Born in Flames (1983)
Trailer • VoD
„Born in Flames“ spielt in der Zukunft, zehn Jahre nach einer sozialistischen Revolution in den USA. Doch für Frauen hat sich nichts geändert: Diskriminierung, Übergriffe, Doppelbelastung – es reicht. Sie verbünden sich quer zu sozialen, ethnischen, kulturellen oder sexuellen Identitäten und nehmen den Kampf auf. Lizzie Bordens Film von 1983 stellt die Frage, ob die Unterdrückung von Frauen jemals, in einem irgendwie gearteten System, ein Ende finden kann. Mit eindeutiger Antwort: Die Betroffenen greifen zu den Waffen. Für Anne Küper „eine Utopie, die mehr als 40 Jahre nach der Veröffentlichung immer noch kraftvoll daherkommt.“ Und in der sich queeres Leben als widerständig und lustvoll manifestiert.

Foto: Salzgeber
Platz da!
von Anne Küper
Die Revolution wird nicht kommen, sie ist schon längst geschehen, als dieser Film beginnt. „Born in Flames“ setzt zehn Jahre nach dem „social democratic war of liberation“ ein, der friedlichsten Revolution der Welt, wie es ein Nachrichtensprecher anlässlich der Festlichkeiten zum Jubiläum beschreibt. Im Central Park hält ein Schwarzer Bürgermeister (Bill Tatum) eine Rede, später wird der weiße sozialdemokratische Präsident (Walter Scheuer) die Einführung von Hausfrauengehältern verkünden, die der unsichtbaren weiblichen Arbeit Rechnung trägt, die zu Hause verrichtet wird. Das Personal wurde in gewisser Weise ausgetauscht in diesen Vereinigten Staaten von Amerika, wo der soziale Wandel erst mal warten muss, bis die Wirtschaft stabil genug ist. Die Hoffnung scheint in rhetorischer Hinsicht abgeschafft, gekämpft wurde ja schon! Um Fortschritt soll es jetzt gehen, das ist klar, um Toleranz und Gleichheit unter den Geschlechtern, während das nachrevolutionäre New York City der 1980er Jahre entgegen der Parteiparolen völlig gestrig wirkt: Catcalling auf der Straße, Übergriffe in der U-Bahn, rassistische wie sexistische Diskriminierung am Arbeitsplatz. Für wen es angesichts dessen überhaupt etwas zu feiern gibt, wer von welchen Veränderungen profitiert und wem bloß die dystopische Wirklichkeit bleibt: Das ist der Ausgangspunkt von „Born in Flames“.
Als Science-Fiction wird der Film von Lizzie Borden gerne bezeichnet, weil er eine Gesellschaft in einer nicht eindeutig benannten Zukunft zeigt. Nur so alternativ zur Reagan-Ära, wie diese Realität als Gedankenspiel auf den ersten Blick funktionieren mag, funktioniert sie eben nicht – und das ist gleich der erste Witz bei Borden. Zu seiner Genre-Zuordnung verhält sich „Born in Flames“ mindestens ironisch-subversiv, mit heutigem Blick mischt sich der in ihm angelegte Afrofuturismus mit einer gehörigen Portion Afropessimismus ob dem Gefühl der Ausweglosigkeit und der Länge, mit der bestimmte Auseinandersetzungen geführt werden. Nicht die Befreiung von Frauen, sondern die Befreiung von allen macht Borden zum Gegenstand ihres Films. Mit diesem Traum von einer intersektionalen Bewegung und von einer Revolution, die statt einer einmaligen Aktion ein Umdenken meint, das auch die Künste und die Medien miteinschließt: Darin entwickelt Borden eine Utopie, die mehr als 40 Jahre nach der Veröffentlichung des Films immer noch kraftvoll daherkommt.
Im Befreiungskrieg soll eine Frauenarmee mit von der Partie gewesen sein. Gegründet hat sie Adelaide Norris (Jean Satterfield), die eine Abendschule besucht und tagsüber auf der Baustelle arbeitet. Mit Basketbällen und Knutschen vertreibt sich die 24-jährige Dyke die Zeit, ihre Vorlieben haben die Herren vom FBI schon ausfindig gemacht. Unter deren Beobachtung steht Adelaide genauso wie die anderen Mitglieder der vorrangig lesbischen, Schwarzen Gruppe. Ausgestattet mit Fahrrädern und Trillerpfeifen verhindern sie Vergewaltigungen auf offener Straße, pöbeln in der Metro zurück, organisieren Kinderbetreuung. Jene Schutztrupps werden medial als Selbstjustiz verurteilt. Zu wenig Analyse der Zusammenhänge würde die „women’s army“ betreiben, schreiben derweil die drei weißen Feministinnen mit den Brillen und Ponyfrisuren in ihrer Zeitung (Becky Johnston, Pat Murphy, Kathryn Bigelow). Sie distanzieren sich von der Vereinigung und werfen ihr im selben Zuge vor, nicht aggressiv genug zu sein, um als terroristisch zu gelten. Ohnehin sei doch seit der Revolution schon Vieles besser geworden, seufz.
Aus 1000 Frauen besteht die Armee, die Anführerinnen der einzelnen Zellen wechseln sich regelmäßig ab, sodass die Polizei nicht mehr nachvollziehen kann, wer aktuell an der Spitze steht. Nachdem Adelaide von einer Reise in die Westsahara zurückkehrt, auf der sie eine feministische Bewegung bei der Waffenbeschaffung unterstützt hat, wird sie festgenommen und stirbt hinter Gittern. Was als Suizid verkündet wird, ist für Zella (Flo Kennedy), Hillary (Hillary Hurst) und weitere Weggefährtinnen ein klarer Fall von Mord. Sie suchen nach Hinweisen und fordern Aufklärung, diskutieren untereinander, wie sich die Gefahr umgehen lässt, dass der Tod instrumentalisiert wird. Unterdessen erfolgen mehr und mehr Aktionen im öffentlichen Raum, aus Feind:innen werden Kamerad:innen. Während einer Rede des Präsidenten wird das World Trade Center gestürmt und dessen Antenne gesprengt, um die Regierung am Weitersenden zu hindern.

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Die Attentäterin ist keine Unbekannte. Sheila McLaughlin („She Must Be Seeing Things“, 1987) sprengt in Bordens Film den Weg frei für ein lesbisches Kino, das vor Pathos keine Angst hat. Seine Premiere feierte „Born in Flames“ im Forum bei den Internationalen Filmfestspielen 1983 in Berlin. Jahrzehnte später erlebte der Film durch eine von den Anthology Film Archives restaurierte 35mm-Version mit weltweiten Vorführungen eine Neuentdeckung. Entstanden war der Film einst in einem Zeitraum von fünf Jahren mit einem geringen Budget, ein detailliertes Drehbuch von Borden und Ed Bowes gab es nicht. Stattdessen lud Borden Freund:innen aus dem Aktivismus, der Kunst und den Medien zum Spiel vor der Kamera ein. Dialoge wurden improvisiert, die Dramaturgie entstand vordergründig am Schnitttisch, von wo aus auch dokumentarisches Material von Demonstrationen, Polizeigewalt und aus Nachrichtensendungen eingeflochten wurde. Dass sich die prekären Entstehungsbedingungen in den Film eingeschrieben haben, ist gerade deshalb interessant, weil „Born in Flames“ auch von den Zugängen zu Medien und der ungerechten Verteilung von Produktionsmitteln handelt.
Zeitungen, Bücher, Videos, Filme, das Plakat an der Wand, die Flyer in der Hand: Der Anschlag auf das Massenmedium Fernsehen am Ende kommt bei Borden nicht von ungefähr, denn Medien stehen in diesem Film stets in Konkurrenz zueinander und unter dem Verdacht der Einflussnahme auf diejenigen Zielgruppen, die sie jeweils auf unterschiedlichem Wege affektiv erreichen. Zwischen Agitation und Aufklärung, Verführung und Information, senden die politischen Stimmen bei Borden gegeneinander. Das passiert im Laufe des Filmes erst recht buchstäblich, als Isabel von Radio Ragazza (Adele Bertei) und Honey von Phoenix Radio (Honey) sich einschalten. Beide Underground-Radiostationen wollen aus dem gesellschaftlichen Betäubungsschlaf aufwecken, das Bewusstsein wachrütteln mittels Lied und Lyrik, Recht behalten beim Blick auf die Geschehnisse – die so kommentiert werden, dass sich verschiebt, wie sie sich wahrnehmen lassen.

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In „Born in Flames“, mit seinem eigens für den Film geschriebenen Titelsong von Red Krayola, ist Sound jedoch per se nichts, was Menschen notgedrungen miteinander verbindet. Obgleich es Szenen gibt, in denen gemeinsam gesungen oder gejammt wird, und regelmäßige Einspielungen von Tracks von Billie Holiday und Jimmy Hendrix den Film mobil machen, bleiben die Hör-Räume auffällig oft getrennt. Diese akustischen Abgrenzungen sind im Falle der zwei unabhängigen Radiostationen rassifiziert, wobei zu bemerken ist, dass die weiße Isabel deutlich aggressiver auftritt als Honey. Wer bei Borden in welchem Rahmen wütend sein darf, wie sie auf unterschiedlichen Ebenen weibliche Wut inszeniert und wen sie aus dieser Weiblichkeit ausschließt, das bräuchte wiederum einen separaten Text.
Dass Borden im Anschluss an eine Godard-Retrospektive entschied, Regisseurin zu werden, ist eine oft zitierte Anekdote. In „Born in Flames“ wird mehr als spürbar, wie beeindruckt die Frau, die damals noch als Kunstkritikerin arbeitete, von „La Chinoise“ (1967) and „Tout Va Bien“ (1972) gewesen sein muss. Ähnlich wie der französische Filmemacher, der 2022 starb, präsentiert Borden in ihrem zweiten Film Ideen, mit denen es sich auseinandersetzen lässt. Die Deutlichkeit, mit der sie das macht, trägt aus heutiger Perspektive dazu bei, das „Born in Flames“ an manchen Stellen wirkt wie die Karikatur eines bestimmten Stils von politischem Meta-Kino. Dennoch zeigt sich queeres Leben bei Borden in der Gleichzeitigkeit von Unterdrückungen als widerständiges, lustvolles Leben, das nicht müde wird, für eine Welt abseits der Depression durch die Oppression einzustehen und zu kämpfen. Und wer dabei nicht hilft, der soll gefälligst Platz machen. Das kann es nicht gewesen sein. Die Revolution wird kommen. Wir müssten nur beginnen, uns zu organisieren.
Born in Flames
von Lizzie Borden
USA 2000, 90 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT
Als VoD