Brokeback Mountain (2005)
DVD & VoD
Der Film mit den schwulen Cowboys: „Brokeback Mountain“ war eins der großen kulturellen Phänomene der Nullerjahre – von der Krtitik gefeiert, vom Publikum zum Blockbuster gemacht, von christlich-konservativen Kreisen attackiert. Was vorher eher Stoff für experimentelles New Queer Cinema gewesen wäre, hat Ang Lee mit den Hollywood-Stars Heath Ledger und Jake Gyllenhaal als klassisches, großes Erzählkino inszeniert. Für Esther Buss ein Klassiker, der „noch immer das Herz zerreißen lässt.“ Und den der aktuelle politische Backlash wieder näher an die heutige Zeit rückt.

Bild: Tobis
Der Traum vom Paradies
von Esther Buss
Hoch oben in den Bergen Wyomings hütet ein junger Cowboy in der Nacht die Schafherde eines Farmers, sein Blick richtet sich voller Sehnsucht ins Tal. In der Ferne leuchtet das einsame Licht eines Lagerfeuers, wo ein zweiter Mann die Beaufsichtigung über das Camp hat. Später werden sich die Positionen tauschen, aber die Blicke bleiben unverändert. Nun sieht Jack Twist, der Mann, der vorher nach unten geschaut hat, dem anderen nach, wenn dieser bei Anbruch der Dämmerung hinaufreitet, auf den Brokeback Mountain, oder wenn sich ihre Wege am Ende des Sommers trennen und er allmählich im Rückspiegel seines Pickups verschwindet. Sehnsucht kennt auch Ennis Del Mar, der sehnsüchtig Angeblickte. Aber seine Blicke sind ausweichend, auf den Boden gerichtet, halb unter dem ins Gesicht gezogenen Hut versteckt, unartikuliert wie seine sparsamen Worte, die er mit nur halb geöffnetem Mund vor sich hingrummelt. Nach dem ersten Abschied schleppt er sich mit letzter Kraft hinter eine Baracke, bevor er zusammenbricht, heult, kotzt und mit den Fäusten gegen die Wand schlägt.
In Ang Lees „Brokeback Mountain“ (2005) – ein Klassiker des (nicht nur) queeren Kinos – ist es vor allem das Zusammenspiel der Blicke, Gesten und Körper, von Annäherung und Zurückweisung, Nähe und Abstand, das heute, 20 Jahre nach Erscheinen, noch immer das Herz zerreißen lässt. Und das nicht nur, weil darin das Drama einer leidenschaftlichen Liebe zum Ausdruck kommt, die von Beginn an mit dem Schatten der Unerfülltheit behaftet ist. „You know, I ain’t queer“, murmelt Ennis, nachdem beide in der Nacht zuvor im Zelt wie im Sturm übereinander hergefallen sind. „Me neither“, antwortet Jack mit matter Zustimmung. Lees Augenmerk gilt nicht den Mechanismen der repressiven Gesellschaft zu Beginn der 1960er Jahre, sondern ihren zerstörerischen Effekten, ihren Internalisierungen. Ennis ist ein von Selbstverleugnung und Selbsthass gezeichneter Mann.
1963, sechs Jahre vor den Stonewall-Unruhen gibt es für die Liebe und das Zusammenleben von Männern kein Modell, schon gar nicht im amerikanischen Hinterland. Ennis trägt die Schreckensbilder eines Hassverbrechens mit sich herum, das sich in seiner Kindheit ereignete – als ein schwuler Mann auf brutale Weise getötet wurde, schleppte der Vater ihn und seinen Bruder zur verstümmelten Leiche, die Warnung war unmissverständlich. Jacks träumerischen Pläne, mit dem Geliebten zusammen eine Ranch zu betreiben, weist er als nicht lebbar zurück: „If you can’t fix it, Jack, you gotta stand it“. So bleibt es bei wenigen Begegnungen am Brokeback Mountain, hier und da ein paar Tage, einem Leben mit Frau und Kindern, Schein, Ausflüchten und Lügen mühsam abgerungen.
„Brokeback Mountain“, nach einer 1997 in der Zeitschrift New Yorker erschienen Kurzgeschichte von Annie Proulx, folgt einer eigenen Zeitlichkeit. Der Sommer am Brokeback Montain nimmt gut ein Drittel des Films ein, langsam, fast gedehnt das erste Aufeinandertreffen der beiden Männer im Niemandsland. Mit nichts als einer Papiertüte unter dem Arm steigt Ennis mit hochgezogenen Schultern aus einem Bus, weniger später kommt Jack mit seinem klapprigen Wagen an. Ein kurzer Austausch von Blicken, Schweigen, Jack lehnt sich eine Spur aufreizend an die Ladefläche, bis der Schafzüchter auftaucht und in die Arbeit einweist. Man kann in dieser ersten Begegnung schon das Anzeichen eines aufflammenden Begehrens lesen, zugleich ist dieser Auftakt für das Genre archetypisch. Auch im klassischen Hollywood-Western lässt sich Homosozialität queer lesen, und in Filmen mit (damals nicht offen lebenden) schwulen Schauspielern wie Montgomery Clift waren diese Subtexte mehr als nur eine Lesart. In Kritiken zu „Brokeback Mountain“ wurde der Film mitunter als eine Art Coming-Out von Howard Hawks Western „Red River“ (1948) beschrieben.

Bild: Tobis
Ang Lee entwirft den (fiktiven) Ort Brokeback Mountain gleichermaßen als offene, von der Zivilisation unberührte Naturidylle und quasi-häusliche Sphäre. Man sieht die Männer ihre Kleider am Fluss waschen, beim Kochen, Abwaschen. Vor allem ist Brokeback Montain ein Paradies, fern von der Außenwelt, ihren Urteilen und Zwängen. Erst als der Farmer sein Fernglas auf das nackt herumtollende Paar richtet, und ein Schneesturm das Ende des Sommers ankündigt, beginnt die ‚Vertreibung‘. Eng sind die Räume, in denen sich die beiden Männer fortan getrennt voneinander bewegen, immer erstickender das häusliche Umfeld. Ang Lee komprimiert die Zeit bis zur ersten Wiederbegegnung nach vier Jahren. Ennis wird Vater von zwei Töchtern, seine Frau Alma (Michelle Williams) lässt er neben sich verkümmern und leiden. Jack, der sich mit bescheidenem Erfolg als Rodeo verdingt, heiratet in eine texanische Farmunternehmerfamilie hinein – ein Klassensprung zum Preis unterschwelliger Demütigungen. Auch die Zeit, die Ennis und Jack in den nächsten Jahren teilen, wird zunehmend verknappt, der Mangel ist in jeden Augenblick eingeschrieben, bald nehmen die Abschiede mehr Erzählraum ein als das eigentliche Zusammensein. Ein langsames, schmerzvolles Verwehen bis zum Ankommen einer Postkarte, die Jacks Tod vermeldet.
Als der Film erschien, sorgte er für erhebliches Aufsehen, die Veröffentlichung lag mitten in der zweiten Amtszeit von George W. Bush. Dass Lee ein Genre verqueerte, das für das Verständnis der amerikanischen Nation wesentlich ist und dabei auch ein bestimmtes Männlichkeitsbild prägte, war das eine. Das andere, dass er sich dabei in den Mainstream vorwagte. Mit Heath Ledger und Jake Gyllenhaal war die 14 Millionen US-Dollar teure Produktion prominent besetzt, und mit prächtigen Landschaftsaufnahmen, eingängigen Melodien und psychologisch verstehbaren Figuren bewegte sich „Brokeback Mountain“ ganz im Rahmen des klassischen Erzählkinos.

Bild: Tobis
Der Sprung von den Rändern (New Queer Cinema) ins Zentrum wurde von großen (nicht allen) Teilen der queeren Bewegung euphorisch gefeiert, die feministische Filmwissenschaftlerin B. Ruby Rich sah gar eine neue Ära eingeläutet. In ihrer Kritik im Guardian („Hello cowboy“) schrieb sie: „Seit den Anfängen der feministischen Filmkritik und -theorie in den 1970er Jahren haben Filmwissenschaftler:innen die homoerotischen Subtexte in der homosozialen Welt des klassischen Westerns analysiert. Aber Brokeback Mountain geht noch viel weiter, denn es kehrt den Text und den Subtext um und liest die Geschichte des Westerns durch eine kompromisslos queere Linse. Der Film queert nicht nur seine Cowboys, sondern auch die Landschaft von Wyoming als Raum homosexueller Begierde und Erfüllung, als Spielplatz der Sexualität, befreit von jeglicher Wertung, als Eden, das bereit ist, einer seit langem durch gesellschaftliche Scham befleckten Sexualität ihre vor dem Sündenfall bestehende Unschuld zurückzugeben.“
Umso heftiger wurde „Brokeback Mountain“ von christlich-konservativen Kreisen attackiert. Der Film sei Teil und Werkzeug einer „gay agenda“, die sich die Zerstörung von Religion, Ehe und Familie in der amerikanischen Gesellschaft zum Ziel gesetzt habe. Die Anfeindungen und Zensurversuche beschränkten sich dabei keineswegs auf die USA. Bei der Erstausstrahlung im öffentlich-rechtlichen italienischen Fernsehsender wurden die zwei (alles andere als expliziten) Sexszenen einfach herausgeschnitten.
In einer Welt, in der LGBTIQ+ Rechte von politischen Kräften zunehmend angegriffen und beschnitten werden und queere Körper gefährden, klingt die Rede einer „gay agenda“ erschreckend gegenwärtig. So hat ausgerechnet der politische Backlash „Brokeback Mountain“ wieder näher an die heutige Zeit gerückt.
Am Ende sind von der Liebe der Cowboys nur noch zwei blutbefleckte Hemden übrig: Spuren eines Abschiedsschmerzes, der keine Sprache fand, außer physischer Gewalt. Über all die Jahre hingen die beiden Hemden ungewaschen im Schrank eines Kinderzimmers, das eine, das Blaue, wie in einer zärtlichen Berührung in das andere, das Karierte eingeschlagen. Später fällt der Blick noch einmal auf die Hemden, dieses Mal in einem anderen Schrank. Nun ist es das Karierte, das das Blaue umarmt. Der Körpergeruch, der noch immer an ihnen hängt, hat sich vermischt, aber von den beiden Männern, die sich am Brokeback Mountain liebten und schlugen, ist nur noch einer da, seine Sehnsucht darauf zu richten.
Brokeback Mountain
von Ang Lee
USA 2005, 134 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen Untertiteln, deutsche SF
Auf DVD und VoD