Brotherhood

TrailerDVD/VoD

Soldat Lars quittiert den Dienst in der Dänischen Armee, nachdem Gerüchte über den Flirt mit einem Kameraden seine Beförderung verhindert haben. Zurück in der Heimatstadt, schließt er sich trotz ideologischer Bedenken einer Gruppe Neonazis an. Dabei treibt ihn vor allem eine vage Wut auf das System und seine Eltern an, aber auch die Anziehung zu Bandenmitglied Jimmy. Doch eine Liebe zwischen Männern ist in der Bruderschaft nicht vorgesehen. Regisseur Nicolo Donato erzählt in „Brotherhood“ von einer aufkeimenden schwulen Beziehung im rechtsradikalen Milieu, ohne die Neonazi-Szene zu verharmlosen oder in Klischees zu verfallen. Christian Lütjens über ein packendes, ambivalentes Liebesdrama, das es jetzt, knapp 15 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung, wieder auf DVD und VoD gibt.

Foto: Salzgeber

Unter Brüdern

von Christian Lütjens

„Du lebst gefährlich“, sagt Jimmy zu Lars, als der ihn nach ein paar Gläsern Wein damit aufzieht, er würde nur nicht zum nächtlichen Nacktbaden im Meer mitkommen wollen, weil er nicht richtig schwimmen könne oder sich nicht traue. Solche Frotzeleien kann ein Kerl wie Jimmy nicht auf sich sitzen lassen. Also spricht er diese sanfte Drohung aus, die viel mehr ist als die hingeworfene Bemerkung, die sie auf den ersten Blick zu sein scheint. Sie ist eine Standortbestimmung – für Lars, für Jimmy und für die Zuschauenden, die zu diesem Zeitpunkt längst hinter jedem Wort, jeder Geste und jeder Handlung der Protagonisten einen unvermittelten Gewaltausbruch wittern. Nicht nur, weil diese Erwartungshaltung in einer verstörenden Eröffnungssequenz etabliert wurde: Ein junger Mann lässt sich beim Cruisen im Park mit einem geheimnisvollen Glatzkopf ein und wird in dem Moment, in dem er seine Hose herunterlässt, aus dem Hinterhalt von dessen Neonazifreunden überwältigt und brutal zusammengeschlagen. Sondern auch, weil klar ist, dass sich dieser Beginn gerade in entschleunigter Form zwischen Lars und Jimmy wiederholt.

Das gesamte erste Drittel von „Brotherhood“ umkreisen und beobachten die beiden einander, nähern sich an, werfen verstohlene Blicke, testen aus, wie viel Nähe zwischen ihnen möglich ist. Da all das nicht in einem „normalen“ Umfeld passiert, sondern innerhalb eben jenes Neonazi-Zirkels, der die homophobe Gewaltorgie vom Anfang zu verantworten hat, ist das „Du lebst gefährlich“ gleichermaßen eine Provokation, eine Warnung und eine Prophezeiung. Denn natürlich toben Jimmy und Lars danach trotzdem gemeinsam hinaus in die blaue Nacht, trinken Bier am Strand, springen nackt ins eiskalte Meer, toben durch die Wellen und eilen anschließend aufgekratzt und durchgefroren unter die heiße Dusche, um sich aufzuwärmen. Wo die aufgestaute Spannung in einem zunächst zaghaften, dann immer drängenderen Kuss mündet, der zu leidenschaftlichem Sex führt. Von dieser Nacht an leben sie beide gefährlich. Denn wie raunt Jimmy Lars ein paar Tage später nach einer Besprechung mit den Kameraden doch so treffend wie verlogen ins Ohr: „Wir mögen ja keine Schwulen in unserem Verein, nicht wahr?“

Doch von Anfang an: „Brotherhood“ erzählt die Geschichte von Lars, dessen Offizierslaufbahn im dänischen Militär endet, bevor sie angefangen hat, weil in der Truppe Gerüchte kursieren, er sei einem seiner Untergebenen „zu nahe gekommen“. Die ehrgeizige Mutter verurteilt den Sohn für den Abbruch der Ausbildung, ohne den wahren Grund zu kennen. Als berufliche Alternative bietet sich kurzfristig nur die Mithilfe auf dem Bauernhof des Vaters an. Der Rest ist Leerlauf, den Lars mit alten Bekannten verbringt, die biertrinkend in Privatwohnungen abhängen, im Schatten einer Südstaaten-Flagge gegen Muslime und Ausländer hetzen und laut über Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte nachdenken. Bei letzterem hält Lars dagegen. Er bezeichnet die Pläne als Loser-Gelaber und verurteilt ihre dumpfe Gewalt.

Der Widerspruch weckt das Interesse des Anführers der Männertruppe: Michael, den alle nur „den Dicken“ nennen. „Eine kritische Einstellung ist gut“, sagt der. Michael tritt Lars als besonnener, diskussionsbereiter Gesprächspartner gegenüber und lädt ihn ein paar Tage später persönlich zu einer Lagerfeuer-Party am Strand ein. Lars durchschaut die Einladung als Rekrutierungsversuch für den rechtsradikalen Schlägertrupp, ist aber irgendwie auch beeindruckt von Michaels Schlagfertigkeit und seinen jovialen Komplimenten. Er geht also zur Party, auf der jede Menge Alkohol getrunken, gemeinsam gesungen und suffselige Kameradschaft zelebriert wird. Lars bleibt auch dann noch, als unter allgemeinem Johlen eine als „Arabertussi“ verkleidete Gummipuppe in Brand gesetzt wird. Fasziniert beobachtet Lars die rauen, ungestümen Demonstrationen von Maskulinität innerhalb der Gruppe, die ständigen Wechsel zwischen Angriffslust und Innigkeit, Spott und Anerkennung, Gewalt und Zärtlichkeit.

Foto: Salzgeber

Nach dieser Nacht genügen ein weiterer Eklat im Elternhaus und ein paar gezielte Herausforderungen der Kameraden, dass Lars selbst einen Ziegelstein in das Fenster einer Flüchtlingsunterkunft schleudert. Prompt wird er zum Anwärter auf eine 1-A-Mitgliedschaft in der Neonazi-Vereinigung erklärt, was die endgültige Aufnahme in den Kreis derer bedeutet, die er zuvor als Loser betitelt hat. Als die Steinwurf-Attacke in Lars’ Familie bekannt wird, muss bzw. will er raus aus dem Elternhaus. Unter kommt er bei der Bruderschaft. „Der Dicke“ teilt ihn, gemeinsam mit Jimmy, dem Schweigsamen mit dem Reichsadler-Tattoo auf dem Rücken, dafür ein, ein Kameradschaftsheim am Strand auf Vordermann zu bringen. Nebenbei soll Jimmy Lars in die Regelwerke und Grundsätze der Kameradschaft einführen. Für eine Weile wohnen die beiden zusammen in der kleinen Hütte, essen und arbeiten gemeinsam, belauern einander. Mit der Zeit weicht Jimmys Misstrauen einer zögerlichen Vertrautheit, schließlich einem durch Gleichgültigkeit kaschierten Interesse. Und dann kommt es eben zu diesem nächtlichen Schwimmausflug. Und zu dem Kuss. Und zu dem lebensgefährlichen Leben danach.

Gut zehn Jahre nachdem „American History X“ die zerstörerische Verführungskraft charismatischer Neonazi-Anführer zum Thema gemacht hatte, kam der dänische Film „Broderskab“ (so der Originaltitel) 2009 wie ein kleiner schwuler Ableger der Oscar-nominierten Hollywood-Produktion daher – als stille, auf irritierende Weise nahbare Erzählung über einen versteckten Schwulen, der den homoerotischen Signalen eines männerbündnerischen Faschistenzirkels erliegt. Dass der versteckte Schwule von Dänemarks offen schwuler Hollywood-Hoffnung Thure Lindhardt gespielt wurde, der zuvor unter anderem in „Illuminati“ (2009) und „Into the Wild“ (2007) mitgewirkt hatte, sorgte für Aufsehen, änderte aber nichts daran, dass die Produktion nach einigen Festival-Screenings und trotz mehrerer internationaler Filmpreise außerhalb Dänemarks kaum zu sehen war.

Foto: Salzgeber

Dabei ist „Brotherhood“ ein großartiger Film. Regisseur Nicolo Donato, der auch das Drehbuch mitschrieb, erzählt hier zum einen eine dramatische, und, wenn man so will, klassische Geschichte über eine Liebe gegen die Regeln ihres sozialen Kontexts. Zum anderen gibt er Einblicke in die Organisationsformen rechtsradikaler Vereinigungen – und zwar gnadenlos, unbequem und konsequent. Gnadenlos, weil die Abgründe nazistischer Vernichtungsstrategien und Vergeltungskodexe weitgehend frei von plakativer Moral und Psychologisierungen gezeigt werden; unbequem, weil nebenbei unleugbare Parallelen zwischen schwuler und rechtsradikaler Ästhetik deutlich werden und die Geschichte der Erotisierung der Unterdrücker miterzählt wird; konsequent, weil auf personifizierte Antagonist:innen praktisch verzichtet wird. In dramaturgischer Hinsicht funktioniert das mannmännliche Begehren als Gegenspieler der Hauptfiguren – ein Begehren, das einerseits natürlich unbezwingbar ist, dessen Auslebung anderseits aber den Verrat der Grundsätze der Bruderschaft bedeutet, die Schwule ablehnt und jagt. Wie subtil und doch intensiv Thure Lindhardt als Lars und David Dencik als Jimmy dieses Dilemma in all seiner Ambivalenz herausspielen, ist die große Stärke und der emotionale Herzschlag von „Brotherhood“.

Foto: Salzgeber

Wenn „Brotherhood“ jetzt, vierzehn Jahre nach dem Kinostart, bei uns auf DVD und als VoD wiederveröffentlicht wird, stehen die Vorzeichen für viele (neue) Zuschauer:innen günstig. Nicht nur weil der Film ohne Weiteres als Beitrag zum Trendthema „toxische Männlichkeit“ funktioniert. Mittlerweile dürfte auch Thure Lindhardts schauspielerische Wandlungsfähigkeit seit 2009 dank so unterschiedlicher Rollen wie der des verzweifelt Liebenden in Ira Sachs’ Teddy-Gewinner „Keep the Lights On“ (2012) sowie denkwürdiger Auftritte in deutschsprachigen Produktionen wie „3096 Tage“ (2013) und „Zwischen uns“ (2021) eine noch viel größere Fangemeinde haben als damals.

Zudem wirkt „Brotherhood“ kein bisschen aus der Zeit gefallen und ist (leider) ungebrochen aktuell. Zwar mögen sich inzwischen immer mehr rechtsextreme Gruppierungen mit vordergründig zivilen Fassaden tarnen. Dennoch hat die Hakenkreuz- und Reichsadler-Symbolik, die das „Brotherhood“-Milieu zeichnet, bei den Neonazi-Aufmärschen und Rechtsrock-Konzerten der Post-Corona-Ära weitherhin Konjunktur. Dass das gleiche für den Rechtsextremismus in Dänemark generell gilt, zeigt zum Beispiel ein Blick auf die gruselige Nordfront-Website der Nordischen Freiheitsbewegung. Die Relevanz des Films für deutsche Zuschauer:innen ist ohnehin klar. Um sie zu unterstreichen, bräuchte es Lars’ Vortrag über das Verhältnis zwischen Ernst Röhm und Adolf Hitler gar nicht, als historische Erinnerungsstütze kann er aber auch nicht schaden. Kurzum: Ein wichtiger Film mit fantastischen Schauspielern, dessen (Wieder-)Entdeckung unbedingt lohnt.




Brotherhood
von Nicolo Donato
DK 2009, 97 Minuten, FSK 16,
dänische SF und englische OF mit deutschen UT

 

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