Wie ein weißer Vogel im Schneesturm

Trailer

Mehr als 20 Jahre ist es her, dass man die ersten Filme von Gregg Araki als New Queer Cinema bezeichnete. Postpunk-Jugenddramen folgten, dann der abgründige „Mysterious Skin“ (2004), und wenig scheint sich dabei an der markanten Handschrift des Filmemachers geändert zu haben, auch wenn seine Schauspieler bekannter wurden und seine Budgets größer. Angesichts der Direct-to-DVD-Veröffentlichung seines aktuellsten Films „Wie ein weißer Vogel im Schneesturm“ hier ein Versuch über die Queerness seiner plakativen Figuren, bei denen man, sobald man an den schönen Oberflächen kratzt, nur auf weitere Oberflächen stößt.

Foto: Capelight

Another teenager by Gregg Araki

von Dennis Vetter

Kat sitzt im Flugzeug, reist von der Uni in Berkeley zurück nach Hause, guckt verträumt aus dem Fenster, zwischen Erinnerungen und den großen Gefühlsfragen ihres jungen Lebens umherschwelgend. Es läuft „Kat’s Mix“ von Kassette, The Cure dudeln aus ihren Kopfhörern: „I’ve been looking so long at these pictures of you that I almost believe that they’re real. I’ve been living so long with my pictures of you that I almost believe that the pictures are all I can feel.“

Das Flugzeug und The Cure tragen uns ins Jahr 1991, nachdem die ersten Hälfte von Gregg Arakis „Like a White Bird in a Blizzard“ an uns ein wenig entrückt und unmerklich und unwirklich vorbeigezogen sind. Was Araki erzählt, entfaltet sich verschachtelt und nicht selten unentschlossen, überspült durch einen manchmal lebendigen, aber unermüdlich pathetischen Voice-over. Kat, alias Shailene Woodley – oder Shailene Woodley alias Kat – ist die Stimme des Films, bietet Ankerpunkt für Arakis musikalische und emotionale Tableaus. Wenn Musik gespielt wird, ist zumeist sie es, die sie initiiert und dabei illustriert ein jeder Song ihr angeschlagenes Seelenleben. Ein Teenie von einer bockigen Traurigkeit, gefangen in der sonnengetränkten Wohlstandsmüdigkeit einer verunglückten Kleinfamilie. Kat ist ein bisschen Schablone, ein bisschen Zeitgeist-Melange zwischen den bemüht herbeikonstruierten späten Achzigern und der Hollywood-Gegenwart von Woodleys aufblühender Karriere, liefert ein bisschen Identifikation in verstreuten, starken Momenten. „Ich war siebzehn, als meine Mutter verschwand. Gerade als ich anfing, nichts als mein Körper zu sein – Fleisch, Blut und aufgeregte Hormone – da trat sie aus ihrem heraus und ließ ihn zurück.“ Verträumt, ein bisschen traurig, ein bisschen anregend eröffnet sie den Film und gleichermaßen eröffnet sich ein Film in ihr.

Durch Kats Stimme und ihre Erinnerungsbilder lernen wir gleich zu Beginn Eva Green kennen: als spurlos verschwundene Mutter Eve, die eines Tages aus Verzweiflung über ihr belangloses Leben das Haus verlässt – ohne Nachricht, ohne Spur. Kein Lebenszeichen von ihr ist in den Räumen der Geschichte erkennbar, nur Erinnerungen an Hoffnungen, Spannungen und Enttäuschungen. Green reißt den filmischen Raum an sich, wann immer sie ihn betritt: als Dämon, psychologischer Imperativ und melodramatischer Pastiche, als Kats Antithese und Fixpunkt einer kindlich-emotionalen Sehnsucht. Eve ist Utopie und Zusammenbruch, eine Frau zwischen Rollenbildern, die sich selbst irgendwann nicht mehr erkennt und darüber wahnsinnig wird. Araki adaptiert sie eng an Laura Kasischkes feministischer Romanvorlage als Frau zwischen den Generationen, hüllt sie in die perfekten Oberflächen von „Jackie O., Elisabeth Taylor and the Hitchcock women“. An ihrer Seite stellt uns Kats Stimme Christopher Meloni vor, als Ehemann und Vater Brock, der brav ins Büro geht und seiner Frau in der südkalifornischen Vorstadt kein anregendes Leben bieten kann. Nicht, dass er nicht will! Er weiß einfach nicht wie. Ein gutmütiger Klotz, versöhnlich und langweilig zu Hause, charmant und begehrenswert im Umgang mit seinen Kolleginnen. Später im Film von einer sonderbaren Strenge, die Abgründigkeit sein will. Melonis Physis ist massig und dabei hinter weißen Hemden, braven Hosen und Schnauzer gleichermaßen kaum greifbar.

Beinahe alle Filme des kalifornischen Indieregisseurs, zuletzt insbesondere „Kaboom“ (2010), sind bevölkert von Teenies und Kindsköpfen, die in ihren fiebrig übersteigerten, bald apokalyptischen Konflikten auch als Abziehbilder erscheinen, als popkulturelle Sammelsurien, als penetranter Ausdruck und Fetisch einer Autorenperspektive. Sie performen füreinander, für die Kamera, für eine desillusionierte Gegenwart, sind selbstreferenziell bis zur Selbstverliebtheit und darin gerne verklärt und stereotyp. In Arakis Teenage-Apocalypse-Trilogie („Totally Fucked Up“, „The Doom Generation“, „Nowhere“) erreichen sie dabei eine derart rohe, originäre Wut und emotionale Überzeichnung, dass aber dann doch etwas hängenbleibt. Die plakativen Bildwelten und der musikalische Postpunk-Pop-Charme der Filme, Arakis plakativer Umgang mit Dialog und Schauspiel sind kaum verkennbar. Was er versucht, scheint dabei oftmals nur halb zu gelingen. Seine Ensembles wirken stets ein wenig daneben, überkomponiert, dysfunktional. Jeder spielt für sich, für einen Typ, spürbare Chemie gibt es selten. Shiloh Fernandez erscheint in „Like a White Bird in a Blizzard“ als stumpfer Nachbarsjunge und Love-Interest von Kat. Araki beschreibt ihn im Gespräch mit out.com als perfekt für die Rolle, als idealen „Jungen von nebenan“, der dabei stets ein wenig „daneben“ erscheint: „Ganz offensichtlich hat er massig Sex-Appeal, aber seine Ausstrahlung wirkt dabei in ihrer sehr direkten Art auch schräg.“

Und Arakis Filme umreißen letztlich genau diesen Ton: In ihrer Überdeutlichkeit wirken sie oftmals unerwartet, sonderbar, ungreifbar. Sie spielen mit Camp als gemeinsamer Perspektive von Figuren und Zuschauern, fordern und verkörpern eine ironische Sensibilität, die quer liest, queer liest: „To perceive Camp in objects and persons is to understand Being-as-Playing-a-Role. It is the farthest extension, in sensibility, of the metaphor of life as theater” (Susan Sontag). Arakis Filme zwinkern und zwinkern und zwinkern. Ganz im Sinne Sontags sind sie belebt durch die Möglichkeitsräume zwischen überdeutlicher Intention, Überhöhung und Unbeholfenheit in Spiel und Inszenierung. Glyn Davis sortiert Arakis Arbeiten interessant anhand einer Unterscheidung von Gay Camp und Queer Camp. Gay Camp, Versatzstücke schwuler Kultur, die Hollywood bereitwillig als Stereotype ausschlachtet. Queer Camp dagegen: ein Eckpunkt des New Queer Cinema. Ein Begriff von Camp, der sich nicht anpassen will. Ein System von ästhetischen Codes, die sich in ihrer Exzentrik einem breiten Verständnis verweigern. Hier sieht sie Araki. Dessen erste Filme kosteten jeweils um die 5.000 Dollar, es spielten ausschließlich Laien. Sein neuer Film ist mit Eva Green und Shailene Woodley besetzt, doch noch immer erlaubt Arakis teils missglückte, teils hypnotische Inszenierung keine Erfahrung ohne Kanten, kein Spiel ohne Bruch und Doppeldeutigkeit. Zu viele Versatzstücke konkurrieren hier um Aufmerksamkeit. In einem Psychodrama, das auch Melodram sein will und Sex-Thriller und Coming-of-Age-Geschichte, das strukturell auf die ernsten Töne seines hervorragenden „Mysterious Skin“ (2004) verweist, platziert er an der Seite seiner Protagonistin dennoch Mark Indelicato und Gabourey Sidibeh als völlig abgedroschene Sidekicks und legt seinen Figuren Dialoge in den Mund, an denen man sich in brutale Rage ärgern könnte. Psychologische Fragen klärt zu allem Überfluss eine regelmäßige Therapiesitzung. Unerträglich und selbst in der schematischen Unerträglichkeit einer Therapiesitzung als Plot-Werkzeug nochmals auf aufdringlichste Art kommentiert: „Dr. Thaler kam mir vor wie ein Schauspielerin, die eine Therapeutin spielt. Und während der Sitzungen fühlte ich mich wie eine Schauspielerin, die sich selbst spielt. Eine schlechte Schauspielerin, eine, die ihren Job richtig scheiße macht.“

Einfach. Zauberhaft. Arakis Filme muss man manchmal wirklich lieben wollen. Wer das will und wer nicht, ist dabei aber eben die interessante Frage.

 



Wie ein weißer Vogel im Schneesturm
von Gregg Araki
US 2014, 91 Minuten, FSK 12,
deutsche SF, englische OF mit deutschen UT
Capelight Pictures
www.capelight.de

 

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