesben im heterosexuellen Männerblick zu einer Variation heterosexuell-männlicher Fantasien, oder sie verschwinden gleich im Reich der Unsichtbarkeit. Eine ernstzunehmende, eigenständige Sexualität wird ihnen in jedem Fall abgesprochen.

Die erst seit dem 19. Jahrhundert wirksame Unterscheidung von hetero- und homosexueller Identität kommt bei Männern also auf rigidere Weise zur Anwendung. Nicht nur mussten lesbische Frauen meistens mit weniger Sanktionen rechnen als schwule Männer, Frauen insgesamt wird auch eine fluidere Sexualität zugestanden. So gehören junge Frauen, die sich küssen, zum festen Repertoire US-amerikanischer College- und Popkultur (Katy Perry: „I kissed a Girl“).

Jane Wards überraschende und originelle Untersuchung „Nicht Schwul“ geht von der These aus, dass die Sexualität junger Männer nicht weniger fluide ist als die von Frauen. Ihre auf den US-Kontext bezogene Analyse wirft den Blick wiederum auf das Verhalten 20-jähriger Männer im College. Zu den Ritualen, denen die Freshmen, also die Erstsemester, in den Studentenwohnheimen ausgesetzt sind, gehört der sogenannte „Elefantengang“: Die jungen Männer werden von ihren älteren Kommilitonen dazu gezwungen sich auszuziehen, hintereinander im Kreis aufzustellen und dann den Zeigefinger – „ihren Rüssel“ – in den Hintern des Vordermannes zu stecken. Vor einem johlenden Männer-Publikum drehen sie so ineinander verkettet ihre Runden. Das Ganze endet in einer mehr oder weniger simulierten Orgie, bei der sich die Jungs gegenseitig „besteigen“, ohne dass es zur Penetration kommt. Schwuler Analsex wird hier eher simuliert als praktiziert.

Jane Ward – Foto: Kat Ross

Was geht da ab? Eine klassische Interpretation von Sex zwischen Männern, die sich nicht als schwul verstehen, geht davon aus, dass in Umgebungen, in denen keine Frauen zur Verfügung stehen, auf den Kumpel, mit dem man sich das Zimmer teilt, zurückgegriffen wird: Beim Militär, im Gefängnis oder im Internat. Schwuler Sex wäre hier also nicht ganz freiwillig, sondern einfach die bessere Alternative zum Wichsen alleine. Bei den Beispielen, die Jane Ward sich anguckt, handelt es sich aber nicht um Notsituationen. Gerade das College ist ja auch ein Ort, an dem junge Frauen und Männer zusammenleben. Welche Rolle spielt hier also diese Form von „Homosexualität“?

Ein anderes Beispiel ist die Motorrad-Gang der Hells Angels, die ein rebellisches Landstreichertum kultiviert haben. Zu ihrem exaltiertem Macho-Gehabe gehört auch der demonstrative Zungenkuss zwischen zwei Männern, wie der Schriftsteller und Journalist Hunter S. Thompson beobachtet hatte, als er eine große Reportage über die Hells Angels schrieb. Während die Hells Angels schwule Gesten als Ausdruck rauer Männlichkeit in Anspruch nehmen, scheinen sie bei den College Kids zunächst eher den Charakter einer Mutprobe zu haben, nach dem Motto: Wenn man so etwas „Ekliges“ wie „schwulen Sex“ erträgt, hat man sich schließlich auch die Aufnahme in den Männerbund verdient. Erst durch schwulen Sex wird man hier zu einem „richtigen Mann“.

In beiden Fällen wird aber das Verhältnis zwischen Homosexualität und Homosozialität instabil. Homosozialität – also eine Gemeinschaft, die auf Zusammenhalt und Solidarität mit dem eigenen Geschlecht gegründet ist – achtet normalerweise, so jedenfalls eine weit verbreitete Annahme, peinlich genau darauf, dass bestimmte körperliche Grenzen nicht überschritten werden. Bei den Geschichten, die Ward erzählt, geht es aber genau darum, dass über bestimmte homosexuelle Handlungen – den Zungenkuss oder den Elefantengang – der Männerbund überhaupt erst hergestellt wird.

Für Ward bedeuten diese Überschreitungen, dass Homosexualität ein wichtiger Baustein amerikanischer, männlicher Heterosexualität ist. Sicherlich handelt es sich hierbei nicht um ein selbstbewusstes, geschweige denn politisches Verständnis von Schwulsein. Es geht nicht um Identität, sondern um Desidentifikation. Schwule Handlungen werden gerade möglich unter der Bedingung, dass man sich als nicht schwul versteht.  Die Gesten und Handlungen stehen ganz klar im Dienst der Absicherung von heteronormativer Männlichkeit – nur wird schwuler Sex dabei eben auch gleichzeitig ausgelebt. Wards Ansatz insistiert darauf, dass man es hier mit einer unverzichtbaren homosexuellen Kultur innerhalb der heterosexuellen zu tun hat.

Neben den Fragen von Gender und Sexualität ist Rasse die entscheidende Kategorie für ihre Untersuchung. Sich offensichtlich homosexuell zu verhalten, ohne dabei seine Heteromännlichkeit aufs Spiel zu setzten, sondern sie sogar noch abzusichern, kann sich nämlich nur leisten, wer weiß ist. Ward macht das deutlich mit der Gegenüberstellung der homosexuellen Handlungen von weißen und schwarzen Männern, die sich jeweils als hetero identifizieren. Ihrer Meinung nach gibt es für weiße Männer etliche Gelegenheiten schwul zu handeln, ohne als schwul gelten zu müssen, während schwarzen Männern viel schneller unterstellt wird, sie seien heimlich schwul, wenn sie sich schwul verhalten. Schließlich kommen sie ja aus einer homophoben schwarzen Kultur, so das gängige Vorurteil, die das freie Ausleben ihrer Homosexualität riskanter macht. Für Ward heißt das, Weißsein schützt bis zu einem gewissen Grad vor dem Stigma alternativer Sexualität, während Nicht-Weißsein umgekehrt immer schon in einem größeren Abstand zum „Normalen“ platziert wird.

Wie soll man die Szenen, die in „Nicht Schwul“ beschrieben werden, nun bewerten? Handelt es sich um besonders perfide Konstruktionen von Heteromännlichkeit, die gerade in ihrer uneingestandenen Vereinnahmung von Homosexualität, in der Sprachlosigkeit ihr gegenüber, als extrem homophob entlarvt werden müssen? Oder bieten sie die Gelegenheit, auch Hetero-Männern jenseits der Kategorien Hetero und Homo eine sexuelle Fluidität zuzugestehen, die als ein wichtiger Beitrag zu einer gesamtgesellschaftlichen queeren Kultur verstanden werden sollte? Auch wenn die Zwangsjacke der hetero/homo-Unterscheidung nicht so leicht abzuschütteln ist, plädiert Ward doch für die Möglichkeit, dass ausgerechnet „heterosexuelle“ Männer zu den Helden einer queeren Erzählung werden könnten. Nicht zuletzt gehört dazu auch die Einsicht, dass in Zeiten von Homonormativität – also dem Wunsch vieler Lesben und Schwuler einem bürgerlichen Modell entsprechend ihre Sexualität mehr oder weniger zur Privatsache zu machen – die sexuellen Spiele der „heterosexuellen“ Studenten und Biker der eigentliche Ort des „Perversen“ werden.




Nicht schwul
Die homosexuelle Zutat zur Erschaffung des normalen Mannes
von Jane Ward
Kartoniert, 216 Seiten, 22 €,
Männerschwarm Verlag

 

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