Alle Farben des Lebens

Trailer

„Alle Farben des Lebens“ von Gaby Dellal ist Drama und Komödie. Er verspricht, ein Coming-Of-Age-Film über den Transjungen Ray zu sein (der englische Originaltitel lautet „About Ray“), will aber gleichzeitig – so verrät es wiederum der Arbeitstitel „Three Generations“ – eine Familienchronik über drei Generationen erzählen. Am Ende geht es immer weniger um Ray und immer mehr um eine erzählerisch nicht aufgelöste Idee von Zweigeschlechtlichkeit.

Foto: Tobis

Drei Generationen zu spät

von Noemi Yoko Molitor

Ray (Elle Fanning), seine Mutter Maggie (Naomi Watts), und seine Großmutter Dodo (Susan Sarandon) und ihre Partnerin Franny (Linda Emond) leben gemeinsam in einem New Yorker Townhouse, das den beiden älteren Ladies gehört, die eigentlich finden, dass es an der Zeit ist, dass Maggie und Ray ausziehen, es aber ebenso wenig lassen können, sich einzumischen.

In umgekehrter Erzählung zur Serie „Transparent“, in der Mauras verwöhnte Kinder ihr genauso zu schaffen machen wie die Ins und Outs der Transition, hat Maggie einen Trans-Teenager zum Kind, der seine ganze existentielle Wut an ihr auslässt. Die Sehnsucht nach der Einnahme von T hat er in dicker schwarzer Schrift auf seiner Schlafzimmerwand festgehalten: samt Countdown und Selbsthilfe-Beschwörungen. Er ist – wie Teenager es eben sind – besserwisserisch und selbstgerecht. Ray führt ein Filmtagebuch (ein enervierender Film im Film) und will unter allen Umständen die Schule wechseln, um per Neuanfang endlich – denn das müssen Teenager wollen – „normal“ zu sein. Maggie behält ihre Zweifel und Unsicherheiten mehr oder weniger für sich, unterzieht stattdessen ihren One-Night-Stand einem absurden Penis-Interview und bedankt sich beim Gehen für „die Einladung“. Mit Ray geht sie zum Arzt, übt das „Er“, und will dass er seinen Teller wegräumt, wenn er vom Tisch aufsteht.

Hier bietet der Film eine willkommene Abwechslung zu anderen Elternfiguren queerer Kinder, die diese in Anflügen transphober und homophober Ressentiments verbal bzw. körperlich maßregeln, wie zum Beispiel Mickaëls Mutter in Céline Sciammas „Tomboy“ (2011) oder Alikes Mutter Audrey in Dee Rees „Pariah“ (2011). Audrey versucht es zunächst mit femininem Kleidungszwang und verprügelt ihre Tochter schließlich, als diese sich als lesbisch outet. Mickaëls Mutter nennt den 10-Jährigen ob seiner Namens-Wahl einen Lügner, befiehlt ihm, in Mädchenkleidung vor seine Freunde zu treten, und droht, die Familie müsse nun wieder umziehen. Bis „Tomboy“ am Ende Mickaël nach all seinen Beweisen kindlicher Stärke zur freiwilligen Selbst-Anrufung: „Ich heiße Laure“, zwingt. Selten hat ein Film seiner Figur solch epistemische Gewalt angetan.

Maggies zeitweise unbeholfene Unterstützung für Ray ist dagegen nahezu reparativ. Die beiden waren in Therapie zusammen, Maggie sagt so oft: „Ich bin stolz auf dich“, bis Ray es nicht mehr hören kann, und eigentlich hat ihr Zögern, die Einverständniserklärung für Rays Hormon-Konsum zu unterschreiben, ganz eigene Gründe, die in ihrer Geschichte mit Rays Vater Craig liegen, der ebenfalls unterschreiben muss.

Die zweite Hälfte des Filmes ist also dem Versuch gewidmet, Craig (Tate Donovan), der längst eine zweite Familie hat, nach Jahren der Funkstille zum Konsens zu bewegen und zu klären, wer wie und warum daran Schuld hat, dass Ray keinen aktiven Vater hatte. Ray hat nun zwei Halbgeschwister (oder vielleicht doch nicht), und Maggie lässt es sich in konsequenter Ex-Freundin-Manier nicht nehmen, Craigs neue Frau Sinda hartnäckig „Simba“ zu nennen. So erzählt der Film nach und nach immer weniger „about Ray“ und immer mehr über Maggie.

Foto: Tobis

Den Film mit „Thelma & Luise“- und „The Hunger“-Ikone Susan Sarandon als Großmutter und „Mulholland Drive“-Star Naomi Watts als Mutter zu besetzen, ist ein Versprechen an das queere Publikum. Doch auch so viel Potential für queeres Schauspiel kann den Film nicht über die holprige Transerzählung hinwegretten. Eine Schlüsseldialog zwischen Dodo und Maggie zu Dodos Lesbisch-Sein bringt ein queeres Verständnis auf den Punkt, das der Transerzählung gänzlich fehlt. Als Maggie sie fragt, ob sie sich noch an ihre Hetero-Zeit erinnert, in der sie Maggies Vater geheiratet hat, antwortet Dodo belustigt, „I never thought I was straight, I was just pretending“. In ihrem Selbstverständnis war sie immer lesbisch, so wie Ray immer ein Junge war. Es könnte so einfach sein.

Leider fällt der Film hinter diese Prämisse zurück. Er ist den Figuren nach ein nicht-heterosexueller Film, aber eindeutig an ein Mainstream-Publikum gerichtet. Das muss nichts Schlechtes sein, folgte der Film nicht in seiner Repräsentation von Trans-Sein so sehr den Erzählmustern eben dieses Mainstreams zum Thema. Eine obligatorische Spiegelszene soll Rays „Gender Diysphoria“ illustrieren. Der Topos des „Lebens im falschen Körper“ wird ebenso bedient; andere Formen der Selbstwahrnehmung, ja, andere Transfiguren, fehlen. Wobei die Feststellung von Craigs Tochter Mia, dann sei sie wahrscheinlich „ein Mädchen in einem Mädchenkörper“, durchaus Potential für eine interessante Auseinandersetzung mit dieser allgegenwärtigen Diskursfigur geboten hätte.

Foto: Tobis

Die Entscheidung, Ray mit Elle Fanning zu besetzen, wurde 2015 in den USA bereits stark kritisiert. Nicht nur, weil Transfiguren auffällig selten mit Transschauspieler_innen besetzt werden, sondern vor allem, weil Regisseurin Gaby Dellal ihre Besetzung damit begründete, dass Ray zu Beginn des Films eben noch ein Mädchen mit hoher Stimme sei, dass nicht als Junge durchgehe – was ein Transschauspieler nicht hätte darstellen können. Rückwärts durch die Brust ins Auge ist Trans also eine lineare Entwicklung von einer geschlechtlichen Realität qua Geburt in ein späteres, anderes Geschlecht, haben alle Transmänner und -schauspieler medizinische Wege für sich gewählt, muss Trans-Sein „Passing“ zum Ziel haben oder scheitern.

Eine Imagination also, die Trans zwar irgendwie cool findet, aber den eigenen Blick der Zweigeschlechtlichkeit nicht abzulegen vermag. Auch die PR zum Film verleiht Ray das weibliche Pronomen und bewirbt den Film als einen Film über „drei Generationen von Frauen“. Hätte es nicht kürzlich Sean S. Bakers „Tangerine L. A.“ (2015) gegeben, wir müssten befürchten, dass es noch mindestens drei Generationen dauert, bis Transfilme nicht mehr konventionellen Geschlechtergewohnheiten untergeordnet werden.

Und zum Glück gehört ein Film ja nicht immer nur denen, die ihn gemacht haben. Wer möchte, schaut sich einen Transteenager an, dessen Anspruchsdenken irgendwie nervt und irgendwie altersgemäß ist, eine Oma, die denkt, dass Lesben die besseren Menschen sind, und eine Mutter, die vielleicht nicht so aufopferungsvoll durchs Leben gegangen ist, wie es scheint.




Alle Farben des Lebens
von Gaby Dellal
US 2016, 93 Minuten,
deutsche Synchronfassung und englische OF mit deutschen UT

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