Der Sommer mit Carmen
Trailer • Queerfilmnacht
Für die queere Community Athens ist der Limanakia Beach ein sozialer und sexueller Hotspot. Hier treffen sich die Freunde Demos und Nikitas, beide Anfang 30 und angehende Filmemacher. Schauspieler Nikitas hat es satt, immer nur für die gleichen schwulen Rollen besetzt zu werden, und will endlich seine eigenen Erfahrungen auf der Leinwand sehen. Während die Männer um sie herum schwimmen und rummachen, pitcht Nikitias seinem Freund eine Filmidee. Aus einem sommerlichen Sonnenbad vor ungezwungener Kulisse entwickelt der griechische Regisseur Zacharias Mavroeidis ein erotisches Filmvergngügen, das spielerisch zwischen Zeit- und Erzählebenen hin- und herwechselt. Christian Horn über die frivole und metareflexive Bromance-Komödie „Der Sommer mit Carmen“, die im September in der Queerfilmnacht zu sehen ist.
Sexy, witzig und unbedingt Low Budget
von Christian Horn
Noch vor dem ersten Bild rauscht das Meer auf der Tonspur. In gelber Schrift folgen die ersten Einblendungen, dann der Filmtitel: „Der Sommer mit Carmen“. Und schon ist es da, das Sommer-Feeling! Die erste Einstellung zeigt dann ganz passend einen Nackten, der wie eine griechische Statue an einer felsigen Küste posiert. Gleich zum Auftakt stellt uns der Regisseur und Co-Autor Zacharias Mavroeidis mit dem Limanakia Beach den zentralen Drehort seiner erotischen Komödie vor, die ein bisschen Bro- und ein bisschen Romance ist und ihre Premiere 2023 beim Filmfestival in Venedig feierte. Der felsige Strandabschnitt ist ein Hotspot der Athener Queer-Community, an dem von Gemütlich-in-der-Sonne-Chillen bis hin zu sexuellen Orgien vieles möglich ist. Schon die einleitenden Eindrücke vom Strand vermitteln ein Gefühl von stehengebliebener Zeit. Deshalb passt es auch, dass der Ort der Gegenwartsanker in der folgenden Rückblendenstruktur des Films ist.
Bevor es aber zurück in einen vergangenen Sommer geht, lernen wir die Protagonisten Demos und Nikitas kennen. Sie sind beste Freunde und wirken recht unterschiedlich: Demos, kurz für Demosthenes, sieht sehr männlich aus mit seinem Vollbart, der Körperbehaarung und den kantigen Konturen. Und anders als Nikitas, der sich mit einer Badehose letzte Geheimnisse bewahrt, sonnenbadet Demos nackt und interessiert sich in erster Linie für Sex. Bevor wir ihn als Filmfigur kennenlernen, checkt die Kamera seinen Hintern ab, was indirekt auch eine erste Charakterisierung ist. Zwei Text-Inserts lassen uns wissen, dass Demos 33 ist und Nikitas 27 ist. Ersterer ist „der Held“ des Films, zweiterer „der Freund des Helden“. Beide haben sich zunächst als Schauspieler versucht. Aber Demos arbeitet inzwischen bei einer Behörde; und Nikitas will jetzt Filmregisseur werden, um sich wie der von ihm geschätzte Auteur Xavier Dolan eigene Rollen zu schreiben, die seine Lebensrealität besser reflektieren. Mit seinem zarten Körper, den violett gefärbten Haaren und der feschen Sonnenbrille wirkt Nikitas körperlich wie ein Gegenpart zu Demos.
Und noch etwas führt Zacharias Mavroeidis direkt in der Auftaktsequenz ein: Die Metaebene des Films, der sich fortwährend selbst kommentiert. Wie als Handreichung zur Sichtung blendet Mavroeidis die „Goldenen Regeln des Drehbuchschreibens“ ein, die womöglich aus demselben Drehbuchratgeber stammen, den Nikitas in einer späteren Szene in die Kamera hält. Den knappen Regeln zufolge hat jeder Film drei Akte und einen Helden, der ein Ziel verfolgt und der sich verändern muss, um jenes Ziel zu erreichen. Das verknappte Konzept der Heldenreise ist das Grundgerüst, an dem sich der Aufbau des Films entlanghangelt. Der innerfilmische Aufhänger dafür ist das Drehbuch, das Nikitas für den Produzenten Jean-Sebastien schreiben soll. Das Skript soll sexy und witzig sein und unbedingt Low Budget. Mit diesen Eckdaten im Kopf sinnieren Demos und Nikitas darüber, was der Film beinhalten könnte. Recht bald landen sie bei der Idee, den Sommer von vor zwei Jahren zu verfilmen – jenen Sommer, in dem Demos und sein Freund Panos Schluss gemacht haben und in dem Demos die kleine Hündin Carmen bei sich aufnahm. Eine persönliche Geschichte aus dem wahren Leben, ganz nach dem Motto: „Write what you know!“
Somit ist klar: „Der Sommer mit Carmen“ ist ein Film im Film, dessen Drehbuchentstehung wir miterleben. Vom Strand aus geht es nun immer wieder zurück in den besagten Sommer, dazwischen besprechen Demos und Nikitas den Stand des Drehbuchs, jonglieren mit Ideen und stecken weitere Rahmenbedingungen ab. Zum Beispiel muss eine Idee her, was das Ziel des Helden sein könnte. Während seiner Arbeitszeit notiert Demos vier Ziele für die Filmfigur und somit auch für sich selbst: „1. Sex (natürlich) 2. Fitnessstudio 3. Geld sparen 4. Sissies.“
Der Witz entsteht aus gelegentlicher Situationskomik, vor allem aber aus der permanenten Meta-Kommentierung, bei der Realität und Fiktion ineinander fließen. Als Nikitas bei einer Drehbuch-Session am Steinufer nochmal erwähnt, dass der Film auf Geheiß des Produzenten Low Budget sein soll, folgt eine Rückblende zu einer Pride-Parade in Athen – weil es eben ungleich günstiger ist, eine Massenszene am Rande einer realen Veranstaltung zu drehen, wo die Komparserie und ausstaffierte Straßenzüge kostenlos zur Verfügung stehen. An anderer Stelle verzweifelt Nikitas an der Ratgeber-Info, dass Low-Budget-Filme unter anderem auf Dreharbeiten mit Tieren verzichten sollen, weil diese zu unberechenbar agieren – das ist natürlich ungünstig für einen Film, in dem die Carmen aus dem Titel eine Hündin ist. Prompt führt die nächste Rückblenden-Passage vor Augen, wie der Dreh mit Tieren ablaufen kann. In einer Szene ruft Demos die kleine Carmen ins Bild, die aber nicht auftaucht. In der nächsten spricht er mit dem Tier, das aber nur auf der Tonspur präsent ist und angeblich unter dem Tisch sitzt. Eine andere Taktik führt die Szene vor Augen, in der Demos den Hund hochhebt und der Kamera präsentiert; während einer längeren Diskussion zwischen Demos und Panos ist Carmen, die Szenendiebin, somit dauerhaft im Bild.
So geht es munter weiter, wenn Plot Points per Dialog angekündigt werden, ein Segment „geschnittene Szenen“ zeigt oder Nikitas die Struktur des Drehbuchs mit Klebezetteln an eine Flügeltür pinnt und der Rahmen dabei die Unterteilung in drei Akte symbolisiert. Anfangs machen das innerfilmische Selbstgespräch und die Wechsel der Zeitebenen durchaus Spaß, recht bald nutzt sich die Idee aber ein wenig ab. Das liegt auch daran, dass Zacharias Mavroeidis eher wenig mit der filmischen Form selbst anfängt. Vielmehr erinnert „Der Sommer mit Carmen“ mit seinen vielen Dialogen und den wenigen Drehorten an ein Theaterstück. Die Kamera steht in der Regel starr auf einem Stativ und zeigt sauber arrangierte Kulissen, in denen sich wiederholt Bücher stapeln. Rein filmische Momente wie die Gesangseinlage einer Drag Queen, die auf einer Muschel übers Meer treibt, bleiben die Ausnahme; die einzige markante Kamerabewegung des Films, ein flotter Zoom im 70er-Jahre-Stil, stammt aus einer eingefügten Kurzfilm-Passage. Mavroeidis und Co-Autor Fondas Chalatsis haben zudem weitere Anspielungen auf griechische Theaterklassiker in ihren Film eingebaut.
Das Herzstück der Meta-Komödie ist ihr Aufbau, der sich in einem entspannten Fluss entfaltet. In Anspielung auf Yorgos Lanthimos („Dogtooth“) und andere gegenwärtig gefeierte griechische Autorenfilmer bekennt Nikitas, keinen „Greek Weird Wave“-Film drehen zu wollen. Stattdessen funktioniert „Der Sommer mit Carmen“ als frivole Komödie über zwei Freunde, die ein Drehbuch schreiben, sich über ihre Freundschaft und das Leben generell unterhalten. Das Ganze ist immer wieder untermalt von Opernarien und unterbrochen von Handjobs, Blowjobs und verschwitzten Körpern. „Ich habe Zweifel wegen der Sexszenen, es könnte schnell billig wirken“, gibt Nikitas einmal zu bedenken. Wenn sein homophober Vater im Skript vorkommen soll, benötige man den Sex als Ausgleich, entgegnet Demos. So kann man es auch sehen.
Und so fließt der Film gediegen und pittoresk vor sich hin. Die vielen Szenen am Felsenstrand, in denen sich Demos und Nikitas unterhalten und gern auch die Anderen beobachten, das omnipräsente Meeresrauschen oder die warmen Lichtspiele in den Blättern der Bäume konservieren ein Stück vom Sommer. Ein kleines Kinoerlebnis.
Der Sommer mit Carmen
von Zacharias Mavroeidis
GR 2023, 106 Minuten, FSK 16,
griechische OF mit deutschen UT
Im September in der Queerfilmnacht