Beau Travail (1998)

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Es sollte nur ein Auftragswerk für Fernsehsender sein, heute gilt „Beau Travail“ von Claire Denis vielen als einer der besten Filme aller Zeiten. In ihrer Adaption von Hermann Melvilles „Billy Budd“ beobachtet Denis eine Gruppe von Fremdenlegionären am Horn von Afrika bei ihren Truppenübungen: beim Aufhängen der Wäsche, beim Bügeln der Uniformen, bei ihrer Inszenierung militaristischer Männlichkeit. Es sei die „Erotisierung der Armeekörper und ihrer Beziehungen“, die den Film zum queeren Klassiker machen, schreibt sissy-Autor Till Kadritzke. Doch „fetischisiert werden die Körper nicht als Kampfmaschinen, sondern als Formen, die sich einfügen in all die anderen Formen des Films: das Wasser, die Sonne, die Wüste.“

Bild: Janus Films

Ins Meer geschrieben

von Till Kadritzke

Als sinnliches, körperliches Kino werden die Filme von Claire Denis oft beschrieben, und wohl kaum ein Film steht so paradigmatisch für diese Einordnung wie „Beau Travail“. Denis’ Film über eine Gruppe von Fremdenlegionären in der ehemaligen französischen Kolonie Dschibuti am Horn von Afrika hat sich längst festgesetzt auf den oberen Rängen diverser Beste-Filme-aller-Zeiten-Listen, und die Bilder der oberkörperfreien Denis Lavant und Grégoire Colin und ihrer Kameraden sind ikonisch geworden, ob sie von Agnès Godards Kamera nun wie heroische Statuen oder als Teil einer bewegten Korps-Choreographie in den Blick genommen werden.

Man vergisst bei all der Körper- und Sinnlichkeit manchmal die Bedeutung der Sprache, die Denis nicht minder wichtig ist, die sie aber anderen filmischen Elementen radikal gleichstellt. Das ist keine Selbstverständlichkeit: So häufig sind Sätze im Kino Setzungen, bannen die Kraft der Bilder, der Gesten, bringen Klarheit und Kontrolle, spitzen zu, haben das letzte Wort. Bei Denis hat die Sprache keinerlei natürliche Autorität. Auch sie kann die (filmische) Welt nicht kontrollierbar machen; eine Welt, die nicht völlig aus den Fugen geraten, aber doch aus jeder festen Verankerung gelöst, immer schon prekär und provisorisch ist.

Eine der tollsten Einstellungen von „Beau Travail“ ist eine frühe Szene, in der die Flüchtigkeit der Sprache selbst zum Bild wird. Zunächst sehen wir nur das Meer, als Ausschnitt, tiefblau mit ein paar Sonnenreflexen, wie alles in diesem Film ambivalent, weder still noch aufgewühlt, weder von der Kamera unter Kontrolle gebracht noch das Geschehen kontrollierend. Dann taucht ein zweites Bild auf, überlagert oder unterlagert das erste, das Bild einer schreibenden Hand und eines Eintrags in ein Tagebuch, das uns im Voice-over durch den Film begleiten wird. Es sind die Worte von Unteroffizier Galoup, und es ist eine der wenigen Szenen, in denen diese Figur ganz Figur ist, körperlos. Sie bildet so das Gegenstück zur berüchtigten Schlussszene des Films, in der Denis Lavant allein und für sich einen ekstatischen Totentanz zu „The Rhythm of the Night“ aufführt, in der – so hat es die Filmwissenschaftlerin Judith Mayne in einem Video-Essay ausgedrückt – die tragische Figur des Galoup im Körper des Schauspielers Lavant überlebt.

Galoup schreibt in dieser Szene am Anfang also gewissermaßen ins Meer, und der Film nimmt nicht nur die Erinnerung selbst, sondern noch den Akt des Festhaltens dieser Erinnerung mit ins Flüchtige. Unzuverlässig ist nicht nur der Erzähler, sondern schon das Erzählen selbst. Und der queere Gehalt dieses Films steckt bereits in dieser Geste des Unter- und Überlagerns, des Verflüchtigens und Verflüssigens von jeglichen Autoritäten.

Sich einem Film zu nähern, der so offen für Assoziationen und so reich an Referenzen ist, über den schon so viel in den unterschiedlichsten Registern geschrieben und gesagt wurde, verführt zum Mäandern, also bleiben wir erstmal bei den Fakten. Am Anfang stand ein profaner Auftrag: Für Arte sollte Denis einen filmischen Beitrag zum Thema Fremdheit produzieren, und weil sie direkt an einen Film dachte, in dem das Eigene das Fremde ist, kam ihr die Fremdenlegion der französischen Armee in den Sinn. Zugleich bot sich ihr die Möglichkeit, thematisch an ihren Debütfilm „Chocolat“ (1988) anzuschließen, der sich autobiografisch mit der Familie eines weißen Verwaltungsbeamten in Kamerun auseinandersetzt.

Bild: Janus Films

Für die Handlung des Films bediente sich Denis bei Herman Melville und dessen zwischen 1886 und 1891 geschriebener, aber erst 1924 veröffentlichter Novelle „Billy Budd“, in der ein junger Matrose von einem Handels- in ein Kriegsschiff versetzt wird und dort aufgrund seiner Athletik und kindlichen Schönheit die Aufmerksamkeit eines Bootsmanns erregt, der ihn schließlich in eine Falle lockt. Der Stoff war bereits Vorlage für eine Oper Benjamin Brittens, die 1951 uraufgeführt wurde und deren Musik Denis in mehreren Sequenzen in den Film einbaut. Das Voice-over, das den Film durchzieht, hat Denis wiederum als eigene Erinnerung an Jean-Luc Godards „Der kleine Soldat“ (1960) geschrieben, der während des Algerienkriegs spielt und damit einen weiteren wichtigen Resonanzraum für „Beau Travail“ aufmacht.

Diese Genese von „Beau Travail“ ist Teil der Tiefenstruktur eines Films, dessen taktile Oberfläche sich völlig rein und abstrakt anfühlt. All diese Spuren finden sich zwar im fertigen Film wieder, sind jedoch verwischt. Die Handlung verlegen Denis und ihr Co-Autor Jean-Pol Fargeau in die Gegenwart, nach Dschibuti, wo eine Einheit der französische Fremdenlegion stationiert ist. Dort hat der perfektionistische Unteroffizier Galoup so wortkarg wie charismatisch seine Truppe im Griff. Der neue Rekrut Gilles Sentain (Grégoire Colin), Wiedergänger des Billy Budd aus Melvilles Geschichte, bildet mit seinen sinnlicheren, weicheren Gesten ein Gegenstück zu Galoups Performance der Härte und Kontrolle, und eben das lässt diesen die Kontrolle verlieren. Eine Szene, in der der befehlshabende Offizier Forestier (Michel Subor, der seine Figur aus „Der kleine Soldat“ knapp 40 Jahre später weiteruzspielen scheint) Sentain nach einer heroischen Tat besonders heraushebt, entfacht in Galoup endgültig eine diffuse Eifersucht, die von Begehren nicht zu unterscheiden ist.

Bild: Janus Films

Ein tragisches Dreieck: Galoup steht in jeglicher Hinsicht zwischen dem älteren, düstergesichtigen Forestier und dem anmutigen, scheinbar mit besonderen Talenten gesegneten Sentain. Ist diese Konstellation in fast schon archaisch anmutenden Gesten ausagiert – in wenigen Sätzen, Blicken, Handlungen –, etabliert Denis das Setting in Dschibuti durchaus konkret, mit einer Club-Sequenz ganz am Anfang, in der ein paar dschibutische Frauen zunächst für sich tanzen, bevor sich die männlichen Körper der Legionäre mit ihren grauen Uniformen zwischen die weiblichen Körper der Einheimischen mit ihren stylischen Klamotten mischen. Schon dieser Anfang betont den Anachronismus einer (noch heute um die 10.000 Mann starken) Fremdenlegion, die einst zur Beherrschung der französischen Kolonien gegründet wurde, in einem unabhängig gewordenen Land.

Dieser Anachronismus wird zu einer Art Leitmotiv von „Beau Travail“, setzt sich fort im so genauen wie stilisierten Beobachten des Alltags der Gruppe. Wäsche wird aufgehangen, Uniformen gebügelt. Zu den Klängen der Britten-Oper werden die gestählten Männerkörper in einem wüsten Niemandsland auf einen Ernstfall vorbereitet, der weit entfernt scheint, deshalb gleichen die Truppenübungen eher einer kollektiven Performance. Tatsächlich hat Denis Balletttänzer Bernardo Montet engagiert, um diese Szenen zu choreographieren. Das Manöver hat kein Objekt, und wird so zum Tanz. Der Zeitfluss selbst – so deuten es auch die wiederholten Einstellungen vom Meer an, die immer nur Ausschnitte sind, keinen Horizont zulassen – fließt keiner Mündung entgegen, sondern um sich selbst.

Bild: Janus Films

Ohne Ziel, ohne Zukunft, bleibt die militärische Männlichkeit auf sich selbst zurückgeworfen, ist auf einmal Selbstzweck, Schauwert, Camp. Die immer wieder beschworene Kameraderie erscheint auf einmal nicht mehr als Selbstvergewisserung heterosexueller Männlichkeit, sondern als Klebstoff einer Gemeinschaft jenseits heteronormativer Vergesellschaftung. Es ist diese – manchmal etwas verkürzt im Begriff der Homoerotik versteckte – Erotisierung der Armeekörper und ihrer Beziehungen, die den Film zum queeren Klassiker machen. Fetischisiert werden die Körper nicht als Kampfmaschinen, sondern als Formen, die sich einfügen in all die anderen Formen des Films: das Wasser, die Sonne, die Wüste.

Und doch ist „Beau Travail“ alles andere als eine formalistische Spielerei, ist sein Blick schließlich auch gefiltert durch die Figur des Galoup. In wenigen Szenen, die in Marseille spielen, wird das Geschehene als Erinnerung markiert, als Bilder, die eine versehrte Psyche heimsuchen. Dort begegnen wir Galoup wieder, lange nach dem Showdown, der das Dreieck sprengt: Galoup, der Sentain eine Falle stellt, ihn schließlich zur Strafe in die Wüste schickt, ihm nur einen kaputten Kompass mitgibt – schließlich aber selbst von Forestier entlassen wird. Auf der Tonspur spricht die Stimme, die vielleicht Galoups Tagebuch ist, von diffusen, aber übermächtigen Gefühlen, von einer Art Groll oder Wut.

Bild: Janus Films

Dass gerade die ins Abstrakte gleitenden Bilder, die Denis gemeinsam mit Kamerafrau Agnès Godard und Editorin Nelly Quettier geschaffen hat, einerseits die kolonialgeschichtlichen und geschlechterpolitischen Implikationen der Fremdenlegion sichtbar machen und andererseits als radikal subjektive Erinnerungen eines Ex-Legionärs in Erscheinung treten, ist Zeichen der Größe dieses Films, seiner Offenheit und seiner Freiheit. Für diese Freiheit steht wohl nichts so sehr wie der Tanz, den Denis Lavant in der Schlussszene in einer nunmehr leeren Diskothek tanzt. Ob die Pistole, die wir kurz zuvor auf seinem Bett gesehen haben, nun zum Einsatz gekommen ist oder nicht: Etwas überlebt, etwas bleibt in Bewegung, und diese Bewegung braucht kein Ziel und kein Objekt. Denis Lavant tanzt den Traum einer Welt, in der Körper sich selbst genug sind.




Beau Travail

von Claire Denis
FR 1998, 92 Minuten, FSK 16,
französische OF mit englischen UT

Als DVD

 

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